Environment | Hitzewelle

Insekten, das ausartende Problem?

Große Teile Europas leiden unter Hitzewellen– Entomologe Hannes Schuler über die Auswirkungen der hohen Temperaturen auf Schädlinge und was noch auf uns zukommen wird.
Hinweis: Dies ist ein Partner-Artikel und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.
Blattlaus
Foto: (c) pixabay

Eine Wespe im Getränk, Mückenstiche auf dem ganzen Körper und Käfer im Gemüsebeet: Sommerzeit ist auch Insektenzeit. Insekten tauchen normalerweise im Sommer auf, um dann den Winter über wieder zu verschwinden. Der Klimawandel und die damit fast jährlich rekordbrechenden Temperaturen beeinflussen jedoch diesen einst stabilen Zyklus: „Wir können uns nur schwer vorstellen, was in puncto Insekten und Schädlingen noch auf uns zukommen wird.“, erklärt Hannes Schuler. Schuler unterrichtet verschiedene Bereiche der Entomologie, also der Insektenkunde, an der Freien Universität Bozen, spezialisiert hat er sich auf die Symbiose zwischen Insekten und Bakterien oder Pilzen.

Salto.bz: Herr Schuler, was bedeutet es für Insekten, wenn die Temperaturen tage- oder wochenlang so hoch sind?

Hannes Schuler: Das hängt ganz von der Insektenart ab. Die meisten Insekten lieben es warm. Je wärmer es ist, desto besser können sie sich reproduzieren. Bei ca. 30-35°C haben die meisten Insekten ihr Optimum, sie reproduzieren sich schneller und ihre Lebenszyklen sind kürzer. Das heißt, vom Ei bis zum erwachsenen Tier vergehen teilweise nur wenige Tage.

Was bedeutet eine hohe Reproduktion für die Landwirtschaft?

Wenn man zum Beispiel Läuse beobachtet, haben diese ihr Temperaturoptimum bei ca. 35°C. Durch die hohe Reproduktion sind plötzlich auf einem Feld ein Vielfaches an Läusen, dies schädigt dann die Ernte bzw. das Ökosystem.

Gilt diese „Je heißer, desto besser“-Regel bei Insekten immer?

Wenn die Temperaturen Richtung 40°C gehen, wird es auch für Schädlinge zu heiß. Viele der Insekten fahren dann ihre Zyklen wieder zurück und legen keine Eier mehr bzw. die Eier schlüpfen nicht mehr. Ab einer gewissen Hitze wächst die Insektenpopulation also nicht mehr, sondern sie geht zurück. Dennoch muss man prinzipiell sagen, dass die warmen Temperaturen durch den Klimawandel Insekten und damit auch Schädlinge positiv beeinflussen.

Es gibt auch Insekten, die für das Ökosystem von zentraler Bedeutung sind. Was bedeutet der Einfluss der Hitze auf die Insekten für die Umwelt?

Natürlich sind nicht alle Insekten Schädlinge, in unserem Ökosystem gibt es auch eine Menge an Nützlingen, ohne die unsere Natur nicht funktionieren würde. Teilweise können diese Insekten ebenfalls von der Hitze profitieren. So führen etwa die wärmeren Winter zu einer verminderten Mortalität bei den Insekten. Doch ebenso wie die Schädlinge leiden auch Nützlinge unter zu hohen Temperaturen. Musterbeispiel Honigbiene: Sie ist zwar heutzutage weniger ein natürliches Insekt als ein kultiviertes Agrarsystem, man kann aber sowohl bei gezüchteten Bienenstöcken als auch bei Wildbienen beobachten, dass im Bienenstock versucht wird, die Brut auf unter 35°C zu kühlen.

„Generell bilden Extremtemperaturen wie die der letzten Wochen ein Problem für Insekten, aber dieses Problem ist weniger groß als der Winter. Dieser ist des Insektes eigentlicher Erzfeind“ – Hannes Schuler

Stichpunkt Winter, was bedeuten wärmere Winter für Insekten?

Wie erwähnt bilden Winter das zentrale Problem für Insekten, besonders bei uns, wo es im Winter sehr kalt werden kann. Über die Jahre haben die Insekten verschiedene Methoden gefunden, sich über den Winter zu erhalten. Die Laus zum Beispiel überwintert im Ei-Stadium, im Frühjahr schlüpft daraus die Mutter. Hier wurde festgestellt, dass bestimmte Lausarten inzwischen auch in ihrer erwachsenen Version überwintern können. Diese können sich somit gleich zu Beginn des Frühjahrs vermehren, es entsteht ein größeres Reproduktionspotential.

Dies wirkt sich auf Landwirtschaft aus, aber nicht nur…

Landwirtschaft, Ökosystem, alles ist betroffen. Vieles wird sich in den nächsten Jahren ändern. Die Zyklen der Insekten ändern sich grundlegend. Es gibt zum Beispiel Insekten, die bis jetzt immer ein bis zwei Generationen pro Jahr produzieren konnten. Jetzt aber, durch die frühe erste Generation, können sich bis zu drei Generationen pro Sommer bilden. Das Schadpotential in der Landwirtschaft nimmt zu, aber auch das ganze Ökosystem wird davon beeinflusst. Der Winter hat aber noch eine ganz andere wichtige Rolle, er dient auch als natürlicher Schutzfaktor vor invasiven Schädlingen.

Was sind invasive Schädlinge?

Unter invasiven Schädlingen versteht man exotische Insekten, die durch Tourismus oder Handel von anderen Ortschaften in die Zone geschleppt wurden. Solche Insekten können sich den Sommer über eventuell ausbreiten, normalerweise überleben sie den Winter jedoch aufgrund der ungewohnt kalten Temperaturen nicht. Inzwischen kann man jedoch immer öfters beobachten, dass exotische Insekten in unseren Breitengraden überwintern können und sich somit langsam etablieren. Diese Insekten können ein über Jahre hinweg eingespieltes Ökosystem Hals über Kopf stellen. Beispiele dafür gibt es bereits eine Menge, etwa die Kirschessigfliege, die in den 2000ern eingeschleppt wurde und sich inzwischen etabliert hat, oder die marmorierte Baumwanze. Diese Schädlinge führen bereits jetzt zu großen Schäden, für die Zukunft ist es plausibel, dass sich noch viele neue Arten, die wir jetzt vielleicht noch gar nicht kennen, bei uns einleben werden.

Gilt dies auch für exotische Insektenarten, die wir eigentlich bereits ausgerottet haben, wie etwa die Malaria-Mücke?

Auch ein Zurückkommen der Malaria-Mücke ist mehr als plausibel. Bei Stechmücken generell kann man beobachten, dass sie wärmeliebend sind. Durch den Klimawandel stoßen Mücken immer weiter in den Norden vor, teilweise findet man in Norddeutschland Stechmücken, die vor einigen Jahren nur im Süden Europas aufzufinden waren. Der Unterschied liegt im Winter, den die Mücken nun auch in nördlicheren Breiten überleben können. Gutes Beispiel für unsere Zone ist die Tigermücke, einst aus Asien eingeschleppt, inzwischen aber schon längst in ganz Italien etabliert. Bislang gibt es zum Glück nur wenige Fälle von Krankheiten, die von Stechmücken übertragen wurden, aber das kann sich in der Zukunft auch noch ändern.

In Italien und auch anderen Orten herrscht eine Wasserknappheit. Benötigen Mücken nicht feuchte Gebiete, um sich zu vermehren?

Mücken mögen es generell feucht. Mückenlarven findet man vor allem in Pfützen und kleineren Dümpeln. Dies wird momentan auch zum Problem der Stecher. Aufgrund der geringen Niederschläge und der hohen Temperaturen versickern die stehenden Wasservorkommen, so können sich Mücken nicht so vermehren, wie sie es bei normalem Niederschlag könnten. Ausnahmen bilden jedoch weiterhin die Gärten, in denen jemand vergessen hat, einen Blumentopf auszuleeren oder den Wasserhahn ganz zuzudrehen. Dies ist eine Einladung für Mücken, die nur selten ausgeschlagen wird.

Wie will man diesen Insektenansturm in den nächsten Jahren stoppen?

Es ist schwierig, wirksame Methoden zu finden, da man Temperaturen nur schwer beeinflussen kann. Wir müssen in puncto Pflanzenschutz umzudenken und bereits im Frühjahr handeln. Zurück zum Beispiel der Läuse ist es viel effizienter, die überwinternde zukünftige Lausmutter zu bekämpfen, als dann im Sommer die tausenden Läuse. Ein großes Forschungsgebiet sind auch biologische Schutzmethoden, dies ist auch ein Aspekt meiner Spezialisierung.

Wie kann man durch Symbiose Pflanzen schützen?

Symbiose bedeutet, dass zwei verschiedene Organismen zusammenleben, um gegenseitige Bedürfnisse zu erfüllen und sich zu ergänzen. Speziell in der Entomologie nehmen wir Bakterien oder Pilze her, welche mit einem gewissen Insekt in Symbiose leben. Anschließend erforschen wir, was für eine Reaktion die Insekten zeigen, wenn man sie von den Bakterien fernhält bzw. wie viele der Bakterien oder Pilze für das Insekt essenziell sind. Somit erhoffen wir uns, Möglichkeiten zu finden, die Schädlinge zu bekämpfen.

Was sind die Prognosen für die nächsten Jahre?

Die Prognosen sind nicht allzu gut. Zum einen gibt es die Vorschrift der EU, bis 2030 Pestizide auf 50% zu reduzieren und stattdessen organische Mittel einsetzen, welche noch nicht so effizient sind. Auf der anderen Seite nimmt der Druck der Schädlinge von Jahr zu Jahr aufgrund des Klimawandels zu. Ausgehend von diesen Gegebenheiten werden wir sicher noch mehr Probleme mit Insekten bekommen.

Was für Probleme können das sein?

Aufgrund der schwächeren Pflanzenschutzmittel wird der Insektenbefall in der Landwirtschaft sicher zunehmen, die warmen Temperaturen werden diese Entwicklung weiter beschleunigen und neue exotische Insektenarten werden sich bei uns einleben. Großes Thema ist zurzeit der Japankäfer, der sich in der Lombardei und im Süden der Schweiz ausgebreitet hat. Man versucht dort zwar alles Mögliche, um ihn in Schach zu halten, aber es ist nur eine Frage der Zeit, bis er auch in Südtirol auftaucht. Der Japankäfer ist polyphag, das heißt er kann sich von vielen verschiedenen Wirtspflanzen ernähren, diese frisst er kahl. Durch seine fast ungebremste Fortpflanzung können ganze Agrarkulturen verschwinden. Viele solcher Insekten stehen vor den Toren Europas und sind noch nicht mal bekannt.

Ist momentan der falsche Zeitpunkt, von Pestiziden wegzusteuern?

Das muss man abwägen. Man hat Pestizide verboten, um die Natur zu schützen und auch die Lebensmittel reinzuhalten. Miteinher geht auch das Bewusstsein, dass in Zukunft landwirtschaftliche Betriebe stärker von Insekten heimgesucht werden. Und wenn es das Ziel ist, die Produktion zu schützen, hat keiner was davon, wenn es hohe Ausfälle durch Schädlinge gibt. Zudem muss man sich auch immer ins Gewissen rufen, dass nicht jedes biologische Pflanzenschutzmittel besser als die chemischen Mittel ist. Die giftigsten Gifte macht immer noch die Natur selbst. So gibt es Gifte wie Arsenide, die könnte man niemals einsetzen.

Es braucht also einen Mittelweg?

Schlussendlich wird sich eine Lösung finden, wohl oder übel. Aber natürlich habe ich schon ein Problem damit, dass die EU hergeht und einfach sagt, sie möchte nun 50% der Pestizide absetzen. Es ist naiv zu denken, dass man nur noch die Hälfte an Pestiziden verwendet, aber dennoch heiter weiterproduzieren kann. Eine Diskussion um Pestizide ist wichtig und gut, umso weniger Pestizide eingesetzt werden, desto besser ist das für uns und das Ökosystem. Aber dennoch muss es möglich sein, Lebensmittel zu produzieren. Wenn es durch die verminderten Pflanzenschutzmittel zu großen Ausfällen kommt, können das dann schlussendlich die Lebensmittel sein, die am Ende fehlen.

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Dietmar Nußbaumer Fri, 08/19/2022 - 21:40

Die Weltbevölkerung steigt und daher ist die Produktion von Lebensmitteln vorrangig. Pflanzenschutzmittel, die nur kosmetische Verbesserungen erzielen, sind nicht unbedingt nötig. Das hängt aber mehr vom Handel ab, als vom Konsumenten. Der Konsument lässt sich mit drei Erklärungen überzeugen, der Handel nicht. Ein Beispiel: Äpfel, an denen die chinesischen Wanzen gesaugt haben, bekommen unschöne dunkle Flecken. Die Früchte sind aber lagerfähig und faulen nicht. Ich schneide die Flecken weg und esse den Apfel.
In Zukunft werden wir uns den unsinnigen Luxus von perfektem Obst und Gemüse wahrscheinlich gar nicht mehr leisten können (weil wir werden froh sein müssen, dass möglichst viele genug zum Essen bekommen, zu einem bezahlbaren Preis).

Fri, 08/19/2022 - 21:40 Permalink