Freie Wähler
Wie wäre das, wenn treue SVP-Wählerinnen Brigitte Foppa ihre Stimme schenken würden? Oder links-liberale Selbstbestimmungsbefürworter den Grünen die Stange halten und dennoch Sven Knoll für seinen Kampf für die Doppelstaatsbürgerschaft Anerkennung zeigen wollen? Szenarien, die sich auch für die anstehenden Gemeindewahlen weiterspinnen lassen. Und keineswegs so utopisch sind wie sie für manchen klingen mögen. Panaschieren heißt der Wahlmodus, der im deutschsprachigen Ausland in verschiedensten Formen angewandt wird – und in dieser Woche im Regionalrat diskutiert wurde. Impulsgeberin dafür war die Grüne Brigitte Foppa. Sie hatte nach dem Gemeindewahlkampf im Mai die Politikmüdigkeit und den vielerorts gehörten Wunsch nach mehr Personen- statt Parteienorientiertheit zum Anlass genommen, das vor allem in Deutschland und der Schweiz erprobte Instrument in einem Beschlussantrag ihrer Partei auch für die Region vorzuschlagen.
"Wir sehen vor allem bei der Direkten Demokratie wie gewinnbringend es ist, wenn man sich als Mehrheit und Minderheit bei bestimmten Themen verständigen muss – und wenn über Parteigrenzen hinweg Ideen und Kreativität zusammengebracht werden“, sagt sie. Was etwa der Ulricher Bürgermeister Tobia Moroder mit seiner Einheitsliste erreichen will, geht auch ohne die Parteienlogik über Bord zu werfen. Denn zumindest für die Co-Vorsitzende der Grünen erfüllen Parteien immer noch eine wichtige Funktion als stabile und einigermaßen vorhersehbare Sammelbecken für Ideen und Programme. Dennoch gibt es in einer stark individualisierten Gesellschaft die immer spürbarere Tendenz, sich nicht mit vorgefertigten Parteimeinungen und vorgesetzten Kandidaten zufrieden zu geben. „Panaschieren ermöglicht, über bisherige Grenzen hinweg zu denken – und jenen Leuten das Vertrauen zu schenken, die meine Ideen am besten vertreten können“, so Foppa.
Mit oder ohne Parteikreuzl?
Auch dabei gibt es mehrere Spielarten. Vor allem in der Schweiz bekommen die Wählenden in vielen Gemeinden, aber auch Kantonen auf den Wahllisten ausschließlich Kandidatinnen und Kandidaten präsentiert. Die Sitzverteilung erfolgt dann unabhängig von der Liste nur mehr nach Vorzugsstimmen. „Wenn dort ein Gemeinderat aus 20 Mitgliedern besteht, können die Wähler teilweise 20 Vorzugsstimmen abgeben und so ihren idealen Gemeinderat zusammenstellen“, erklärt Foppa. Gemäßigter ist dagegen der auch von den Grünen vorgeschlagene und in Deutschland übliche Modus: Dort wird weiterhin bei den Listen ein Kreuzl gemacht; zusätzlich gibt es jedoch eine bestimmte Anzahl an Vorzugsstimmen, die listenübergreifend vergeben werden können. Verbunden wird dies meist mit der Möglichkeit Vorzugsstimmen zu kumulieren, also einer Kandidatin oder einem Kandidaten mehrere Vorzugsstimmen zu geben. „Ohne diese Möglichkeit würde die Gefahr bestehen, dass eine Verzerrung zugunsten der großen Parteien zustande kommt“, sagt Foppa.
Ein anschauliches Beispiel dafür bot die Gemeindewahl in Meran. Hätten dort ausschließlich die Vorzugsstimmen gezählt, hätte die Südtiroler Volkspartei keinesfalls ein Wahlfiasko beweinen müssen. „Dann wäre Gerhard Gruber mit seinem leichten Vorsprung bei den Vorzugsstimmen Bürgermeister geworden“, erinnert der M5S-Abgeordnete Paul Köllensperger. "Und die SVP hätte 13 Mandate“. Ob er der Volkspartei das Panaschieren mit solchen Beispielen schmackhaft machen kann, stellt Köllensperger selbst in Frage. Zwar scheint der zuständige Regionalassessor Sepp Noggler dem Vorschlag an das Präsidium nicht einmal abgeneigt zu sein, einen entsprechenden Gesetzesentwurf auszuarbeiten. Er bat Foppa am Mittwoch auch, ihren Antrag vorerst zurückzuziehen, um ihn im Rahmen des noch für heuer geplanten Einheitstextes zu den Gemeindewahlen aufzugreifen. Dem Vernehmen nach wurde die Option Panaschieren jedoch schon vor einem Jahr innerhalb der Volkspartei diskutiert und letztendlich verworfen.
Turbo für starke Kandidaten und Lobbys
Paul Köllensperger selbst gehörte bei der lebhaften Diskussion des Vorschlags im Regionalrat aber dennoch zu den Unterstützern der Grünen. Der Abgeordnete der 5-Sterne-Bewegung sieht zwar auch die möglichen Gefahren eines Systems, das einzelnen Personen weit mehr Chancen einräumen würde als bisher. Gerade für starke Verbände und Lobbys mit breitem Mobilisierungspotential oder Kandidaten mit prall gefüllter Wahlkampf-Kasse würden sich so neue Möglichkeiten bieten. „Die großen Verbände würden ihre Leute sicher durchbekommen, ohne mit der SVP-Ortsgruppe streiten zu müssen“, meint Köllensperger. Doch gleichzeitig würde das Panaschieren starken Persönlichkeiten aus der Opposition Aufwind geben. „Auch engagierte junge Leute hätten innerhalb der einzelnen Parteien so die Möglichkeit, nach oben zu kommen, ohne die ganze Parteihierarchie durchlaufen zu müssen“, sagt er. Insgesamt also ein Turbo für starke und beliebte Politikerinnen und Politiker – der laut Köllensperger vor allem auf Gemeindeebene dem Wunsch entgegen kommen würde, freier zu wählen.
Befürchtungen anderer Listen, damit den Proporz oder die Minderheitenvertretung auszuhebeln, entkräftete Brigitte Foppa bereits vor dem Rückzug des Grünen Beschlussantrags. Sie sieht aber auch keinen Anlass für die Sorge, dadurch mehr politische Instabilität zu schaffen. Im Gegenteil: Wie sich auch in Deutschland gezeigt habe, liefern die frei verteilten Vorzugsstimmen bereits Hinweise auf die Popularität bestimmter Koalitionen. „Es geht einfach darum die Denkkultur zu ändern“, sagt sie. „Und wenn bereits die WählerInnen aufhören, in Mehrheit und Minderheit, in Macht und Gegenmacht zu denken, wirkt sich das auch auf die Politik selbst aus.“
Ob Südtirols politische VertreterInnen dazu bereit sind, wird sich beim nächsten Anlauf des Beschlussantrags zeigen. Vorerst wird aber nach alter Denke und mit neuen Hürden für die Minderheit gewählt.
Bei dem Diskurs über das
Bei dem Diskurs über das Panaschieren wird das Wichtigste vergessen: Ein freieres Wählen, wie es das Panaschieren zweifellos ist, verlangt auch freiere Wählerinnen und Wähler! Sie müssen von außen mit dem Referendum eine einfach zu praktizierende und wirksame Kontrolle ausüben können. Ansonsten kann listenübergreifender Konsens, der damit gefördert wird, noch einmal mehr Eigenmächtigkeit und Abgehobenheit der politischen Vertretung bedeuten.
Der Abgeordnete der 5-Sterne
Der Abgeordnete der 5-Sterne-Bewegung sieht zwar auch die möglichen Gefahren eines Systems, das einzelnen Personen weit mehr Chancen einräumen würde als bisher.
Dieses Problem lässt sich in Grenzen halten, wenn dass Akkumulieren stark begrenzt wird.