Culture | Berlin

I'm a teach that bitch

Eine subjektive, kulturelle Rundfahrt im Herbst in Berlin

"I bin aus Truden, woasch wo sell isch?", das ist die einzige Frage neben jener, woher ich komme, die mir der ziemlich junge Typ, nackter Oberkörper, sattes Lächeln, im Berliner Berghain, stellt. Neben ihm eine rundliche, gepiercte und ebenso satt strahlende, ebenso im Südtiroler Dialekt raunende Frau im knappen SM-Outfit. Meine zwei neuen, italienisch sprechenden Freunde haben auf die beiden gedeutet, die Leute kennen sich untereinander. Manche sind oft da: an jedem Wochenende, wenn der Club aufsperrt, stellen sie sich in die Reihe, um in ihr erträumtes Reich, wo alles möglich ist, zu gelangen. Drinnen gilt das Bilderverbot, die Kameras werden am Eingang abgenommen, die Handykameras mit einem Sticker zugeklebt. Der Mythos soll erhalten bleiben.

Im KW Institute for Contemporary Art in der Auguststraße läuft bis zum 15.11. "Welcome to the Jungle", Teil des Kooperationsprojektes STADT/BILD von 4 Berliner Institutionen, das als späte Reaktion auf den Kunstboom in Berlin ins Leben gerufen wurde, so die Chefkuratorin des KW, Ellen Blumenstein.
Der Dschungel, der hier beleuchtet wird, ist einer, der im Menschen angesiedelt ist, und einer, der vom Menschen geschaffen ist: die Großstadt. Die meisten der gezeigten Arbeiten von großteils jungen KünstlerInnen, wovon zwei Drittel aus Berlin stammen, haben eine ironische Distanz zu dem Leitthema, befragen und kritisieren unsere Sehnsucht nach dem wilden Dschungel. Sie begleiten mit der Kamera ihre Touren auf der Suche nach ihm, wie z.B. Melanie Bonajo in ihrem Video "Night Soil - Fake Paradise" (2015), dem es gelingt, die Ayahuasca-Erfahrungen von Frauen zur Sprache zu bringen und dabei gleichzeitig feministisch, humorvoll, künstlerisch-schöpferisch und kritisch zu sein. Bei Marianne Vlaschits' Installation "Malibu Moonrise" (2012/15) hingegen empfängt uns eine Welt aus Pappmännern, Plastikpalmen und verzerrter Opernmusik, die gleichzeitig eine feuchte Baumarktvision der in ihrer Wohnung vor sich hinträumenden "Die Bunte"-Leserin wie von einem schwulen Partygänger sein könnte.

Marianne Vlaschits, MALIBU MOONRISE, 2012/2015. Foto: M. Kaserer

Das filmische Begleitprogramm hat die Portugiesin Filipa Ramos zusammengestellt (die auch bei BAU in Südtirol dabei ist). Der erste gezeigte Film "Ming of Harlem: Twenty One Storeys in the Air" (Phillip Warnell, 2014) erzählt die wahre (Liebes)Geschichte zwischen Antoine Yates, der zwischen 2000 und 2003 in einer Sozialwohnung in Harlem mit dem Tiger Ming, dem Krokodil Al und weiteren Tieren seine Wohnung geteilt hat. Auch hier erhalten wir eher einen Zugang in die Abgründe menschlicher Fantasien und Projektionen als auch in die befremdlich bis zärtlich-umsorgende Liebe von Menschen zu Tieren denn in das sich verweigernde Nicht-Humane.
"Welcome to the Jungle" ist eine Ausstellung von Menschen für Menschen und großteils über Menschen konzipiert, und zeigt die westlichen Sichtweisen aufgeklärter DenkerInnen von Außen auf den Dschungel. Schade, dass hier so wenige KünstlerInnen gezeigt werden, die eine Stimme gefunden haben, die mitten aus dem Dschungel heraus berichten, und zwar auf zeitgenössische Art.

Die im hautengen Bodysuit Gekleidete, Pferdeschwanz, den Flogger in der Hand klatschend, baut sich mitten im Barraum auf und aus ihr schreit, rappt, strömt es, aggressiv und fordernd: "I'm a teach that bitch!" usw. usf. Sie verschwindet für ein paar Minuten mit dem Italiener neben mir. Eine Besessene, auf den Wellen chemischer Drogen reitend. Sie ist eine Bewohnerin des Dschungels. Gehorsam fordert sie und Unterwerfung - wie der Dschungel selbst.

In der König Galerie in der Alexandrinenstraße hat Camille Henrot ein Universum versammelt und im ultramarin ausgekleideten Raum angeordnet (die Ausstellung läuft bis zum 1.11.). Wunderbare afrikanisch anmutende Objekte, Seiten aus der National Geographic, Flohmarktfundstücke und auf Ebay gekaufte Dinge auf waghalsig designten Regalen, Tuschezeichnungen, sanfte elektronische Musik im Hintergrund. Im Pressetext wird die Geschichte des bleichen Fuchses Ogo erzählt, einer Geschichte des Dogon-Volkes aus Burkina Faso und West-Mali. Ogo wird alleine geboren statt wie die anderen Götter als Zwillinge. Darüber ist er traurig, böse und schließlich endet er im Chaos, dreist, tanzend.
Intellektuelle wie Leiris und Deleuze und Guattari waren im 20. Jh. vom Volk der Dogon inspiriert, deren Artefakte, Mythen und Wissenschaften eine Möglichkeit boten, der westlichen Metaphysik auszuweichen. Camille Henrots Raum soll nach den 4 Himmelsrichtungen gestaltet sein, sowie einem der vier Elemente, einem der philosophischen Prinzipien von Leibniz und einem Lebensstadium angehören. Diese Deutungen habe ich beim Besuch der Galerie nicht gesucht, und daher mehr oder weniger gefüllte Wände vorgefunden, die mehr oder weniger chaotische Anordnungen von Objekten (Informationen) zwischen Kunst und mediatisierter Wissenschaft, Technologie und Naturimitaten, Trash und Hochkultur, Überfüllung und Askese schwanken. Hinter all dem verbirgt sich die versteckte subjektive Position der Künstlerin, irgendwie unheimlich. Welche Objekte sind von ihr, welche gekauft, welche aus Afrika? In welchem Verhältnis steht sie zu den angeordneten Dingen? Was repräsentieren sie für sie? Henrot stiftet eine seltsame Verwirrung der AutorInnenschaft an, in der ihre eigene Position verschluckt wird.


Installation view of “Camille Henrot: The Pale Fox,” KÖNIG GALERIE, Berlin. Photo: Ulf Saupe. Courtesy KÖNIG GALERIE and the artist

Die Domina im Berghain definiert ihre eigene Position, sie schreibt sich heraus aus dem Gewohnten, Straighten, dem Normativen, hinein in eine Welt, in der sie die Kontrolle über den/die Anderen übernimmt, und sich gleichzeitig einer mentalen Kontrolllosigkeit übergibt. Sie ist wie der bleiche Fuchs, voller Aggression, unverschämt, im Chaos tanzend. Berlin hat dieses Gesicht etwas verloren, der Gentrifizierungswahn, von dem alle sprechen, hat Straßen wirklich "aufgeräumt" und die Hipster/die aufstrebenden Bourgeoisen drängen sich in die entlegensten Straßen. Trotzdem bleibt es ein Platz grandioser Diversität mit modernen Tempeln, "Fake Paradises", die in ihren riesigen Blasen dem Ego zu Diensten stehen.