Italiens zukünftiges Kabinett droht, noch vor seiner Vereidigung vor dem Staatspräsidenten zu scheitern. Anlass dazu ist einmal mehr der greise Parteivorsitzende von Forza Italia, Silvio Berlusconi und seine mittlerweile unberechenbaren Auftritte und Attitüden. So kündigte er am Dienstagabend aus heiterem Himmel an, er habe Italiens Beziehungen zu Putin wieder aufgenommen und verbessert: "Ho riallacciato i rapporti con Putin. Il presidente russo mi ha mandato venti bottiglie di vodka e una lettera dolcissima. Gli ho risposto con lambrusco e una lettera altrettanto dolce." Dann legte er noch eins drauf: "Vladimir è un uomo do pace, ci sono più morti per colpa di Zelensky."
Dann kommt er nochmals auf die bekannte Auseinandersetzung mit Giorgia Meloni im Senat zu sprechen: "Non ho chiesto nessun perdono a Giorgia" stellt der Ex-Cavaliere klar. Nach den Tiefschlägen und Beleidigungen der letzten Tage versichert der 86-jährige: "Ho un rapporto di amicizia con Meloni. Il suo uomo lavora a Mediaset." Die neuerliche Eskapade des ehemaligen Regierungschefs bestätigt, dass Berlusconi für seine Bündnispartner angesichts seiner Unberechenbarkeit immer mehr zu einer Zeitbombe wird. Seine Auftritte geraten immer öfter außer Kontrolle - so wie beim jüngsten Eklat im Palazzo Madama. Der Corriere della Sera: "La situazione assume contorni cosi surreali che viene da chiedersi se lo schieramento premiato dall'elettorato stia soffrendo la sindrome della vittoria o della sconfitta con Silvio Berlusconi e Matteo Salvini così frustrati dal magro risultato ottenuto da volersi vendicare del successo di Meloni."
Die drohende innenpolitische Krise noch vor dem Amtsantritt der neuen Regierung löst in Brüssel erhebliche Besorgnis aus. Politische Vereinbarungen mit Forza Italia scheinen das Papier nicht mehr wert, auf dem sie geschrieben sind. Berlusconi rühmt sich trotz des Krieges in der Ukraine seiner Freundschaft mit dem russischen Staatschef: "Sono il primo dei cinque veri amici del presidente russo." Meloni zeigt sich deutlich verärgert: "La posizione italiana sulla Russia non cambia", stellt sie unmissverständlich klar. Die Situation wird zusätzlich dadurch erschwert, dass der Ex-Cavaliere noch immer in den Ruby-Prozess verwickelt ist und eine endgültige Verurteilung erneut zu einer Suspendierung seines Mandats als Senator führen könnte.Meloni überlegt nun den Ausschluss von Forza Italia aus der Regierungskoalition: "Il governo sarà parte dell' UE e della Nato."
Das Theater um Berlusconi zieht sich seit vielen Jahren hin. Vor wenigen Tagen bin ich in meiner Schreibtischschublade auf einen ausgezeichneten Artikel des befreundeten Italien-Korrespondenten Paul Badde in der Tageszeitung Die Welt gestoßen. Unter dem Titel Der Herbst des Sultans heißt es dort: "Hinter dem alten Theater ist noch das leise Rauschen des Vorhangs für den letzten Akt eines Trauerspiels zu hören, in das sich die alte Komödie mit Silvio Berlusconi vor aller Augen zu verwandeln scheint. Wer sich persönlich als Supermann vorstellt, ist keiner mehr. Wer seine Heldentaten nur noch alleine rühmt, ist ein bröckelndes Denkmal seiner selbst geworden." Der Artikel stammt vom 21. September - geschrieben vor 13 Jahren. Doch geändert hat sich nichts - der mittlerweile 86-jährige Vorbestrafte zeigt sich bei der Regierungsbildung noch immer als Strippenzieher. Das ist Italiens eigentlicher politischer Skandal, der im Rest Europas schon seit Jahren auf völliges Unverständnis stösst und der zweifelsohne zur Wahlniederlage seiner Partei beigetragen hat - unter dem Motto non se ne può più. Einer der Gründe dafür ist, dass die Partei mit ständig sinkenden Mitgliederzahlen auf die Finanzspritzen Berlusconis angewiesen ist.