Environment | Klimawandel

5 nach 12

Nach einer neuesten Studie ist die Gletscherschmelze nicht mehr abwendbar: Auch ohne weiteren Ausstoß von Treibhausgasen schmilzt ein Drittel des Eises.
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Foto: upi
Georg Kaser gebraucht ein klares und drammatisches Bild: „Für die Gletscher ist es 5 nach 12“. Der Südtiroler Gletscherforscher und Universitätsprofessor verfällt aber nicht in Fatalismus. Sondern Kaser weist darauf hin, dass es umso mehr zu tun gibt. „Das bedeutet, dass unser heutiges Verhalten Auswirkungen auf die langfristige Entwicklung der Gletscher hat – das sollten wir uns bewusstmachen“, meint Kaser.
Anlass ist eine Innsbrucker Studie an der Georg Kaser maßgeblich mitgearbeitet hat und die jetzt im Fachmagazin Nature Climate Change erschienen ist.
In der Studien zeigen Forscher der Universitäten Bremen und Innsbruck, dass das weitere Abschmelzen der Gletscher im laufenden Jahrhundert nicht mehr verhindert werden kann. Selbst dann, wenn alle Emissionen umgehend gestoppt würden.
Aufgrund der langsamen Reaktion der Gletscher auf Klimaänderungen hat unser aktuelles Verhalten weit über das 21. Jahrhundert hinaus aber massive Auswirkungen.
 

Paris Agreement

 
Im „Paris Agreement“ haben sich 195 Mitgliedsstaaten der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen auf die Begrenzung des Anstiegs der globalen Durchschnittstemperatur auf deutlich unter 2 Grad Celsius, wenn möglich auf 1,5 Grad über dem vorindustriellen Niveau geeinigt. Die Risiken des Klimawandels sollen dadurch deutlich reduziert werden.
Was bedeutet dieses Vorhaben – sofern erfolgreich – für die Entwicklung der Gletscher?
Die Klimaforscher Ben Marzeion und Nicolas Champollion vom Institut für Geographie der Universität Bremen sowie Georg Kaser und Fabien Maussion vom Institut für Atmosphären- und Kryosphärenwissenschaften der Universität Innsbruck sind dieser Frage nachgegangen. Die Klimaforscher haben dazu berechnet, welche Effekte die Einhaltung dieser Klimaziele auf die fortschreitende Gletscherschmelze hat. „Schmelzende Gletscher haben einen großen Einfluss auf die Entwicklung des Meeresspiegels. In unseren Berechnungen haben wir alle Gletscher weltweit – ohne die Eisschilde der Antarktis und Grönlands – berücksichtigt und in verschiedenen Klimaszenarien modelliert“, erklärt Georg Kaser.
 
Denn für die Entwicklung der Gletscherschmelze in den nächsten 100 Jahren machte es keinen signifikanten Unterschied, ob die Durchschnittstemperatur um 2 oder nur 1,5 Grad steigt. „Das spielt eine überraschend und auch frustrierend geringe Rolle – zumindest für das laufende Jahrhundert“, meint der Südtiroler Universitätsprofessor.
 

Ein Drittel weg

 
Etwa 36 Prozent des heute noch in Gletschern gespeicherten Eises würde langfristig auch ohne weiteren Ausstoß von Treibhausgasen schmelzen. „Gut ein Drittel des heute noch vorhandenen Gletschereises ist auch mit den ambitioniertesten Maßnahmen bereits nicht mehr zu retten“, sagt der Mitautor der Studie Ben Marzeion.
Völlig anders gestaltet sich die Situation allerdings, wenn der zeitliche Horizont erweitert wird: Über das aktuelle Jahrhundert hinaus betrachtet, macht es durchaus einen Unterschied, ob nur das 2 Grad-Ziel oder das 1,5 Grad-Ziel erreicht wird. Ben Marzeion: „Gletscher reagieren langsam auf klimatische Veränderungen. Wenn wir beispielsweise den aktuellen Umfang des Gletschereis-Bestandes erhalten wollen würden, müssten wir ein Temperaturniveau aus vorindustriellen Zeiten erreichen, was natürlich nicht möglich ist. Wir haben in der Vergangenheit durch Treibhausgasemissionen bereits Entwicklungen angestoßen, die sich nicht mehr aufhalten lassen“.
 
Fünfhundert Meter Autofahrt mit einem Mittelklasse- Fahrzeug kosten langfristig ein Kilo Gletschereis.
Um diese Auswirkungen greifbar zu machen, haben die Wissenschaftler errechnet, dass jedes Kilogramm CO2, das wir heute ausstoßen, langfristig 15 Kilogramm Gletscherschmelze verursachen wird. „Umgerechnet auf ein 2016 in Deutschland neu zugelassenes Durchschnittsauto bedeutet das: Alle fünfhundert Meter Autofahrt geht ein Kilo Gletschereis verloren“, verdeutlicht Marzeion.