Society | Aus dem Blog von Silvia Rier

Verheerende Brände

Da eilte heute früh, noch vor Acht, ein Mann forschen Schrittes über den Parkplatz, um kurz darauf vor meiner Tür zu stehen. Er grüßte freundlich und - überraschend -, in meiner Sprache, akzentfrei. Dann begann er zu erzählen, er komme aus dem Pustertal (ich lebe in Kastelruth, also am anderen Ende der Pustertaler Welt), sei viele Jahre bei *Baufirma* beschäftigt gewesen, und jetzt ohne Arbeit, ohne Abfertigung, habe Frau und minderjährige Kinder, und sei mit der Miete viele Monate im Rückstand. Ob ich helfen könne. Viel habe er schon beisammen, „der Durnwalder hat mir fast alles gegeben“, er strahlte dabei, aber ein bisschen was fehle noch.
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Ich neige dazu, in solchen Fällen zu geben, und zwar unabhängig davon, woher die Hilfesuchenden kommen, welche Sprache sie sprechen und welchem Kulturkreis sie angehören. Ich bin dann einfach immer nur froh, dass ich nicht die bin, die betteln muss, sondern in der glücklichen Lage bin, geben zu können (denn, so gesehen, ist das ist ein Privileg). À propos „können“: Bevor er weiterzog, fragte mich der Unglückliche, wo er denn noch anklopfen könne, und berichtete bei der Gelegenheit, mit einem Gesichtsausdruck irgendwo zwischen eingeschüchtert und erschüttert, dass man ihm in einem großen, noblen Hotel mit dem obligaten Porsche vor der Tür just jene gewiesen hatte. 

Jedenfalls gehörten die Menschen, die an unsereiner Tür klopften, und um Hilfe baten, in einer mehr oder minder direkten Form, noch vor Kurzem einem sehr eingeschränkten Kreis an: Das waren Marokkaner mit Teppichen über der Schulter oder Tennis-Socken in großen Plastiksäcken, hin und wieder ein „Student“ aus dem Osten mit Selbstgebasteltem, die eine oder andere Frau mit Kupferkesselchen im großen Sack, netten Geschichten auf den alten Lippen und gutmütigen Zauberchen in ihren Kittelfalten, der eine oder andere Afrikaner mit nichts als einem verblichenen Bettelbrief von irgendeiner dubiosen „Organisation“ mit irgendwelchen dubiosen Aufträgen, und überhaupt: Menschen, die von weit her kamen, und uns glücklichen Südtirolern in Erinnerung riefen, dass es Länder gibt auf dieser Welt, in denen das tägliche Brot den Menschen bitter schmeckt, so sie denn welches haben.

An Einheimische kann ich mich nicht erinnern, nicht, seit ich Kind war.

Denn damals war es nicht ungewöhnlich, dass hin und wieder nicht nur „Kesselflicker und Scherenschleifer“, sondern auch Menschen mit unserer Sprache und unseren Sitten vor unserer Tür gestanden waren, mit amtlichen Bettelbriefen in ihren Händen, die ihnen bescheinigten, dass sie keine Bettler, sondern Unglückliche waren, denen ein Feuer die Vergangenheit, die Gegenwart und in vielen Fällen wohl auch die Zukunft vernichtet hatte. Ich höre noch heute, wie meine Mutter einen tiefen Seufzer tat, nachdem sie vorsichtig die Tür hinter diesen Menschen ins Schloss geschoben hatte, „diese armen Leute. Alles abgebrannt.“

Ich höre noch heute, wie meine Mutter einen tiefen Seufzer tat, nachdem sie vorsichtig die Tür hinter diesen Menschen ins Schloss geschoben hatte, „diese armen Leute. Alles abgebrannt.“

Dann kamen die guten Jahre, und die sehr guten Jahre, und es verschwanden die Kesselflicker, die Scherenschleifer, die Bettler und nicht zuletzt die unversicherten Opfer verheerender Brände.

Bis heute früh der Mann aus dem Pustertal vor meiner Tür stand.