Culture | Salto Afternoon
Königliche Erbärmlichkeit
Foto: Andreas Marini
Ist der Minimalismus auf der Bühne (Christina Khuen, ebenfalls Regie) als Zeichen eines rückläufigen Prozesses, des Verfalls eines Königreichs und dessen Galionsfigur, dem König (Dietmar Gamper) zu lesen, oder ist er dem Umstand geschuldet, dass wir auf eine Kleinkunstbühne blicken? Es wird wohl mehr am letzteren liegen, passt aber perfekt zum spröden, unangenehmen Stück „Der König stirbt“: Wir sind auf den König und seinen geschrumpften Hofstaat zurückgeworfen, können dem Unumgänglichen nicht entrinnen. Hauptsächlich ist es Wache und Herold Josef Lanz (als Ersatz für Hans Marini), dem die Aufgabe des Comic-Relief-Charakters, also der humorvollen Entlastung während des Stückes zukommt, seine Zwischenrufe bleiben kurz und steigern gleichzeitig den absurden Charakter des Stückes. Dies geschieht etwa durch eine Umwidmung der Heraldischen Formel („Der König ist tot. Lang lebe der König!“) auf einen strauchelnden, sich wieder aufrichtenden und auch mit vollem Körpereinsatz stürzenden Dietmar Gamper, dessen unausweichlichen Tod immer wieder vorweg gegriffen wird. Auch die Insignien der Macht, Krone und Zepter, rollen immer wieder symbolträchtig die zweite, schiefe Bühne im Bühnenraum hinab.
Weiters sind am Hof die erste Königin, Margarete (Johanna Porcheddu) und zweite, Marie (Brigitte Knapp), der Hofarzt mit dickem, schwer einzuordnen Akzent (Paolo Tosin), sowie die Zofe und Mädchen für Alles, Julchen mit Osteuropäischem Akzent (Marion Gamper) zugegen. Besonders den beiden Königinnen - die erste kalt und distanziert, die zweite, vom König bevorzugte, tränenreich und empatisch - kommt die Aufgabe zu, für äußere Spannung zu sorgen, was durch gute Schauspielleistungen ermöglicht wird. Gleichzeitig Mensch und überlebensgroße Schablone ist dabei der mindestens 400 Jahre alte König, ein Widerspruch, den Dietmar Gamper in sich aufzunehmen weiß und mit großer Intensität spielt: In seiner Darbietung sehen wir in knappen eineinhalb Stunden die sieben Phasen der Trauer und den Fortschritt eines erst körperlichen, dann zusehends geistigem Leiden, das an Alzheimer denken lässt. Dieser Verfall ist dabei ebenso schwer mitanzusehen, wie faszinierend, da er gleichzeitig ein Prozess des Menschwerdung ist. Wir sehen zu Beginn einen König, der bereits geschwächt ist, sich aber noch mit alter Größe und unmöglichen Verdiensten schmückt. Halb zum Erhalt der königlichen Restwürde und halb aus Sanftmut wird ihm anfänglich dieser Halbgott-Status noch zugestanden. Was davon wahr ist und was davon nicht, spielt in diesem absurden Theater auch keine Rolle.
Das für Eugène Ionesco in vielfacher Hinsicht so untypische Stück, das etwa eine Abtragung von Elementen im Bühnenraum statt einer Anhäufung vorsieht (in der Theater in der Altstadt Version erlöschen statt dessen nach und nach die Lichter des Faux-Kronleuchters) wurde in einer Fase schwerer Krankheit geschrieben. Dass wir eine sich selbst für allmächtig haltende Figur an der Notwendigkeit des eigenen Todes zerschellen und sich schließlich neu zusammensetzen sehen, macht den Prozess eindrücklicher.
Darüber tröstet nicht hinweg, dass Maske (Gudrun Pichler) und Kostüm (Andrea Kerner) das Stück klar als solches kennzeichnen, etwa mit dem netten, winzigen Kunstgriff des schräg angeklebten königlichen Oberlippenbarts. Die Emotion auf der Bühne wird umso wahrhaftiger, je mehr die Institution König buchstäblich entmantelt wird. Zurück bleibt eine Kreatur, die sich, vergeblich ans Leben klammert und Schwierigkeiten hat, sich auf der schiefen Ebene im Bühnenraum zu halten. Hier wird diese zum ebenso einfachen, wie effizienten Mittel.
60 Jahre nach der Uraufführung drängen sich auch die starken Kontraste zu einem vor Kurzem erfolgten royalen Ableben auf: Auch in „Der König stirbt“ scheint es ein Protokoll zu geben, doch statt einer genau durchgeplanten „Operation London Bridge“, welche die Beisetzung und den öffentlichen Ablauf regelt, blicken wir hier als Fliege an der Wand ins ehemalige Zentrum der Macht, auf Abläufe, die unter Ausschluss und ohne Interesse der Öffentlichkeit statt finden. Kein geschöntes Grabportait eines Königs, sondern eine gnadenlose Bestandsaufnahme mit dem, heutzutage sicherlich weniger revolutionären Mut als in den 60ern, die Sinnhaftigkeit dieses historischen Relikts Monarchie anzuzweifeln. Im Theater in der Altstadt geht dies schnörkellos und ohne Zeremoniell von Statten, mit gerade genug Platz zwischen erster Reihe und schiefer Bühnenebene für die ausladenden Reifröcke der um den König kreisenden Königinnen. So nah kommt man dem Tod eines Königs nie wieder: Ein Kammerspiel nutzt seine Stärken.
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Trotz einer Reihe
Trotz einer Reihe zutreffender Beobachtungen und Feststellungen wird jene Kritik angesichts ihrer historischen Unstimmigkeiten, Rechtschreibe- und Zeichensetzungsfehler sowie unangemessener Vergleiche etwa mit der Beisetzung Elisabeth I oder auch mit der Alzheimer-Krankheit weder diesem Stück noch der Inszenierung gerecht. Die hätten beide Anerkennung und ausdrückliches Lob verdient, in einer Zeit, die, um es mit J. A. Schumpeter zu sagen, den „Eskapismus zu einem Denksystem gemacht“ hat. Nicht dieses Stück ist unangenehm – soll Theater angenehm sein? ‒, sondern die Wirklichkeit fatalen Selbstbetrugs, den diese gelungene Inszenierung im Theater in der Altstadt dramatisch bloßlegt. Dabei geht es trotz der dortigen, beschränkten Räumlichkeiten keineswegs um Kleinkunst, sondern um Theater, dessen Größe sich nicht durch Kubikmeter bestimmen läßt. All denen, die authentisches, leibhaftiges Theater sehen wollen, ist ein Besuch dieser Inszenierung nur zu empfehlen.
Da wurde aus Eugene Ionescos
Da wurde aus Eugene Ionescos „Der König stirbt“ das Stück zur Stunde gemacht! Bemerkenswerteste Darstellung durch Schauspieler, Kostüme, Maske, Bühnenbild, Regie!!
Theater pur!
100% Empfehlenswert!
Die Kritik und Interpretation
Die Kritik und Interpretation von Michael Denzer, wird der die Tiefe des Stücks und des Spiels nicht gerecht!