Environment | Pestizide

„Auf Dauer ist das kein Zustand“

Landwirtschaftslandesrat Arnold Schuler denkt angesichts des Chlorpyrifos-Gaus laut über Bio nach. Derweil ereilt ihn ein offener Brief aus dem Vinschgau.
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Foto: salto

salto.bz: Herr Schuler, Sie haben in der heutigen (Dienstag, 20. September, Anm. d. Red.) Sitzung der Landesregierung erneut das Thema Pflanzenschutzmittel auf der Tagesordnung. Werden Sie wegen der möglichen Rückstände auf Südtirols Gala-Ernte zum Rapport bestellt?
Arnold Schuler: Nein, nein. Heute geht es um die Hinweise, die laut Nationalem Aktionsplan bei der Ausbringung von Pflanzenschutzmitteln anzubringen sind. Wir haben zwar bereits vor zwei Jahren die Abstandsregelungen geregelt; bisher fehlt uns aber noch der Hinweis, wo und wie Pflanzenschutzmittel ausgebracht werden. Es hat da einige Diskussionen gegeben, denn es kann ja nicht sein, dass wir das ganze Land mit Hinweisschildern vollpflastern.  Doch für den landwirtschaftlichen Bereich, der nun auf der Tagesordnung steht, ist die Lösung nun relativ einfach.

Das heißt?
Dort, wo sensible Zonen wie Radwege, Schulhöfe oder Spielplätze an das jeweilige Grundstücke angrenzen, muss nun zusätzlich zu den Abstandsregeln ein Hinweis angebracht werden, dass mit Pflanzenschutzmitteln behandelt wird. Und auf den Radwegen soll laut meinem Vorschlag am Beginn ein genereller Hinweis gemacht werden. Wenn wir das dagegen auf jeder Parzelle machen würden, hätten wir im Frühjahr ein Schildermeer in allen Farben, das wäre ja der Wahnsinn. Deshalb haben wir eine praktikable Lösung gesucht. Viel schwieriger zu finden ist diese aber für öffentliche Flächen, die Gesundheitslandesrätin Martha Stocker regeln muss. Dort machen bekanntlich vor allem die Wiedereintrittszeiten Probleme, die der Aktionsplan für sensible Zonen vorsieht.

Sprich, die Vorgaben, dass Alleen, Parks oder auch die Gärten von Schloss Trauttmansdorff für 48 Stunden gesperrt werden müssen, wenn mit Pflanzenschutzmitteln gearbeitet wird?
48 Stunden oder sonst eben für den Zeitraum, der für das jeweilige Mittel vorgesehen ist. Da wird es dann auch mit Hinweisschildern schwierig. Vor allem, weil selbst die Behandlung mit biologischen Mitteln unter diese Bestimmung fällt. Man kann urbane Räume oder Touristenattraktionen schließlich nicht komplett sperren, weil Alleebäume gegen Läuse behandelt wurden. Genauso wenig, wie man vor jeden Rosenstrauch ein Hinweisschild aufstellen kann, dass er behandelt wird.

Die massiven Kontrollen von Äpfeln auf Rückstände von Chlorpyrifos-Ethyl zeigen deutlicher als je zuvor, dass die Behandlung mit chemisch-synthetischen Pflanzenschutzmitten Probleme für eine kleinstrukturierte Landwirtschaft wie jene in Südtirol mit sich bringt. Braucht es in der momentanen Situation nicht mehr als nur Hinweisschilder, dass behandelt wird?
Es ist klar, dass man auf ein Mittel wie Chlorpyrifos-Ethyl so schnell wie möglich verzichten muss. Nicht weil es so giftig wäre. Aber wenn die Grenzwerte derart abgesenkt werden und darüber hinaus für Obst- und Weinbau unterschiedlich geregelt werden, wird es schwierig. Denn die Nachweismethoden sind heute so verfeinert, dass man ein Sandkorn im Meer finden würde. Darüber hinaus verbreitet sich dieses Mittel auch noch leichter als andere, wodurch sich das Problem der Abdrift verstärkt.

Das heißt, Südtirols Weinbauern hätten nie Chlorpyrifos-Ethyl spritzen dürfen?
Ich kann die Weinbauern schon verstehen. Natürlich schaut man sich in Notsituationen zu helfen wie man kann, und die Kirschessigfliege stellt derzeit ganz Europa vor riesige Probleme. Sie verursacht enorme Schäden und da sie erst vor einigen Jahren aus Japan eingeschleppt wurde, gibt es weder einen natürlichen Gegenspieler noch eine nennenswerte Grundlagenforschung, auf die man zurückgreifen kann. Es gäbe mit dem Mittel Spinosad zwar eine biologische Alternative, doch die gefährdet wiederum die Bienen extrem. Es ist wirklich nicht einfach. Man merkt eben zunehmend, dass man in einer globalisierten Welt und angesichts des Klimawandels Dinge machen muss, die man sonst nicht machen würde. Doch auf Dauer ist das natürlich kein Zustand.

Das heißt, im kommenden Jahr wird Chlorpyrifos-Ethyl per Landesgesetz verboten?
Verbieten werden wir gar nichts, sonst begeben wir uns auf die Ebene der Gemeinde Mals, mit denselben rechtlichen Schwierigkeiten. Es wird vielmehr eine Empfehlung geben, das Mittel nicht mehr zu verwenden.

Bisher war es vor allem die biologische Landwirtschaft, die unter der Abdrift litt. Nun ist mit der Apfelwirtschaft einer der wichtigsten Südtiroler Wirtschaftssektoren beeinträchtigt. Ändert das was am politischen Umgang mit dem Thema Pflanzenschutzmittel?
Es ist klar, dass wir uns dem Problem zu stellen haben. Und zwar wie gesagt, nicht allein wegen des Problems der Toxizität. Das Problem ist auch, dass sich die Spielregeln ständig ändern, es immer wieder neue Vorschriften gibt, bestimmte Mittel nicht mehr zugelassen werden oder plötzlich in Diskussion stehen. Darüber hinaus sind einige Mittel für manche Kulturen zugelassen und andere nicht, wir haben unterschiedliche Grenzwerte für Obst oder Wein wie nun bei Chlorpyrifos. Und dann gibt es seit einigen Jahren auch noch einzelne Handelsketten, die  eigene Strategien verfolgen und für bestimmte Mittel eigene Rückstandskontrollen machen bzw. Grenzwerte festlegen. Deshalb ist klar, dass wir versuchen müssen uns so weiter zu entwickeln, dass wir so weit wie möglich auf Mittel wie Chlorpyrifos verzichten und statt dessen solche finden, die weniger Probleme schaffen.

Könnte das dann der biologische Pflanzenschutz sein?
Das ist die Frage.  Ob Bio der Schlüssel ist oder ob es auch noch einen anderen Weg gibt: Das ist sicher eine der Hauptaufgaben, denen wir uns zu stellen haben. Doch egal unter welchen Bedingungen – sicher ist, dass man nicht ohne Pflanzenschutzmittel auskommen wird, wenn man Landwirtschaft betreibt.

Wie groß sind die Sorgen des Landwirtschafts-Landesrates, dass Südtirol aufgrund von Pflanzenschutzmittel auf Teilen der heurige Gala-Ernte sitzen bleibt?
Da habe ich keine großen Sorgen. Man hat mit diesen Kontrollen einfach vorbeugend Sicherheitsvorkehrungen getroffen, damit es nicht nachher zu bösen Überraschungen kommt, die uns gewaltige Imageprobleme bescheren hätten können. Ich habe derzeit zwar keine aktuellen Nachrichten von  VOG-Obmann Kössler. Doch ich gehe davon aus, dass die Gala-Vermarktung mittlerweile wieder funktioniert und alles im normalen Bereich ist.

Nachtrag

Ein ungewöhnlicher Nachtrag zum Interview mit Landesrat Schuler. Noch bevor wir das am Montag geführte Interview veröffentlichten, erreichte uns am Abend von der Umweltschutzgruppe Vinschgau ein Offener Brief an den Landesrat und Landesrätin Martha Stocker. Die zentrale Botschaft: „Abstandsregelung bei Pflanzenschutzmitteln hat ihr Ziel verfehlt“. Basis für dieses Aussage sind Pflanzenproben, die von der Umweltschutzgruppe an acht Standorten in der Nähe von Apfelplantagen im Vinschgau entnommen wurden – in den Grundschulen Tartsch, Eyrs, Tschars, am Sportplatz Goldrain, am Kinderspielplatz Kompatsch – Naturns, am Radweg Plaus, in einem Privatgarten und einer Grünlandwiese in Prad. Die vom Toxikologen Peter Clausing interpretierten Ergebnisse würden zeigen, dass an allen acht  Standorten mehr als ein Pestizid nachgewiesen wurde. In allen acht Proben sei Chlorpyrifos in problematischer Höhe nachgewiesen worden; in sieben von acht Proben der Wirkstoff Fluazinam. Als problematisch stuft Clausing auch die Häufung verschiedener Pflanzenschutzmittel ein. So seien in den Proben der Grundschule Tschars und der Grünlandwiese in Prad jeweils neun verschiedene Pestizide nachgewiesen worden. „Die Funde sind nach Dr. Clausing alarmierend, weil sie auf die mögliche Exposition einer besonders empfindlichen Bevölkerungsgruppe, nämlich von Kindern, hinweist“, schreibt Vorsitzende Eva Prantl. Und: „Wir stellen fest, dass die von der Südtiroler Landesregierung erlassenen Vorschriften zur Verwendung von Pflanzenschutzmitteln ihr Ziel verfehlen.“

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alfred frei Tue, 09/20/2016 - 11:21

Die Malser Volksabstimmung - die Volksbefragung für das Benko-Kaufhaus - das Flughafenreferendum: wie könnte man im Vorfeld gegen die Fremdbestimmung eine Landes-Demokratie-Hinterfragung durchführen ?

Tue, 09/20/2016 - 11:21 Permalink
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Klemens Kössler Wed, 09/21/2016 - 07:18

Nächstens wird ein offener Brief aus Mals bestätigen dass die Malser das warme Wasser neu erfunden haben, ausländische arbeitslose Experten werden dies bestätigen.

Wed, 09/21/2016 - 07:18 Permalink
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Klaus Griesser Sat, 09/24/2016 - 18:49

Eine tragische Wahrheit kommt dank dieser Chlorpyrifos- Ethyl- Debatte und dank der händeringenden Beteuerungen der Landwirtschaftsspitzen an die Oberfläche: die chemische Verseuchung in den Böden ist schon soweit fortgeschritten – entgegen allen jahrzehntelangen Beteuerungen der „integrierten Obstbau“- Experten- dass die Gala-Ernte in Gefahr ist entweder nicht verkauft werden zu dürfen oder von den Essigfliegen vernichtet zu werden. Es kommt heraus dass die Verantwortlichen darüber hinwegsehen, dass die Chemie in den Böden ein so hohes Risiko für die öffentliche Gesundheit darstellt, dass LR Schuler einen Schilderwald befürchtet und die LRin Stocker zum Handeln auffordert, wobei indirekt klar wird, dass die Abstandsregelungen und die Abdriftvermeidungstechnologien für die Katz sind. Es wird beklagt, dass das jetzt ein Notfall sei und deshalb Verständnis erbitte. Im Klartext heisst das, der wirtschaftliche Erfolg ( die gesicherte Ernte) müsse vor die Gesundheit gestellt werden. Was ist das für eine Ethik welcher Art von Bauernschaft? Eigentlich läuten die Alarmglocken schon lange, nur scheint die finanzstärkere, politisch entscheidende Richtung des Bauernbundes sie nicht hören zu wollen und zieht es vor, den materiellen Erfolg vor alles andere zu stellen, ohne Rücksicht auf die Menschen.
Der gegenteilige Trend ist m.E. unaufhaltsam: die Teile der Bauernschaft, die nachhaltig und gesunde Lebensmittel erzeugen wollen, werden sich von der teuren Chemieabhängigkeit lossagen und sich vom Monokulturismus sprich von der preisdrückenden Massenkonsumproduktion abwenden. Nicht nur in Mals!
Ich hoffe inständig, dass die Frau Landesrätin Stocker – über die Bitte von LR Schuler hinausgehend – die reale Gesundheitsgefährdung der Bevölkerung durch die Landwirtschaftschemie an den öffentlichen Gründen nahe der Obstwiesen erheben lässt – umfassend, systematisch und unabhängig von den Landwirtschaftsverbänden.

Sat, 09/24/2016 - 18:49 Permalink