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Chronicle | Corona-Epidemie
Die Krise der Lombardei
Die Lombardei ist mit Abstand Italiens reichste Region und hat mehr Einwohner als Österreich. Dass genau diese Region vom Corona-Virus am schwersten betroffen ist, löst in der Bevölkerung Frustration, Zweifel und Unsicherheit aus. Die Zahl der Infizierten erreicht mit über 12.200 Rekordwerte, mit 475 Toten an einem einzigen Tag nähert sich die Region den Werten der chinesischen Provinz Wuhan.
In den Krankenhäusern gibt es keine freien Betten mehr, Ärzte und Krankenpfleger sind überarbeitet und erschöpft, Die Zahl derTodesopfer beträgt ein Vielfaches der anderen Regionen. In Bergamo werden die Särge der Verstorbenen nachts mit LKWs in ein Krematorium gebracht. Eine für die selbstbewusste lombardische Metropole, die allein ein Zehntel des italienischen Bruttosozialprodukts erwirtschaftet, unerträgliche Situation. Nicht nur in Mailand, sondern auch in den wichtigen Industriestädten Brescia und Bergamo steht in diesen Tagen der Ruf lombardischer Effizienz auf dem Spiel.
Die Fernsehbilder des zum Staatsfeiertag in grün-weiss-rotem Licht erstrahlenden Palazzo Chigi in Rom empfanden viele Lombarden als zusätzliche Erniedrigung, gilt ihnen die Hauptstadt doch als chaotische und ineffiziente, vom Müll-Chaos bedrohte Metropole.
In der Lombardei herrschte akuter Handlungsbedarf. Der Vorschlag des Lega-Präsidenten Attilio Fontana, auf dem Mailänder Messegelände im Eiltempo ein Notspital zu errichten, galt daher als wichtiges Signal der Wende. Auch wollte man aus dem Schatten des bei der Seuchenbekämpfung bisher erfolgreichen Regierungschefs Giuseppe Conte treten.
Erster Schritt dazu war die Ernennung eines eigenen Krisenmanagers. Wer konnte dafür geeigneter sein als Berlusconis oberster Zivilschützer Guido Bertolaso, der dem Cavaliere bei allen Katastrophen zur Seite gestanden hatte – von der Müllkrise in Kampanien bis zum folgenschweren Erdbeben in L'Aquila ?
Giuseppe Conte lehnte den Vorschlag ab, weil ihm die Nähe Bertolasos zu seinem Gönner Berlusconi bekannt war – und entschied sich für Domenico Arcuri. Die Lombardei bestand nun auf einem eigenen Zivilschützer und holte den mittlerweile als Missionsarzt in Afrika tätigen Bertolaso nach Italien zurück.
Er sollte den im Eiltempo geplanten Bau eines Notspitals auf dem Messegelände leiten und dabei nach Möglichkeit die Rekordzeit von zwei Wochen von Wuhan unterbieten. Offen blieb die Frage der Finanzierung. Wer konnte da hilfreicher sein als der Mailänder Medienzar Silvio Berlusconi?
Vor den TV-Kameras seiner Sender unterzeichnete der Cavaliere flugs einen Scheck über zehn Millionen Euro und sandte in seinem Hausblatt Il giornale gleichzeitig eine klare Botschaft an Premier Giuseppe Conte: "Così non va."
Zwei weitere betuchte Lombarden folgten dem Beispiel auf dem Fuss: Moncler-Chef Remo Ruffini und der Besitzer der Supermarkt-Kette Esselunga, Giuseppe Caprotti legten weitere 20 Millionen auf den Tisch.
Dahinter steckt eine politische Offensive. Der Lega-Mann Fontana und der Forza Italia-Sympathisant Bertolaso wollen vorexerzieren, wie lombardische Effizienz aussieht und das getrübte Bild der Region aufpolieren. In wenigen Tagen soll ein Notkrankenhaus mit 400 Betten entstehen – und auch die unhaltbare Situation in Bergamo und Brescia sollen verbessert werden.
Dahinter steckt eine politische Offensive. Der Lega-Mann Fontana und der Forza Italia-Sympathisant Bertolaso wollen vorexerzieren, wie lombardische Effizienz aussieht und das getrübte Bild der Region aufpolieren.
Die Aktion sollte zudem dem Mailänder PD-Bürgermeister Giuseppe Sala die Rute ins Fenster stellen, dessen T-Shirt mit dem Slogan Milano non si ferma sich als unglückliche Wahl erwiesen hat.
Doch Regionalpräsident Fontana legt sich auch mit eigenen Landsleuten an: "Vedo persone che non respirano e altri che fanno jogging." Der Lega-Präsident will nun auch auf diesem Gebiet durchgreifen.
Sicher kann er mit dem Bau des neuen Nothospitals punkten. Was bleiben dürfte, ist der Frust vieler Lombarden darüber, dass als ineffiziente und korrupt geltende Regionen des Südens wie Sizilien vom Corona-Virus zumindest bisher kaum etwas spüren. Im Vergleich zu den fast 2.000 Toten der Lombardei hatte etwa Sizilien bisher nur drei Opfer zu beklagen.
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