Es war eine schöne Feier. Das muss und kann man sagen.
Auf den ersten Blick stimmte alles. Der Wettergott meinte es gut mit der Südtiroler Volkspartei, die am Freitag zur Jubiläumsfeier zum 60. Jahrestag des „Los von Trient“ auf Schloss Sigmundskron einlud. Der Andrang war für einen Arbeitstag durchaus respektabel. Offiziell wurden rund 800 Teilnehmer gezählt.
Die Feier war gut inszeniert. Im Jahr 1957 an einem Novembersamstag erlebte an diesem Ort der damals frischgewählte SVP-Obmann Silvius Magnago seine politische Feuertaufe. 60 Jahre später war in Sigmundskron für einen anderen unter dem Edelweiß ein wichtiger Tag: Gerhard Duregger.
Der SVP-Landessekretär, Kopf und Organisator der Feier, will und soll in knapp einem Jahr auf der SVP-Liste in den Landtag gewählt werden. Dureggers Auftritt als Zeremonienmeister in Sigmundskron war deshalb nicht ganz uneigennützig im Dienste der Partei, sondern diente auch der persönlichen Positionierung. Man kann sagen, dass auch dieses Ansinnen am Freitag aufgegangen ist.
Die Hosp-Inszenierung war beklemmend. Es war eine Zeitreise in Sprache und Ton zurück in die Volk-in-Not-Stimmung von damals.
Vordergründig stimmte auch das Regiebuch für die SVP-Feier. Den Beginn machte der ehemalige SVP-Landessekretär und Kulturlandesrat Bruno Hosp. Hosp erzählte nicht nur, sondern sprach auch Ausschnitte aus der Magnago-Rede und der damals beschlossenen SVP-Resolution nach. Vor Magnago hatten 1957 der alte Lananer Hofmann-Bauer Jörg Pircher senior und der Arbeiter Norbert Gasser eine Rede gehalten. 60 Jahre später sprachen nun Gassers Tochter und Pirchers Enkel Ausschnitte aus den Originalreden nach.
Die Hosp-Inszenierung war beklemmend. Es war eine Zeitreise in Sprache und Ton zurück in die Volk-in-Not-Stimmung von damals. Neben Hosp standen an der Burgmauer die nachgemalten Spruchbänder und Schilder von damals. Selbst dort, wo 1957 Luis Amplatz auf der Schlossmauer stand, hatte man einige Männer in Sarner Tracht hingestellt.
Es war ein düsterer Beginn, der sich zum Glück bald schon aufhellte. Die persönlichen Erlebnisse und Eindrücke der Zeitzeugen Walter Weiss, Rosa Roner, Marjan Cescutti, Hugo Valentin, Sepp Innerhofer und Luis Vonmetz nahmen der Feier die bedrückende Schwere und Dramatik.
Vor allem die Rede des ehemaligen BAS-Attentäters Sepp Innerhofer war beeindruckend. Innerhofer rückte in seiner Rede Friedl Volgger erstmals öffentlich in die Rolle des Vordenkers des BAS. Vor allem aber stand mit ihm ein Mensch im Schlossrund, der mit sich und seiner Partei im Reinen ist. Ohne die eigenen Taten zu verleugnen, sprach sich Innerhofer gegen die Anwendung von Gewalt und für ein befriedetes Südtirol aus. Sein Plädoyer für die heutige Jugend, die „realistisch ist und sich nicht von politischen Visionen täuschen lasst“, war mehr als wohltuend.
Die Rede des ehemaligen BAS-Attentäters Sepp Innerhofer war beeindruckend. Ohne die eigenen Taten zu verleugnen, sprach er sich gegen die Anwendung von Gewalt und für ein befriedetes Südtirol aus.
Die Aufgabe von SVP-Obmann Philipp Achammer und Landeshauptmann Arno Kompatscher war es, die Zuhörer an diesem Tag aus der Vergangenheit in die Gegenwart und in die Zukunft zu führen.
Achammer sagte - wie meistens - nicht sehr viel. Es war ein Standardrede, die er auch vor der SVP-Ortsgruppe Unterfennberg so halten hätten können. Der vife SVP-Obmann machte aber einen geschickten Schachzug. Er erzählte zu Beginn seiner Rede die Geschichte von zwei anwesenden SVP-Veteranen (95 und 90 Jahre alt), die seit der Kundgebung 1957 nicht mehr auf Sigmundskron gewesen waren. Spätestens als er die beiden Anwesenden vorstellt und ehrt, hat Achammer das (Partei)Publikum für sich gewonnen. Dass einer der zwei Veteranen dann eine Friedensbotschaft lanciert, ist einer der Höhepunkte an diesem Tag.
Landeshauptmann Arno Kompatscher spannte den Rahmen von Sigmundskron nach Europa. Seine feurige Rede für ein echtes Europa und eine mögliche Vorbildfunktion Südtirols dabei öffnete einen Türspalt in Richtung Zukunft.
Der Tag und die Feier waren stimmig. Die SVP hat den richtigen Ton gefunden. Es war der Auftritt einer selbstbewussten, erfolgreichen Regierungspartei. Ohne Arroganz oder Revanchismus.
Es ist der Ausdruck dafür, dass die SVP aus der Geschichte wenig gelernt hat.
Und dennoch hat die Feier am Freitag einen entscheidenden und schwerwiegenden Regiefehler. Man hat auch 2017 das italienische Südtirol völlig ausgeblendet. Wie schon 1957 waren die einzigen Italiener im Schlossrund, die Angehörigen von Carabinieri, Polizei, die Emissäre der Nachrichtendienste, die Kameramänner, die Journalistinnen und Journalisten (plus ein oder zwei verstreute Ex-PATT-Politiker). Sie spielten genau jene Rolle wie schon damals: die des professionellen Betrachters. Nicht mehr und nicht weniger.
Es ist der Ausdruck dafür, dass die SVP aus der Geschichte wenig gelernt hat. Natürlich wird man jetzt auf das Parteistatut verweisen und sagen, die SVP sei die Partei der deutschen und ladinischen Südtiroler. Darum habe man sich zu kümmern.
Es ist aber die falsche Antwort. Schon 1957 war es so: Die Italiener in Südtirol haben nicht verstanden, was diese 35.000 auf Sigmundskron wollen. Warum es überhaupt zu dieser großen politischen Kundgebung gekommen ist. Dass das Los von Trient nicht zwingend ein Anschluss an Österreich ist.
Niemand hat anscheinend daran gedacht, dass einer der sechs Zeitzeugen auch ein Südtiroler Italiener hätte sein können.
Damals hat man es verabsäumt, die italienische Öffentlichkeit aufzuklären und es der nationalistischen, italienischen Presse überlassen, eine Angstpsychose zu kreieren. 1957 war dieses Vorhaben - zugegebenermaßen - nicht einfach, heute haben sich die Zeiten aber grundlegend geändert.
Dennoch hat man 60 Jahre später denselben Fehler wiederholt. Niemand hat anscheinend daran gedacht, dass einer der sechs Zeitzeugen auch ein Südtiroler Italiener hätte sein können. Eine Stimme, die die Sicht der Italiener auf dieses epochale Ergebnis von damals wiedergibt. Wie etwa der ehemalige Alto-Adige-Journalist und Übersetzer Umberto Gandini, der in einem Interview mit dem Autor gemeint hat: „Wir haben einfach nicht verstanden, was auf Sigmundskron passiert“. Es gäbe Dutzende ähnlich wichtige Stimmen.
Es wäre ein Stück lebendige gemeinsame Zeitgeschichte gewesen. Ein Schritt des gegenseitigen Verstehens. Ein Zeichen, dass man auch die Beweggründe der Anderen 60 Jahre später zu erkennen versucht. Es ist keine Frage der Form, sondern des Inhalts. Nur unter Einbeziehung aller Volksgruppen kann in Südtirol eine gemeinsame Vergangenheitsbewältigung entstehen.
Dass keiner der sonst so hellen Köpfe unterm Edelweiß daran gedacht hat, ist ein besorgniserregendes Armutszeugnis.
Es ist schade und eine vertane Chance.
Fotos: Othmas Seehauser