Society | Long Covid

„Es gibt Abertausende, die leiden“

Werden die möglichen Folgen einer Corona-Infektion ausreichend ernst genommen? Nein, sagt Stephanie Risse. Die Linguistin und Uniprofessorin weiß, wovon sie spricht.
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Foto: Stephanie Risse

„Ich sehe ein großes Verdrängen und Verleugnen dieser Krankheit“: Mit dieser Aussage warf die deutsche Publizistin und Kolumnistin von „Der Spiegel“ Margarete Stokowski Anfang August in einem Deutschlandfunk-Interview das Licht auf einen Aspekt von Covid-19, der bis heute tatsächlich immer noch zu wenig thematisiert und vor allem zu schlecht therapiert wird – die langfristigen Folgen des Virus. Jede achte mit dem Virus infizierte Person leidet wochen- oder auch monatelang an zumindest einem Symptom von Long Covid, belegt eine großangelegte Studie in den Niederlanden, die aktuell von The Lancet veröffentlicht wurde. Andere Studien gehen von teils noch viel höheren Prozentsätzen aus. Doch auch bei einem Anteil von 12,7 % kommt man – ohne Berücksichtigung der hohen Dunkelziffern –  bei weltweit aktuell 589 Mio. Infizierten auf 74 Mio. Menschen, die an Long Covid leiden. Für Südtirol mit seinen bisher 252.000 Infizierten sind es über 32.000 Menschen.

Das ist umso beeindruckender, wenn man sich die lange Liste der Symptome vor Augen hält, die laut den meisten Definitionen von Long Covid auch 3 Monate nach einer Covid-Erkrankung anhalten: von Brainfog, also Konzentrationsstörungen, Wortfindungsstörungen, Gedächtnisproblemen und Sprachstörungen, über diverse Schmerzsymptome, Herzrasen, Schwindel, Kurzatmigkeit bis hin zur Verlust oder Veränderung des Geruchssinns und Geschmackssinn. Wie auf der Webseite der Deutschen Gesellschaft für ME/CFS e.V. nachzulesen ist, fallen die häufigsten Beschwerden jedoch unter die Diagnosekriterien der Myalgischen Enzephalomyelitis, des Chronischen Fatigue-Syndroms. „Mehrere Studien deuten darauf hin, dass nach einem halben Jahr Erkrankungsdauer rund die Hälfte der Long-Covid-Betroffenen die Diagnosekriterien für ME/CFS erfüllt“, heißt es dort.

Eine Diagnose, die auch die Linguistin Stephanie Risse im November 2021 erhielt, 9 Monate, nachdem die Mutter von vier Kindern als letzte ihrer Familie schwer an der damaligen Alfa-Variante erkrankt war. Als Risse damals nach vier Wochen, in denen sie vor allem an massiven Kopf- und Augenschmerzen leidet, endlich auf Covid negativ ist und ihre Arbeit als Professorin an der Fakultät für Bildungswissenschaften der unibz wieder aufnimmt, beginnt ihr Leidensweg aber erst richtig. Nach nur wenigen Tagen beginnt sie unter heftigem Herzrasen zu leiden. Die erste von zahlreichen Störungen, die die allseits als Powerfrau bekannte Wissenschaftlerin letztendlich bis April dieses Jahres komplett aus ihrem Leben warf.

Salto.bz. Frau Risse, der Begriff Long Covid wird zwar häufig genannt, so richtig fassen können ihn aber wenige. Wie äußerte sich Long Covid bei Ihnen?

Stephanie Risse: Wenn ich nun alle Symptome aufzählen soll, die ich in diesen 13 Monaten hatte, wird es gleich zu Beginn sehr ausführlich.

Nur zu, dann starten wir gleich mit einem vollständigen Bild.

Also gut. Allen voran eine schwere körperliche und mentale Erschöpfung, die mich in den schlimmsten Phasen wochenlang ans Bett gefesselt hat; eine Hypersensibilität auf akustische und visuelle Reize, die dazu geführt hat, dass ich immer wieder mit Augenbinde in einen komplett abgedunkelten Raum liegen musste. Zudem habe ich in den schlimmen Phasen alles um mich herum gleich laut gehört, Musik ging über ein Jahr lang gar nicht. Der Geräuschpegel in einer Bar oder im Café war für mein Gehör wie eine Folterkammer. Bewegungsstörungen, die bis zur Bewegungsunfähigkeit reichten, mit starken Nervenschmerzen in den Beinen; eine verschlechterte Sehfähigkeit, ich musste in diesem einen Jahr zwei Mal meine Sehbrille wechseln;  teilweise Erscheinungen wie bei Legasthenie und Alzheimer mit absurden Schreibproblemen, Leseproblemen, Wortfindungsstörungen und Gedächtnisverlust; Verlust von Geschmacks- und Geruchssinn, teilweise auch mit Fehlgerüchen, also ich habe Gestank gerochen, der gar nicht da war. Und ja, Hautausschläge hatte ich auch noch.

Sie sind Jahrgang 68, also waren zum Zeitpunkt Ihrer Erkrankung 53 Jahre alt. Hatten Sie bis zur Ihrer Covid-Erkrankung körperliche Beschwerden oder irgendwelche Vorerkrankungen?

Nein, absolut nicht. Ich hatte Null Komma Null Vorerkrankungen, ich bin nicht einmal auf Erdbeeren allergisch!

Und plötzlich waren Sie eine schwerkranke Frau!

Ja, plötzlich bekam ich in meiner ersten Arbeitswoche nach der Covid-Erkrankung erst einmal massives Herzrasen und -schmerzen. Im ersten Moment nahm ich das nicht so ernst, und dachte: Jetzt ruhst du dich am Wochenende schön aus, dann wird das schon wieder. Doch stattdessen wurde es immer schlimmer, also ich dachte tatsächlich an einen Herzinfarkt, und habe am Montag Morgen die Rettung gerufen. In der Notaufnahme hat man aber nichts gefunden. Dort hat es nur geheißen: Solche Herzprobleme können nach einer Infektion schon einmal auftreten, nehmen Sie einfach Betablocker und gehen Sie es langsam an, doch arbeiten können Sie auf jeden Fall.

Haben Sie das dann auch getan?

Nein, ich bin erst einmal nach ein paar Schritten vor dem Brixner Krankenhaus zusammengebrochen. Ich bin dann da auf dem Boden vor dem Haupteingang gesessen, sah auf weiße Kitteln, die an mir vorbeizogen, und habe in meiner Verzweiflung meine Hausärztin angerufen. Die hat aber ebenfalls gemeint, wenn man im Krankenhaus nichts findet, kann sie auch nichts machen und krankschreiben ginge auch nicht.

Long Covid war in all diesen Gesprächen kein Thema?

Von wegen. Das war ja eines meiner größten Probleme. Es hat bis November gedauert, bis ich diese Diagnose endlich schwarz auf weiß gestellt bekam. Bis dahin war ich bei insgesamt 12 Fachärzt:innen – von der Allgemeinmedizin und Innere über Urologie, Gynäkologie, Neurologie, Radiologie, Augenheilkunde, Endokrinologie bis zur Dermatologie und Psychologie. Fast alle privat gezahlt natürlich. Doch jede und jeder schoss sich nur auf eines meiner Symptome ein; die Diagnosen und Therapiehinweise bewegten sich von „Reißen Sie sich zusammen“ und „Putzen Sie sich die Ohren“ bis zu „Verdacht auf Versagen der Nebennierenrinde“. Das war besonders toll, denn diese Diagnose bekam ich zu Weihnachten 2021 und musste vier Wochen zittern, bis die Laborergebnisse endlich vorlagen und Entwarnung gaben. In den ersten Monaten war ich bei einer Internistin. Doch auch sie ließ sich erst von Long Covid bzw. Fatigue überzeugen, nachdem ich nach vielen Monaten vor ihren Augen zusammenbrach. Anfangs war sie überzeugt, dass meine Symptome auf Burnout und die Menopause zurückzuführen sind und ich gab viel Geld für Nahrungsergänzungsmittel und naturheilkundliche Mittel aus. Später dann wurde ich zunehmend in die Schiene Depression gedrängt.

Warum das?

Zuerst, weil es hieß, ich sei so überarbeitet und überanstrengt, auch in meiner familiären Situation, als Geschiedene mit der Verantwortung für vier Kinder. Ich wurde dann zu einer Psychologin geschickt, ich weiß noch genau, wie ich mich mit Stöcken die Stiegen zu ihr in die Praxis hinaufgeschleppt habe. Also, du kannst dich kaum auf den Beinen halten, und dann heißt es: Erzählen Sie mir von Ihrer Familiengeschichte. 

Wer Long Covid hat, sollte genauso gut diagnostiziert und therapiert werden wie beispielsweise Tumorkranke. Ich finde es beschämend, wenn wir dieses weit verbreitete Leiden derart in die Ecke drängen. 

Warum denken Sie erkannte niemand, was Sie wirklich hatten? Weil Long Covid einfach ein solch neues Phänomen ist und noch viel zu wenig Wissen dazu vorliegt?

Das Vertrackte ist sicher, dass Long Covid noch kein fest etabliertes Krankheitsbild ist. Doch obwohl die unterschiedlichsten Symptome auftreten, gibt es doch ein Hauptsymptom, und das ist eben Fatigue. Ich hatte das bis dato selber noch nie gehört, las davon auch nur in der Presse.

Sie meinen das das Chronische Fatigue-Syndrom, die myalgische Enzephalomyelitis?

Ja. Wobei man zunächst nur von „Fatigue“ spricht, erst wenn diese länger als sechs Monate andauert, spricht man abgekürzt von CFS, dem „Chronischen Fatigue Syndrom“. Dieses ist zwar bereits seit 50 Jahren von der WHO als Krankheit anerkannt, allerdings wurde es bisher als seltene Krankheit eingestuft. Das heißt, es gibt wenig Forschung in diesem Bereich und die Krankheit scheint bisher auch nicht standardmäßig im Medizinstudium thematisiert zu werden, obwohl es bereits vor Covid in Italien und Deutschland jeweils geschätzte 200.000 bis 250.000 Betroffene gab, allen voran Frauen. Das Problem bei CFS ist auch, dass es eine unsichtbare Krankheit ist. Es gibt keine eindeutigen klinischen Parameter, keinen eindeutigen Wert im Blut beispielsweise, der als klarer Indikator gilt. Man muss andere mögliche Erkrankungen ausschließen, um Fatigue diagnostizieren zu können.

Sprich, es braucht eine Ausschlussdiagnose?  

Genau. Wobei es schon die sogenannte „Kanadischen Kriterien“ gibt, die allgemein für die Diagnostik angewendet werden und die man zum Beispiel auf den Webseiten der Berliner Charité finden kann. Doch es gibt wenig Spezialisten: in Italien sind es gerade ein halbes Dutzend Ärzt:innen, in Deutschland gibt es an der Charité für Erwachsene und an der LMU München für Kinder und Jugendliche je eine kleine Abteilung, auch in Wien gibt es meines Wissens ein Zentrum. Aber die meisten holen sich irgendwann die Infos über Selbsthilfegruppen.  

 

Als Hauptsymptom von Long Covid wird seine Bekanntheit nun wohl drastisch steigen. Wie sind Sie letztendlich zur Diagnose Fatigue gekommen?

Üblicherweise spricht man bei uns nach über sechs Monaten von „Long Covid Chronisches Fatigue Syndrom“, um zu kennzeichnen, dass Covid19 der Auslöser ist. Bislang kannte man CFS als ein von anderen schweren Viruserkrankungen ausgelöstes Leiden, etwa vom Barr-Epstein-Virus, dem „Pfeifferschen Drüsenfieber“. Das alles habe ich aber auch erst herausgefunden, als ich irgendwann so verzweifelt war, dass ich begonnen habe, selbst zu recherchieren. In den ersten Monaten dachte ich immer: Du hast deine Ärzt:innen, das sind Fachleute, also bringt es nichts, zusätzlich rumzugoogeln. Aber als der Sommer dann langsam vorbeizog, und mir klar wurde, dass ich auch nicht fit für das Wintersemester sein würde, weil es mir immer schlechter statt besser ging, habe ich meine Strategie gewechselt. Und dann wurde ich eigentlich recht schnell auf der Homepage der Charité fündig, also ich habe mich komplett in ihren Beschreibungen wiedergefunden.

Worin konkret?

Ein klarer Hinweis auf Fatigue ist, dass das Energielevel von Tag zu Tag stark schwanken kann. Ich habe in den ersten Monaten den großen Fehler gemacht, viel zu sehr über meine Kräfte hinauszugehen. Auch weil der Ratschlag der Ärtz:innen lautete: so viel frische Luft und Bewegung wie möglich. Ich altes Schlachtross habe dann also mit eisernem Willen und meinen Stöcken versucht, mein Übel weg zu trainieren. Und dabei ist es mir zum Beispiel passiert, dass ich an einem Tag ohne große Probleme einen harmlosen Wanderweg in Richtung Plose gehen konnte. Einen Tag später bin ich auf demselben Weg drei Schritte gegangen, dann musste ich mich in den Schnee setzen und konnte mein Bein nicht mehr hoch heben. Das war damals mein erster richtiger Fatigue-Schub. Ich weiß nicht, wie oft mich meine Kinder danach irgendwo in Brixen abholen mussten, weil ich nicht mehr nach Hause kam. Um sie zu entlasten, habe ich mir dann später mit Hilfe eine Freundes eine „Ehrenmänner-Whatsupp-Gruppe“ geschaffen. Wenn ich wieder irgendwo festhing oder auch jemanden brauchte, der mich ins Krankenhaus führte, konnte ich dort reinschreiben, und jemand hatte immer Zeit. Das war richtig großartig!

Du bist erschöpft ohne Grund, hast innerlich das Gefühl, es gibt irgendwo ein Loch in deinem Körper, aus dem die ganze Lebensenergie hinausfließt. Und wenn es ganz schlimm wird, wenn du deine Grenzen überschreitest, kommt der sogenannte Crash.

Das heißt, an einem Tag auffällig weniger schaffen als an einem anderen, kann ein Hinweis auf das Fatigue-Syndrom sein?

Ja, und diese klare Symptomatik habe ich sofort auf der Homepage des Charité Fatigue Centrums  wiedererkannt. Genauso wie eine Reihe anderer Symptomatiken wie Nervenschmerzen in Beinen oder motorische Ausfälle. Dort habe ich dann ein halbes Jahr nach meiner Erkrankung auch erstmals gelernt, dass die einzige Selbsthilfe darin besteht, zu erkennen, wo meine Grenzen sind und nicht darüber hinauszugehen. Dafür wendet man das sogenannte „Pacing“ an, ein Verfahren, das Herzkranke sehr gut kennen.

Wie funktioniert Pacing?

Man muss sich selber sehr gut beobachten und genau notieren, welches Energielevel man hat. Ich bewerte also auf einer Skala von 0 bis 10, wie viel Anstrengung ich an einem Tag schaffe – und zwar körperlich, geistig und emotional – ohne zusammenzubrechen. Und dieses Level darf man dann nicht überschreiten, wenn man zumindest irgendeine Lebensqualität haben will oder beispielsweise auch nur einen Besuch beim Arzt vor sich hat. Wenn ich einen Termin im Krankenhaus hatte, musste ich bereits drei Tage vorher sehr viel liegen, um den Termin überhaupt zu schaffen. Ich habe nach dieser Methode monatelang Tagebuch geführt. Dadurch merkt man überhaupt erst, was alles Energie kostet. Sich freuen, zum Beispiel oder über etwas nachdenken. Traurig sein kostet allerdings noch mehr.

Waren Sie oft traurig?

Ja sicher. Verzweifelt. Ich war vor allem total kraftlos. Du bist erschöpft ohne Grund, hast innerlich das Gefühl, es gibt irgendwo ein Loch in deinem Körper, aus dem die ganze Lebensenergie hinausfließt. Und wenn es ganz schlimm wird, wenn du deine Grenzen überschreitest, kommt der sogenannte Crash. Dann wird die Kraftlosigkeit so massiv, dass man teilweise nicht mehr stehen, essen oder reden kann. Du hast einen Bleisack auf dem Kopf, kannst die Augen nicht mehr offenhalten. Es ist wie gelähmt sein, man kann nur mehr liegen und atmen. Da hast du dann einen Energiewert von etwa 10 bis 20 Prozent.

Und das haben Sie auch erlebt?

Ja, mehrmals. Das erste Mal dauerte es drei Tage, das letzte Mal drei Wochen. Das Schlimme ist, dass ich immer am Ende dieser Phasen massive Suizidgedanken entwickelt habe. Und obwohl ich so kraftlos war, hat mein logische Denken noch voll funktioniert. Ich habe mir genau überlegt, dass ich es zum Balkon zwar irgendwie schaffen würde, aber der dritte Stock nicht hoch genug ist. Die nächste Brücke über den Eisack war wiederum zu weit weg, bis dahin hätte ich es eh nicht geschafft.

Das sind extreme Erfahrungen.

Ja, aber durchaus übliche Begleiterscheinungen von schwerer Fatigue. Und leider weiß ich auch von Fällen, in denen Menschen sich in dieser Situation tatsächlich das Leben genommen haben, weil man ihren Zustand nicht richtig eingeordnet hat, weil ihnen nicht rechtzeitig geholfen wurde.

Es wäre zum Beispiel schon mal wichtig, bei der Veröffentlichung der Covid-Zahlen auch die Betroffenen von Long Covid zumindest mal zu erwähnen. In der offiziellen Statistik läuft jemand wie ich als „milder Verlauf“ und „genesen“ und das war es.

Wie haben Sie sich geholfen oder wie wurde Ihnen geholfen?

Da gibt es unterschiedliche Hilfestellungen. Ich habe mich mit Händen und Füßen gegen Antidepressiva gewehrt, denn es war mir klar, dass der Auslöser meiner Suizidgedanken immer ein „Crash“ war. Wenn der Crash vorbei war, und ich wieder halbwegs stabil, waren sie wie weggeblasen. Daher habe ich auch hier „Hilfe zur Selbsthilfe“ angewendet: Ich hatte einen Freund, der ist eher wortkarg, aber mental sehr stabil. Ich schrieb ihm dann per WhatsApp Messages wie: Ich kann nicht mehr, ich will von einer Brücke springen. Er blieb ganz ruhig, antwortete immer sofort mit wenigen Worten so, dass ich mich wieder selber stabilisieren konnte. Das war ein großes Glück. Dann habe ich über einen Physiker sehr hilfreiche Meditations- und Atemtechniken entdeckt, auf der Basis der „positiven Psychologie“ und neurowissenschaftlichen Studien des Max-Planck-Instituts zu mentalem Training und Stressresilienz. Ich habe mir aber auch „Mr Bean“ Clips angeschaut oder eine Geschichte gelesen: „Come prepararsi serenamente alla morte“ von Umberto Eco. Drei Seiten im Großdruck, da habe ich mich buchstäblich totgelacht. Und dann gemerkt, wie meine körperlichen Kräfte wieder zurückkamen. Sobald das passierte, verschwanden auch die Suizidgedanken wieder. Als ich diesen Mechanismus verstanden hatte, begann ich mich sehr auf meine rationale Denkfähigkeit zu konzentrieren, um meine Emotionen in Schach zu halten.

 

 

Sie sind seit April 2022 wieder vollständig von Long Covid genesen, können wieder an der Universität forschen und unterrichten, schreiben wissenschaftliche Artikel auf Englisch, Deutsch, Italienisch und Russisch. Noch ein halbes Jahr davor haben Sie dagegen keinen geraden Text hinbekommen. Sie haben uns eine Textprobe ihrer Schreibübungen zur Verfügung gestellt, die Sie damals als Teil eines Pakets von Konzentrationsübungen für sich selbst entwickelt haben, und die vor Fehlern nur so strotzen. Wie heilt man also von Long Covid, wie ist es Ihnen gelungen?

Darauf gibt es nur individuelle Antworten. Oft vergehen die Symptome mit der Zeit, oft bleiben sie und werden chronisch. Ich habe ab dem Moment, in dem ich die Verantwortung für meine Erkrankung selbst in die Hand genommen habe, Verschiedenes probiert und ganz offen gesagt, dann irgendwann auch einfach meine Kontakte in der Wissenschaftswelt genutzt. Ich weiß, wie Wissenschaft funktioniert und habe daher auch keine Angst vor Forschung, im Gegenteil. Mir war klar, wenn ich als „Versuchskaninchen“ in eine Studie reinkomme, dann habe ich eine Chance.

Und: konnten Sie Versuchskaninchen spielen?

Letztendlich bin ich als Probandin in drei Studien: einer Medikamententestung an der Abteilung für Neurorehabilitation in Sterzing mit Dr. Viviana Versace und Dr. Paola Ortelli, die letztendlich leider erfolglos blieb. Dennoch habe ich „die Sterzingerinnen“ als die einzige Anlaufstelle in Südtirol für Long Covid-Erkrankte erlebt, mit regelmäßigen Long Covid-Sprechstunden und einem eigens entwickelten Testverfahren. Außerdem bin ich noch in einer großen bayerischen Studie mit drin, unter Leitung von Prof. Hohberger an der Augenuniklinik Erlangen. Und ich habe die Hyperbare Sauerstofftherapie in Bozen ausprobiert, das ist eine anerkannte Therapiemethode, bei der einem in Druckkammern über Masken reiner Sauerstoff zugeführt wird. Diese Methode wird mittlerweile bei Long-Covid-Kranken eingesetzt und wissenschaftlich begleitet; bei einigen mit gutem Erfolg. Ich musste allerdings nach acht Sitzungen abbrechen, weil ich es körperlich nicht schaffte, täglich nach Bozen zu fahren.  

Das heißt, keines dieser Programme hat Ihnen letztendlich geholfen?

Mir hat letztendlich die Ionen-Zyklotron-Resonanz-Therapie geholfen. Dabei werden ultraschwache elektromagnetische Wellen ausgesendet, die den Austausch von Ionen durch die Zellmembranen fördern. Das ist eine Methode, die seit rund 10 Jahren bei schweren neurodegenerativen Erkrankungen wie Parkinson, Multiple Sklerose oder eben auch Fatigue eingesetzt wird. Zufällig bin ich durch den Hinweis einer Freundin draufgekommen, dass bei mir um die Ecke ein ehemaliger Internist des Krankenhaus Sterzing, Dr. Peter Thüringer, eine Hausarztpraxis hat. Und dieser hatte sich kurz zuvor ein solches Quec-Phisis-Gerät angeschafft.  

Und damit behandelt er auch Long-Covid-Patient:innen?

Ja, er hat sich mit Kollegen in Italien und Kanada kurzgeschlossen, um die Methode bei Long-Covid-Patient:innen einzusetzen. Ich war seine fünfte Patientin und wohl auch deswegen ein schwerer Fall, da bei mir neben der körperlichen auch die mentale Erschöpfung so ausgeprägt war. Ich war gerade in meinem schlimmsten Crash, habe ihn kontaktiert und sofort einen Termin bekommen. Dr. Thüringer hat mir aber gleich gesagt: Ich kann ihnen nichts versprechen, doch die Methode hat keine Nebenwirkungen und im schlimmsten Fall passiert nichts.

Tatsächlich ist aber etwas passiert …

Ja, schon nach der ersten halbstündigen Sitzung konnte ich am nächsten Morgen das erste Mal seit einem Monat wieder „Spazierengehen“.  Oder sagen wir besser: Ich habe eine Strecke, die ich heute in 3 Minuten zurücklege, in 60 Minuten geschafft. Ein paar Schritt gehen, an einer Hausmauer anlehnen, ein paar Schritte gehen, wieder rasten. Das war meine Fortbewegungsart. Ich weiß seit meiner Erkrankung auch ganz genau, wie viele Schritte ich wohin brauche und kenne jeden Blumenkübel und jede Parkbank in der Brixner Altstadt, weil ich auf allen sehr oft und lange gesessen bin. Doch an diesem Samstag habe ich geweint vor Freunde, als ich es dann endlich bis auf eine Bank am Brixner Domplatz geschafft hatte.

 

Der Anfang vom Ende eines langen Leidens?

Ja, es hat dann schon noch zwei Monate gebraucht, bis ich wieder vollständig geheilt war. Ich habe 20 dieser Sitzungen gemacht; anfangs in kurzen Abständen, dann in immer größeren. Zuerst wich die körperliche Erschöpfung, dann ging es mir auch sonst immer besser, ich konnte mein Energielevel zunehmend halten und ausbauen. Zu guter Letzt verschwanden auch die Hypersensibilität und der Schwindel und sogar mein Geruch und Geschmack, also alle Sinnesfunktionen sind wiederhergestellt. Übrigens hat mich in der Zeit noch eine zweite Covidinfektion erwischt, mit Symptomen, aber harmlos, ich war ja mittlerweile auch geimpft.  

Würden Sie die Ionen-Zyklotron-Resonanz-Therapie also auch anderen Long-Covid-Patient:innen weiterempfehlen?

Ich kann nur sagen: bei mir hat sie wunderbar angeschlagen. Ich kenne aber beispielsweise auch eine andere Patientin, bei der sie leider nicht geholfen hat. Es gibt nun zum Glück einige Methoden, mit denen Erfolge erzielt wurden, aber Garantien gibt es keine.

Leider weiß ich auch von Fällen, in denen Menschen sich in dieser Situation tatsächlich das Leben genommen haben, weil man ihren Zustand nicht richtig eingeordnet hat, weil ihnen nicht rechtzeitig geholfen wurde.

Was nehmen Sie aus dieser extremen Periode mit?

Wahrscheinlich das, was alles sagen, die solche Momente zwischen Leben und Tod miterlebt haben. Ich empfinde es als ein unglaubliches Geschenk, eine zweite Chance erhalten zu haben, indem ich wieder vollständig genesen bin. Und das hat schon etwas mit mir gemacht: Ich achte jetzt stärker darauf, dass es mir gutgeht, bin auch weiterhin sensibler für meine Grenzen als früher, habe also das „Pacing“ in meinen neuen Alltag integriert. Auch aus den Erfahrungen mit meiner Hypersensibilität heraus versuche ich, Multitasking so konsequent wie möglich zu vermeiden, ich meditiere immer noch, betreibe Sport. Und: ich versuche meine Erfahrungen zugunsten der Menschen einzubringen, die immer noch an Long Covid leiden.

Wie?

Während ich krank war, habe ich mir immer wieder ausgemalt, was ich machen würde, falls ich wieder gesund werde. Zuerst dachte ich, feiern, Prosecco trinken oder irgendwelche Gipfel stürmen, doch dann stand mir plötzlich klar vor Augen: Wenn ich wieder reden kann, will ich ganz laut sagen, dass es noch Hunderte und Tausende Menschen gibt, denen geholfen und geglaubt werden muss. Ich habe in dieser schweren Zeit oft erlebt, was es heißt, durch die „Mühlen der Medizin“ gedreht zu werden. Zwischendurch hatte ich einen heiligen Zorn, wenn mir nicht geglaubt wurde. Ich bin Professorin, habe akademische Titel wie Ärzt:innen auch und nicht mal ich wurde immer ernst genommen. Und so geht es vielen anderen Menschen auch. Auch weil Covid mittlerweile so eine politisierte Krankheit ist. Doch wer Long Covid hat, sollte genauso gut diagnostiziert und therapiert werden wie beispielsweise Tumorkranke. Ich finde es beschämend, wenn wir dieses weit verbreitete Leiden derart in die Ecke drängen. Umso dankbarer bin ich denjenigen, die die Krankheit ernst nehmen und ihr Wissen und Können für die Patient:innen einsetzen.  

Was sollte passieren, damit Long Covid ernster genommen wird?

Es wäre zum Beispiel schon mal wichtig, bei der Veröffentlichung der Covid-Zahlen auch die Betroffenen von Long Covid zumindest mal zu erwähnen. In der offiziellen Statistik läuft jemand wie ich als „milder Verlauf“ und „genesen“ und das war es. Auch medial sehe ich zu wenig Berichterstattung über ein gesellschaftlich so wichtiges Thema. Denn es kostet jede Menge Geld, wenn so viele Erwerbstätige chronisch krank und bisweilen arbeitsunfähig werden. Das Durchschnittsalter bei Long Covid liegt nach aktuellen Schätzungen bei unter 50 Jahren! Vor allem aber sollte das Wissen, das wir mittlerweile über die typischen Long-Covid-Symptomatik haben bei den Verantwortlichen angekommen sein. Ich habe schon vor Monaten persönliche Mitteilungen an einige Verantwortliche in der Sanität geschrieben, vorgeschlagen, wenigstens eine Website mit den wichtigsten Infos zu erstellen. Ich habe angeboten, mich einzubringen, meine Infos weiterzugeben, ich bekam aber leider keine Antwort. Ob Forschung, Therapie oder Information: Es braucht schon auch einen Willen, um die vielfach gravierenden gesundheitlichen Folgen von Covid anzuerkennen und besser in den Griff zu bekommen. Wer Long Covid hat, hat nicht die Kraft, dafür einzutreten. Deshalb braucht es Gesunde und Fachleute, die für die Kranken sprechen und sich einsetzen.

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Hartmuth Staffler Mon, 08/22/2022 - 12:33

Der eindrucksvolle Bericht zeigt auf, wie wichtig Schutzmaßnahmen, in erster Linie die Impfung, sind, damit man die Krankheit gar nicht erst bekommt.

Mon, 08/22/2022 - 12:33 Permalink
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Peter Gasser Mon, 08/22/2022 - 14:16

In reply to by Hartmuth Staffler

... dazu kann man sagen, dass es in der Natur der Sache liegt, dass es früher oder später jeden trifft; die Impfung aber großteils den Weg ins Krankenhaus und ev. auch Long-Covid erspart...
... letzthin hat es auch mich „erwischt“: Fieber, Gliederschmerzen, anhaltender Husten, endlos laufende Nase, Geruchsverlust, komischer Geschmack im Mund... 2 Wochen lang...

Mon, 08/22/2022 - 14:16 Permalink
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Salto User
Manfred Gasser Mon, 08/22/2022 - 15:44

Vielleicht weil es in diesem Bericht um ganz was anderes geht?
Und wenn Sie den Drang verspüren, über Impf-Nebenwirkungen könnten Sie ja was schreiben, am besten wäre der Bericht eines Betroffenen. Aber bitte mit Bild und Namen, danke.

Mon, 08/22/2022 - 15:44 Permalink
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Hartmuth Staffler Mon, 08/22/2022 - 17:58

Es hat in der Vergangenheit Impfungen gegeben, bei denen die Nebenwirkungen häufig und schwerwiegend waren, z.B. die Polio-Impfung von Sabin mit Lebendimpfstoff, die nicht selten zum Ausbruch der Krankheit führte. Trotzdem wurden alle diese Impfungen akzeptiert, weil der Nutzen immer größer war als der Schaden. Die verschiedenen Corona-Schutzimpfungen zählen zu den Impfungen mit den wenigsten und den schwächsten Nebenwirkungen. Trotzdem hat sich gegen diese wertvolle Impfung eine regelrechte Hysterie entwickelt. Und auch manche Politiker versuchen, auf diese Hysteriewelle zu reiten., eine erbärmliche Haltung.

Mon, 08/22/2022 - 17:58 Permalink
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Hartmuth Staffler Sat, 08/27/2022 - 15:49

In reply to by Gerold FIEDLER

Es gibt keine Impfung ohne Nebenwirkungen, aber es gibt keine Impfung mit so wenig Nebenwirkungen wie die verschiedenen Covid-Impfungen. Das nennt man Statistik, aber daneben gibt es natürlich auch Glauben, der etwas anderes sagt, aber der hat mit Wissen nichts zu tun. Über Glaubensansichten kann man allerdings nicht diskutieren, man glaubt einfach und fertig. Ich erspare ihnen daher Angaben über die Effizienz der verschiedenen Impfungen, Häufigkeit und Schwere von Nebenwirkungen. Ich will ihren Glauben nicht erschüttern.

Sat, 08/27/2022 - 15:49 Permalink
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Stefan S Mon, 08/22/2022 - 22:32

In reply to by M A

Was auch Unsinn ist, sicher gibt es Nebenwirkungen auch bis zum Tod.
Aber nach jetzigen Kenntnisstand überwiegt eindeutig der Nutzen der Impfung.
Und so manche sonstige Schutzmaßnahme war auch ein Schuß in den Ofen und hat ausgerechnet die besonders Schutzbedürftigen indirekt getroffen wie Kinder/Jugendliche/Senioren.

Mon, 08/22/2022 - 22:32 Permalink