Environment | Toblacher Gespräche

„Wissenschaft weiß um ihre Grenzen“

Fabian Scheidler erforscht bei den Toblacher Gesprächen die Rätselhaftigkeit von Mensch und Tier und findet: Versuchen wir die Umwelt zu kontrollieren, zerstören wir sie.
Hinweis: Dies ist ein Partner-Artikel und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.
Scheidler, Fabian
Foto: Scheidler

Fabian Scheidler ist Autor und Dramaturg – und zu Gast bei der 33. Ausgabe der Toblacher Gespräche "Was wissen die Tiere?". In seinen Büchern und Werken befasst sich der ehemalige Philosophie-, Geschichte- und Theaterstudent mit den Herrschaftssystemen, die wir Menschen seit rund 5.000 Jahren produzieren und die unsere Beziehung zu Mensch, Tier und Umwelt definieren.

 

Salto.bz: Der Titel Ihres Vortrags lautet: „Vom Automaten zur Lebendigkeit. Warum Tiere genauso rätselhaft sind wie wir selbst“. Können Sie das näher erklären?

Fabian Scheidler: Noch im 16. Jahrhundert wurde die Welt als beseeltes, lebendiges Ganzes wahrgenommen; auch von Wissenschaftlern wie Johannes Kepler zum Beispiel. In der Zeit des Frühkapitalismus hat sich hingegen ein Naturbild entwickelt, das die Natur als Mechanik, als Uhrwerk versteht. Descartes und Hobbes etwa hielten Tiere für seelenlose Automaten, die man einfach nachbauen könnte! Diese Vorstellung hat sich über die Jahrhunderte durchgesetzt und radikalisiert. Leute im Silicon Valley behaupten heute zum Beispiel, dass wir nichts weiter als Algorithmen sind, die man auf eine Festplatte hochladen könnte. Die Geschichte der Naturwissenschaften selbst zeigt aber, dass die Auffassung von Lebewesen als Maschinen eine Sackgasse ist. Zum einen beruht Leben auf selbstorganisierenden Kreislaufprozessen, die ihrer Natur nach nicht linear und deterministisch sind. Zum anderen ist das Bewusstsein, die Tatsache, dass wir fühlen und denken, heute noch ein ebenso großes Rätsel wie vor 5.000 Jahren. Niemand kann sagen, woher es kommt, wo es in der Evolution anfängt und wo es aufhört.

 

In Ihren Büchern und Vorträgen unterscheiden Sie zwischen einer zielgerichteten, lösungsorientierten Wissenschaft und der wahren Wissenschaft, die mehr Rätsel aufgibt als sie löst. Können Sie diesen Bruch genauer beschreiben? 

Ich unterscheide zwischen technokratischer Ideologie und aufgeklärter Wissenschaft. Die technokratische Ideologie behauptet, dass wir alles berechnen können; dass die Welt einem Lego-Bausatz gleicht und sich beliebig zerlegen und neu zusammensetzen lässt;  dass nur das, was wir messen und zählen können, eine wirkliche Realität hat - subjektive Eindrücke bedeuten nichts. So entsteht die Illusion, die Natur vollständig beherrschen zu können. Aufgeklärte Wissenschaft ist etwas ganz anderes: Sie ist sich ihrer eigenen Grenzen bewusst.

Sie sagen: „Wenn wir versuchen, Mensch und Natur zu kontrollieren, zerstören wir sie”. Warum? 

Der amerikanische Anthropologe Gregory Bateson hat einmal gesagt: Wenn ich einen Stein trete, bewegt er sich mit der Energie, die ihm mein Tritt verleiht, und ich kann die Flugbahn einigermaßen berechnen. Wenn ich einen Hund trete, bewegt sich der Hund mit der Energie, die ihm sein eigener Stoffwechsel zur Verfügung stellt. Und ich werde nicht genau sagen können, was passiert. Lebende Systeme sind nicht-lineare, nicht-deterministische Systeme. Jeder, der sein Kind versucht, zu etwas zu zwingen, weiß, dass meistens etwas ganz anderes dabei herauskommen wird (lacht). Das betrifft alles Leben. Mit Pestiziden kann ich zwar kurzfristig Erträge steigern, zerstöre aber gleichzeitig die Mikroorganismen und Insekten, von denen das Gesamtsystem abhängt. Wenn wir mit einem linearen Denken an komplexe Kreisläufe herangehen, zerstören wir am Ende das, was wir zu kontrollieren versuchen. 

Das heißt aber nicht, dass wir aufhören müssen, zu planen und Dinge vorhersagen zu wollen?

Nein, natürlich nicht. Menschen sind planende Wesen. Aber Planung und Kontrolle sind zwei vollkommen verschiedene Dinge. Planung kann und muss flexibel sein. Wir müssen immer damit rechnen, dass unser Plan nicht aufgeht und die Natur völlig anders reagiert als wir uns das denken. Deshalb brauchen wir eine gewisse Demut vor größeren Systemen; bei Dingen wie Geoengineering zum Beispiel, die zu absoluten Katastrophen führen könnten. 

 

Tiere, aber auch Menschen werden im Räderwerk der endlosen Kapitalakkumulation zu einer reinen Funktion degradiert.

 

Sie beschäftigen sich in Ihren Werken vor allem mit der Geschichte der Menschheit selbst und den Herrschaftssystemen, die sie produziert. Wie wirkt sich diese auf unsere Beziehung zu den Tieren aus? 

Die Idee und Praxis der Herrschaft, die sich in den letzten 5.000 Jahren entwickelt hat, durchdringt unsere Beziehungen zu den Mitmenschen, aber auch zu den Tieren. Wie früher über Untertanen und Sklaven verfügt wurde, verfügen wir heute über das Leben der Schweine und Vögel in den Tierzuchtfabriken. Tiere, aber auch Menschen werden im Räderwerk der endlosen Kapitalakkumulation zu einer reinen Funktion degradiert. Der Kern des Problems sind nicht Einzelne, die vielleicht unmoralisch handeln: Es sind unsere gesellschaftlichen Institutionen, die unmoralisch und nicht zukunftsfähig sind. Es braucht also sowohl eine weltanschauliche als auch eine institutionelle Veränderung. Diese beiden Dinge müssen miteinander einhergehen. 

Was sie beschreiben, ist eine Weltanschauung, die Mensch, Natur und Tiere als Ressourcen wahrnimmt. Aber gibt es denn eine Alternative dazu? Sind Menschen, Tiere und Natur nicht immer auch eine Ressource?

Begriffe wie „Ressource“ oder auch „Humankapital“ reflektieren die Tatsache, dass wir einander aber auch uns selbst zum Objekt geworden sind. Kinder werden bereits in einem sehr frühen Alter auf Durchsetzung im globalen Wettbewerb gedrillt. Das entspricht nicht unbedingt dem tatsächlichen Entfaltungspotenzial eines Kindes. Man muss sich immer fragen, wem oder was dient denn das eigentlich? Ich glaube – und darum geht es in meinen Büchern –, dass wir vom Objekt wieder zum Subjekt werden müssen, das heißt zu Wesen, die aus ihrer Innenwelt heraus handeln und in der Lage sind, die Innenwelten von anderen Menschen und nicht-menschlichen Wesen emphatisch wahrzunehmen.

 

Sie schlagen auch ganz konkret ein 16-Punkte-Programm für den sozial-ökologischen Umbau vor. Die Frage ist aber: Wie schaffen wir den politischen Willen, so einen systematischen Wandel anzugehen?

Zunächst muss man sich fragen, warum dieser Wandel nicht längst passiert, obwohl wir alles seit 50 Jahren wissen. Die ersten Regierungsberichte zu den Gefahren des Klimawandels stammen aus den 60er-Jahren! Dass die Emissionen trotzdem immer weiter steigen, hat mit den institutionellen Strukturen zu tun, die auf endloser Expansion beruhen. Kapitalgesellschaften können beispielsweise gar nicht existieren, ohne aus Geld mehr Geld zu machen. Und wir haben Regierungen, die sehr stark mit diesen Gesellschaften verflochten sind. Wenn wir uns anschauen, in welche Richtung staatliche Gelder fließen, sehen wir, dass die destruktivsten Branchen massiv subventioniert werden. 

Die wären? 

Das Militär, die Großbanken, Fluggesellschaften oder die Autoindustrie werden durchgehend - und besonders während der letzten Krisen - mit Billionen an Steuergeldern subventioniert. Diese Kollusion zwischen Staat und Kapitalgesellschaften ist genau das Problem. Was wir brauchen, ist eine Entflechtung von Staat und Großkapital. Und wir brauchen neue, gemeinwohlorientierte Wirtschaftsinstitutionen, die nicht primär für den Profit arbeiten. Allerdings wird ein so tiefer gesellschaftlicher Umbau in den nächsten 10 Jahren vermutlich kaum zu schaffen sein. Vielleicht werden wir in dieser Zeit bereits einige Kipppunkte im Klimasystem überschreiten. Das bedeutet nicht zwingend die Apokalypse, aber die Herausforderungen werden enorm wachsen.

 

Die Kollusion zwischen Staat und Kapitalgesellschaften ist das Problem. Was wir brauchen, ist eine Entflechtung von Staat und Großkapital.

 

Wo sehen sie unsere Aufgabe in dem Ganzen? 

Wir müssen politisches Handeln neu definieren. Welche neuen Institutionen könnten wir schaffen? Wo gibt es Ansätze? Was wir sehen, ist die Krise einer ganzen Zivilisation. Hier geht es nicht um so etwas wie den Übergang von einer Planwirtschaft zu einer Marktwirtschaft, sondern um einen viel tieferen Wandel, der auf allen Ebenen stattfindet. Im Lokalen wie auch auf globaler Ebene - Grenzen, Nationalstaaten, die gesamte internationale Ordnung wird sich neu definieren müssen. 

Was kann uns in so einer Situation zum Handeln motivieren?

Ein System, das in eine tiefe Krise kommt, ist anfälliger für Veränderungen: im Positiven wie im Negativen. Der Schmetterlingseffekt besagt ja, dass ein Schmetterling, der in Indonesien seine Flügel bewegt, einen Hurrikan in Florida bewirken kann. Das passiert natürlich nicht immer - aber es ist möglich: Eine Schülerin mit Asperger-Syndrom und einem Pappschild vor dem schwedischen Parlament hat die größte Jugendbewegung seit Jahrzehnten in Gang gebracht. Davon werden wir in den nächsten Jahren wahrscheinlich mehr sehen - von der einen wie von der anderen Seite. Deshalb macht es auch Sinn, sich jetzt zu engagieren. Weil alles, was wir jetzt tun oder nicht tun, einen Einfluss darauf haben kann, in welche Richtung das System in den nächsten Jahren kippen wird.

 

Interview und Text von Valentina Gianera

 

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Josef Fulterer Sun, 09/25/2022 - 07:04

Bis vor dem 1.Weltkrieg wurden Menschen gezwungen, mit Hieb-/Stichwaffen und schließlich mit mühsam zu ladenden Feuerwaffen aufeinander los zu gehen. Bei den "schrecklichen SCHLACHTEN" wurde ersucht möglichst viele "gegnerische Soldaten UM ZU BRINGEN oder KAMPF-UNFÄHIG zu machen," um anschließend sich am Eigentum des Verlierers zu bereichern.
Seit dem 1. Weltkrieg bis herauf zu Putins Überfall auf die Ukraine, werden mit den grausamen Erfindungen der Kriegsindustrie "die Gesundheit, auch das Leben der versklavten SOLDATEN, HÄUSER und INFRASTRUKTUREN zerstört."
Am Geldmarkt "werden von den Spekulanten an den Börsen, mehr als 90 %" des Kapitals STEUERFREI bewegt," während für den kläglichen Rest, "von der NEO-LIBERALEN Wirtschaftsform zunehmend mehr Geld nach ganz OBEN geschaufelt wird."
Seit die Industrialisierung vor 60 Jahren auch von den Schwellenländern als HEILs-BRINGER gesehen wird, "vergeudet die Menschheit in EINEM JAHR mehr FOSSILE BRENSTOFFE, wie zu frühreren Zeiten in 1.000.000 JAHRE geschaffen wurden" und "ERHÖHT damit leichtfertig die TREIBHAUS-GASE, die das hoch-komplizierte Zusammenspiel der WETTER-KOMPONENTEN stören und auch in MITTEL-EUROPA bereits KIPP-PUNKTE ausgelöst haben."

Sun, 09/25/2022 - 07:04 Permalink