Culture | Salto Afternoon

Stubenreiner Pasolini

Ausstellung, Performance und Kachel-Workshop rund um eine Szene aus einem Pasolini-Film. Die Galerie "ar/ge kunst" lädt in die "gute Stube". Es geht um Leben und Tod.
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Foto: Tiberio Sorvillo

Flucht in die Dolomiten nennt sich ein Film direkt aus der Mitte der 1950er Jahre, bei welchem der bekannte Filmemacher und Schauspieler (und Opportunist vom Dienst) Luis Trenker Regie führte. Am Drehbuch zu diesem Film arbeitete sogar Pier Paolo Pasolini mit und besuchte dabei die unterschiedlichsten Orte Südtirols. Der Film ist ein Machwerk seiner Zeit und wäre nicht Pasolini ein Teil der Entstehungsgeschichte gewesen, wäre der Film wohl ausnahmslos im Schrank für "zu vergessene Filme" zu suchen. Für den Film Il Decameron – der im Unterschied zum Pasolini/Trenker-Film zum Klassiker wurde – kam Pasolini einige Jahre später erneut nach Südtirol, suchte nach geeigneten Drehorten und spazierte dabei auch durch die Museumsstraße bis zum Stadtmuseum Bozen. Pasolini war begeistert von einer dort ab- und ausgestellten Stube, die es am Ende auch in seinen Film schaffte. Als Kulisse.
 


Pasolini inszenierte in der Stube aus dem 15. Jahrhundert eine Beicht- und Sterbeszene. Sie zeigt einen Sünder, auf einem Sterbebett liegend, der seinen Beichtbruder belügt. Dank der Lüge wird dieser daraufhin seliggesprochen und erfährt Verehrung. Pasolini fand damals durchaus lobende Worte für das Stadtmuseum und deutete diesen heute fast vergessenen Ort Bozens, als „einen Ort des Widerstands gegen neokapitalistische Kräfte und das Konsumdenken.“ 
Die seit der Mitte der 1980er Jahre in der Museumstraße angesiedelte Kunstgalerie ar/ge kunst war hingegen bei Pasolinis Spaziergang durch Bozen noch nicht geboren, spielte aber in einer jüngst durchgeführten Live-Schaltung für eine Performance eine wesentliche Rolle. Von den Räumen der zeitgenössischen Kunstgalerie aus konnte das Publikum nämlich die Performance von Dorota Gawęda und Eglė Kulbokaitė direkt aus Pasolinis Decamerone-Stube mitverfolgen.
 


In der Galerie wird hingegen der Ausschnitt des Filmklassikers gezeigt: etwa wie eine Prozession am Eppaner Ansitz Zinnenberg vorbeizieht oder sich durch die Enge eines schmalen Durchgangs von den Bozner Lauben in die Dr. Streiter-Gasse zieht. Pasolini drehte auch auf Schloss Runkelstein, in der Engelsburg von Kloster Neustift und eben in der Stube im Stadtmuseum. Im Rahmen der Ausstellung The Lying Body: Only the Futures Revisit the Past war die alte Stube nicht nur Teil einer Performance gewesen, sondern auch wesentliches Element einer Foto-Installation des Fotografen Walter Niedermayr.
 


Walter Niedermayr fotografierte für seine Arbeit nicht nur die Stube im Stadtmuseum, sondern noch weitere historische Stuben, die in ihrer kleinen und feinen Aneinanderreihung an eine übergroße Fliesenwand eines Kachelofens erinnern. Neben Niedermayrs Arbeit sind in der noch bis 5. November 2022 zu sehenden Ausstellung, auch Arbeiten der Künstler*innen Alexandra Anikina, Riccardo Benassi, Monia Ben Hamouda, Dorota Gawęda and Eglė Kulbokaitė, Elizabeth A. Povinelli ausgestellt. Der Kurator Emanuele Guidi hat ihre speziell gefertigten Installationen, Videos und Skulpturen passend in die Räume gesetzt. Sie sind eine sehr freie zeitgenössische Interpretation von Pasolinis Stubenszene und liefern spannende Kontexte in die Welt außerhalb einer Stube – ob als Infografik inkl. Ahnentafel, als kollektives Tanz-Rituale auf den Straßen der Großstadt oder auf der Alm, als Blick auf musealisierte Geschichte in der Sowjetunion, als drehende Ventilatoren mit Bildbotschaften oder als zur Wand blickende mythische Kuscheltiere. 
 


Zurück in die warme Stube und zum Herzstück einer jeden Stube. „Wo und wie wird diese traditionsreiche Wärmequelle heute noch hergestellt? Welches Wissen um den Kachelofenbau wird weitergegeben und welches neu gedacht und verortet?“ fragen Simone Mair und Lisa Mazza von BAU, dem Institut für zeitgenössische Kunst und Ökologie in dem von ihnen kuratierten Abend am 26. Oktober ab 17 Uhr. Passend zur wandfüllenden Tapete gesellt sich nämlich demnächst eine temporäre Werkbank des bekannten Keramikers Giuseppe Marcadent in den Galerieraum. Marcadent wird den Teilnehmer*innen beim Workshop die Techniken der Herstellung von Kachelöfen und Kacheln näher bringen. Davor gibt es zudem einen Kurzbesuch im Stadtmuseum nebenan, sowie eine detailreiche Besichtigung der dort aufbewahrten Kachelsammlung.
Der Kachelofen-Workshop ist Teil der Workshop-Serie savoir-vivre, die ausgehend vom Ausstellungsprogramm konzipiert und von der Relektüre der Begriffe savoir/pouvoir von Gayatri Spivak inspiriert wurde.