Weniger Chemie, mehr Bodenleben

-
SALTO: Herr Mauk, Sie sind gerade in Südtirol unterwegs und halten Vorträge zur regenerativen Landwirtschaft. Was genau versteht man darunter?
Urs Mauk: Es geht darum, Böden und Ökosysteme wieder aufzubauen – also im eigentlichen Wortsinn zu regenerieren. In den letzten 60 bis 70 Jahren haben wir unsere landwirtschaftlich genutzten Flächen systematisch degradiert. Regenerative Landwirtschaft will das umkehren: Sie erhöht die Bodenfruchtbarkeit, den Humusgehalt, stärkt das Pflanzenwachstum, fördert Artenvielfalt und sorgt dafür, dass Wasser wieder versickert, die Luft sauber bleibt – all die Ökosystemdienstleistungen, die die gesunde Natur für uns übernimmt. Und dabei kann sie sogar höhere Erträge ermöglichen – bei weniger Chemieeinsatz und besseren wirtschaftlichen Bedingungen für die Landwirte.
-
Zur Person
Urs Mauk ist Öko-Landwirt, Berater und Referent für regenerative Landwirtschaft. Nach seiner Ausbildung zum Gemüsegärtner studierte er ökologische Agrarwissenschaften in Witzenhausen. Er leitete mehrere Jahre die Gemüseproduktion der Gemeinschaft Schloss Tempelhof. Heute begleitet er Landwirte beim Aufbau bodenaufbauender Anbausysteme, gibt Workshops und bietet Start-up-Coachings im Market Gardening an. Sein Fokus liegt auf Bodenfruchtbarkeit, Permakultur und wirtschaftlich tragfähigem Gemüsebau.
Foto: Urs Mauk -
Welche Schäden meinen Sie konkret, wenn Sie von jahrzehntelanger Degradierung sprechen?
Die Böden sind ausgelaugt, Humusgehalt und Wasseraufnahmefähigkeit gehen zurück, das Grundwasser ist belastet, Arten verschwinden, extreme Wetterereignisse häufen sich. Landwirtschaft ist da nicht nur Opfer, sondern auch Mitverursacher – durch intensive Monokulturen, Pestizide, schwere Maschinen und den Rückbau landschaftlicher Strukturen. In Europa wurden beispielsweise vielerorts und großflächig die Hecken gerodet, was einen Rückgang der Artenvielfalt zur Folge hatte. Zudem haben wir Tierhaltung und Pflanzenbau voneinander getrennt: In einer Region konzentriert sich der Mist, in der anderen fehlen die Nährstoffe. Gleichzeitig wird massiv Druck auf die Höfe ausgeübt, insofern dass sie immer billiger produzieren müssen. Das zwing sie dazu, das Naturkapital auszubeuten, anstatt es aufzubauen. Das alles hat langfristig katastrophale Folgen.
„In einer Region konzentriert sich der Mist, in der anderen fehlen die Nährstoffe.“
Wie ist die Situation in Deutschland? Wird auf einer Fläche ohne Fruchtwechsel so lange Mais angebaut, bis der Boden kaputt ist?
In weiten Teilen ja. Es gibt riesige Flächen mit einseitigem Anbau – oft Mais, Weizen, Gerste und kaum Fruchtwechsel. Zwischenfrüchte, die für den Boden angebaut werden, wurden lange ignoriert. Weite Landstriche lagen oft den ganzen Winter brach, was die Bodenbiologie zerstört, sprich: keine Nahrung für die Lebewesen. Gleichzeitig erfolgt ein hoher Einsatz an Pestiziden, mit dem die Insekten und Bodenpilze geschädigt werden. Diese sind sehr wichtig für die Stuktur der Böden. Wird die Struktur geschädigt, geht Humus verloren. Sind nach einem Starkregen die Bäche braun, ist das ein untrügliches Zeichen für Bodenerosion.
-
In Südtirol gibt es relativ wenig Ackerbau, dafür viel Grünland. Kein Grund zur Sorge also?
Auch im Grünland kann es Erosion geben – die muss nicht dramatisch aussehen wie ein Erdrutsch. Ein einfaches Zeichen: Wenn Bäche nach dem Regen klar sind, ist alles gut. Wenn sie trüb sind, schwemmt es Boden weg. Das sollte man beobachten. Außerdem ist die Wasseraufnahmefähigkeit von Grünland oft auch relativ schlecht, was zu unnötigem Hochwasser führt.
Wie kann man Böden konkret regenerieren?
Zunächst durch weniger Eingriffe: flachere Bodenbearbeitung, weniger Chemie, vielfältige Fruchtfolgen, der gezielte Einsatz von Zwischenfrüchten, Leguminosen, Gräsern und Kräutern. All das fördert die Bodenbiologie. Eine gesunde Pflanze mit ausgewogener Nährstoffversorgung braucht weniger Pflanzenschutz. Chemie tötet das Bodenleben. Und ohne aktives Bodenleben funktioniert das ganze System nicht mehr.
„Ohne aktives Bodenleben funktioniert das ganze System nicht mehr.“
Kritiker wenden ein, dass ohne Pflanzenschutzmittel Erträge und Qualität sinken – und die Weltbevölkerung nicht mehr ernährt werden kann.
Es ist eine ganz klare Lüge der Agrar-Lobby, dass wir in Europa dafür verantwortlich sind, die Weltbevölkerung zu ernähren. Das ist ein Märchen, um die Bauern in der Tretmühle zu halten. 80 Prozent der Weltbevölkerung werden nach wie vor von kleinbäuerlichen Strukturen ernährt. Die chemisch-industrielle Landwirtschaft hält so gut wie keines der Verprechen: Ja, wir haben Ertragssteigerungen, aber dafür muss ein sehr hoher gesellschaftlicher Preis bezahlt werden. Und produziert werden zu einem großen Teil Rohstoffe für Tierfutter, Treibstoffe oder Industrieprodukte mit wenig Nährwert. Regenerative Systeme können mit konventionellen Erträgen mithalten – das zeigen genügend Beispiele aus Südamerika, den USA oder Australien, die mit den konventionellen Erträgen durchaus mithalten können und darüber hinaus noch wirtschaftlicher sind, und zwar deshalb, weil weniger kostenintensiver Dünger und Pflanzenschutzmittel ausgebracht werden muss. Kurz gesagt: Ich habe, wenn mir die Bodengesundheit wichtig ist, vielleicht nicht die Spitzenerträge in guten Jahren, aber gute Erträge in schlechten Jahren und damit mehr Sicherheit.
-
Südtirol ist ein Apfelland. Bauern hierzulande beklagen, dass sie zunehmend Schwierigkeiten in der Schädlingsbekämpfung haben, weil immer mehr Pflanzenschutzmittel verboten werden. Ohne diese scheint es aber nicht zu gelingen, den makellosen Apfel – den der Konsument will – anzubieten.
Der Bauer muss verstehen, dass Pflanzenschutz nur Symptombehandlung ist. Es geht darum, die Ursachen anzugehen – also die Pflanzengesundheit von innen heraus zu stärken. Das beginnt bei der Nährstoffversorgung und hört beim Mikrobiom im Boden nicht auf. Krankheiten und Schädlinge sind ein Zeichen für ein geschwächtes Immunsystem. Ein Apfelbauer, der das ernst nimmt, sollte sich mit Konzepten wie denen von John Kempf auseinandersetzen. Er hat mit seinem Ansatz sehr gute Erfahrungen gemacht – auch in intensiven Kulturen. Es geht nicht um Ideologie, sondern um Systemverständnis. Und um die Frage: Wie bringe ich meinen Boden dazu, mit mir zu arbeiten – statt gegen mich? Natürlich braucht das Zeit, Erfahrung, Austausch. Aber es ist machbar. Und es gibt inzwischen viele gute Beispiele weltweit, die zeigen, dass es funktioniert.
„Es geht nicht um Ideologie, sondern um Systemverständnis.“
Was halten Sie von Modellen von Kooperationen, beispielsweise wenn sich Gastronomiebetriebe mit Landwirten zusammentun oder auch eine Gruppe von Bürgern?
Viel. Wer direkt bei bäuerlichen Betrieben einkauft, stärkt genau die Strukturen, die eine andere Landwirtschaft ermöglichen. Auch Modelle wie solidarische Landwirtschaft oder Vertragslandwirtschaft, wo Konsumenten und Produzenten in engem Austausch stehen, sind wichtig. Das schafft Vertrauen, reduziert Kontrollaufwand und ermöglicht neue Wege in der Produktion. Letztlich geht es um eine Partnerschaft zwischen Stadt und Land.
Sie selbst betreiben einen YouTube-Kanal zur regenerativen Landwirtschaft. Was war Ihre Motivation?
Ich habe selbst viel über YouTube gelernt, besuche gern Betriebe und finde es schade, dass viele Praktikerinnen und Praktiker nicht rauskommen. Also bringe ich die inspirierenden Beispiele zu ihnen – digital. Mein Unternehmen „ReLaVisio“ bietet Beratung, der YouTube-Kanal ist ein intensives Hobby. Ich bin gelernter Gärtner und habe Landwirtschaft studiert. Es ist einfach mein Thema.
Schädlinge + Pflanzen…
Schädlinge + Pflanzen-Krankheiten treten nicht regelmäßig auf. Der Beratungsring empfielt aber immer volles Programm, aus Angst vor Schadenersatz-Forderungen, aber auch weil "die gut-pflegenden Chemie-Firmen," ihre produzierten Cemiekalien verkaufen wollen!