Politics | Wahlen/Elezioni 23

„Das geht nicht!“

Wir sind bereit, Verantwortung zu übernehmen, sagt Ulli Mair, Polit-Urgestein der Freiheitlichen. Allerdings nicht zu jedem Preis.
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Foto: Facebook / Ulli Mair
  • SALTO: Sie wurden erstmals 2003 in den Landtag gewählt und sind nunmehr seit 20 Jahren als Abgeordnete der Freiheitlichen in diesem Gremium vertreten. Wird es Zeit für eine Regierungsbeteiligung?

    Das muss der Wähler entscheiden. Selbstverständlich ist es aber immer das Ziel einer Partei, irgendwann einmal auch Verantwortung zu übernehmen. Das musste auf Landesebene bis dato noch keine andere deutsche Partei tun. Wir wären bereit, aber nicht zu jedem Preis – das hängt von den Inhalten und dem Abkommen ab, das punktuell die Handschrift der Freiheitlichen tragen muss. 

    Was wäre ein Preis, den Sie nicht bezahlen bzw. ein Punkt, auf den Sie beharren würden?

    Davon gibt es viele. Zum Beispiel bestehen wir auf ein Landesenergiegesetz, mit welchem wir die autonomiepolitischen Spielräume ausnutzen wollen – weil es laut Autonomie-Statut auch möglich wäre. Wir sind der Meinung, dass dies notwendig ist, damit alle Bürger, Private wie auch Betriebe, von der lokalen Stromproduktion profitieren können. Es muss sichergestellt werden, dass nicht nur die vorhandenen Spielräume genutzt werden, sondern auch neue geschaffen werden. Dafür brauchen wir Energiegenossenschaften, eine Regulierungsbehörde, und Tarifzonen, bei welchen wir den Fokus auf die Preisgestaltung legen können und die Selbstversorgung wie auch den Umweltschutz berücksichtigen.

  • „Es muss sichergestellt werden, dass nicht nur die vorhandenen Spielräume genutzt werden, sondern auch neue geschaffen werden.“

  • Ein ganzes Paket an Maßnahmen sozusagen?

    Genau. Das ist sicher ein Punkt, auf den wir beharren werden. Ein weiteres Thema ist leistbares Wohnen. Kurz gesagt: Der gesamte Sozialbereich würde uns immens reizen. Wir wissen zwar, dass wir begrenzte autonome Spielräume haben, aber auch die würden mit einer Freiheitlichen Regierungsbeteiligung in den nächsten Jahren ausgebaut werden. Der Plan muss sein, Schritt für Schritt die Zuständigkeiten ins Land zu holen. Unsere Autonomie stammt aus dem letzten Jahrhundert, Anpassungen an dynamische Notwendigkeiten hat es nicht gegeben, was bedeutet, dass wir in wesentlichen politischen Fragen keinen bzw. nur einen begrenzten Spielraum haben. 

    Zentrale Anliegen in Ihrem Parteiprogramm sind die Autonomie bis hin zum Freistaat. Eine Utopie oder realistisch?

    Das ist ein Thema, das uns immer begleitet hat. Wir wollen unsere Teil-Autonomie Schritt für Schritt zu einer echten Eigenständigkeit ausbauen. Wenn der Wille vorhanden ist, dann ist es realistisch, und zwar mit allen drei Sprachgruppen. Ich glaube, dass auch die Italiener verstanden haben, dass wir in Südtirol eine andere Lebensrealität haben.

  • Ulli Mair, seit 20 Jahren für die Freiheitlichen im Landtag: „Ich habe die Erfahrung gemacht, dass, wenn es die Freiheitlichen sagen, es nicht als sachliche Interpretation verstanden wird.“ Foto: Seehauserfoto
  • Zum Beispiel?

    Die staatlichen Kollektivverträge spiegeln nicht die Lebensrealität in Südtirol wieder. Diese mögen für Süditalien passen, die Südtiroler sind jedoch mit hohen Lebenshaltungskosten konfrontiert. Auch hier möchten wir, dass die staatlichen Verträge durch Landestarifverträge ersetzt werden, damit wir einen rechtlichen Spielraum schaffen können. Lohnanpassungen im öffentlichen Sektor sind zu wenig, wir müssen, was die Lohngestaltung betrifft, auch in der Privatwirtschaft Maßnahmen ergreifen, Z. Bsp. durch ein zusätzliches Lohnelement, das für Betriebe ein Pflichtkriterium zur Teilnahme an öffentlichen Ausschreibungen werden kann. Wenn man den Mut hat, mit Rom effektiv Verhandlungen zu führen, dann ist hier sehr viel möglich. Wir wollen von einer reinen Verwaltungsautonomie zu einer aktiven politischen Autonomie gelangen. Wir wollen Politik machen und nicht nur verwalten. Dazu ist man in der Lage, wenn man mehr Kompetenzen und Eigenverantwortung hat. 

    Auf Ihrer Agenda steht seit Jahren die Migrations- und Integrationsfrage, die seit Kurzem sogar von der SVP entdeckt worden ist. In Ihren Augen glaubwürdig? 

    Nein, glaubwürdig ist das sicher nicht. Ich finde es sogar peinlich, wenn ich gewisse Aussagen lese oder höre, weil man an diesem Beispiel sieht, wie sträflich das Thema in den vergangenen Jahrzehnten vernachlässigt worden ist. Die SVP hat dieses Thema immer oberflächlich und gutmenschlich behandelt, an die Negativfolgen wurde kein Gedanke verschwendet. Möglicherweise waren wir vor 20 Jahren mit unseren Argumenten und Fragen zu früh dran. Wenn man aber damals bereits auf uns gehört hätte, würden bestimmte Debatten heute gar nicht auf der Tagesordnung stehen. Das musste ich erst vor Kurzem wieder in einem Gespräch mit Lehrern und Schuldirektoren erfahren, die sogenannte Willkommensklassen forderten. Wir haben seinerzeit immer betont, dass wir Sprachförderklassen brauchen, wo Kinder mit Migrationshintergrund fit gemacht werden, um am Regelunterricht teilnehmen zu können. Wir wurden für diesen Vorschlag immer belächelt und man hat so getan, als würden wir ausgrenzen, was nicht stimmt, weil es uns um Integration geht. Damit das gelingt, ist die Beherrschung der Sprache aber Voraussetzung. Nach 15 Jahren geht die Forderung nun vom Lehrpersonal aus. Man hätte gewisse Sachen bereits viel früher anpacken können, damit die Probleme nicht ausufern, wie wir es derzeit erleben können. Wenn ich höre, dass in Bozen im Pausenhof einer deutschen Schule fast ausschließlich Italienisch gesprochen wird und man kaum ein deutsches Wort hört, dann ist das bedenklich und nicht im Sinne der deutschen Schule. 

  • Durch die Bank bei allen Besuchen in Oberschulen oder bei Podiumsdiskussionen ist die Sicherheit ein großes Thema. 

  • Wird eine sachliche Diskussion durch ideologische Prinzipien verhindert?

    Ich habe die Erfahrung gemacht, dass, wenn es die Freiheitlichen sagen, es nicht als sachliche Interpretation verstanden wird. Wenn sich eine Partei um Integration bemüht, Lösungen präsentiert, aber auch betont, dass von Seiten der Zuwanderer eine Bringschuld besteht bzw. ein Anreiz gesetzt werden muss, dass die Landessprachen erlernt werden, dann ist das immer Sachpolitik. „Sie können zusehen, wo sie bleiben“ ist nicht unsere Devise. Heute werden wir von der Realität eingeholt. 

    Sie werden häufig darauf angesprochen?

    Erst vor Kurzem haben mir in Mals viele jungen Leute davon berichtet, dass sie nicht mehr den Zug benutzen wollen – abends sowieso nicht –, weil sie sich nicht mehr sicher fühlen. Sie sagten mir, dass es überall Security-Mitarbeiter brauche. Das ist sehr bedenklich. Durch die Bank bei allen Besuchen in Oberschulen oder bei Podiumsdiskussionen ist die Sicherheit ein großes Thema. Das ist keine Angstmacherei der Freiheitlichen, sondern das wird von der Bevölkerung so gefühlt. Mütter, Eltern sorgen sich um die Sicherheit ihrer Kinder – inzwischen auch schon untertags. Bestimmte Straßen und Viertel werden gemieden, weil Pöbeleien an der Tagesordnung sind, die oft auch in gewalttätige Übergriffe ausarten. Dieses Problem geht die Politik sehr halbherzig an und es genügt mir nicht, wenn Landeshauptmann Arno Kompatscher hier auf die Kompetenzen des Staates verweist. Wir haben in diesem Bereich einige kleine Spielräume, die wir auch besser nutzen können. 

  • Ulli Mair: „Wir hätten weniger Probleme, wenn während der Wintermonate nicht an die 90 Carabinieri Dienst auf den Skipisten verrichten würden, wenn gleichzeitig reihenweise Einbrüche stattfinden.“

    Was wäre ein solcher Spielraum?

    Wir könnten die Sicherheitskräfte besser koordinieren, Landeshauptmann Kompatscher könnte auf regelmäßige Treffen mit den Verantwortlichen der Ordnungskräfte bestehen, und auch die vorhandenen Ressourcen könnten besser genutzt werden. Wir hätten weniger Probleme, wenn während der Wintermonate nicht an die 90 Carabinieri Dienst auf den Skipisten verrichten würden, wenn gleichzeitig reihenweise Einbrüche stattfinden. Den Skigebietsbetreibern kostet dieser Dienst nichts und die Carabinieri-Generäle erhalten im Gegenzug Gratis-Skipässe. Ich bin allerdings der Meinung, dass sich eigenes Sicherheitspersonal um die Skigebiete kümmern soll, so wie bei jedem anderen Betrieb auch. Was ich damit sagen will, ist, dass wir effektiv die Möglichkeit hätten, die Ressourcen besser einzuteilen. Weiters hätten wir auch die Möglichkeit, die Zusammenarbeit zwischen den Gemeinden bzw. Städten und der Staatspolizei besser zu koordinieren und die Ordnungskräfte gegebenenfalls mit Mitteln aus unserem Landeshaushalt auszustatten. Im Gegenzug könnten wir vom Staat zusätzliche Kompetenzen einfordern. Von einigen Gemeinden wird das Kasernen-Personal bereits unterstützt – sei es mit technischer Ausrüstung oder Drucker-Papier –, weil anscheinend nicht genügend eigene Mittel vorhanden sind. 

  • Was halten Sie von Philipp Achammers Forderung nach einer eigenen Landespolizei, sollte es in den Belangen der öffentlichen Sicherheit nicht ein entschlosseneres Vorgehen geben. 

    Eine eigene Landespolizei ist die letzte Konsequenz. Bis dahin müssen wir versuchen, schrittweise die Kompetenzen und Zuständigkeiten zu erlangen. Ganz davon abgesehen, muss ich über diese Aussage von Achammer lachen. Wenn heute ein Beamter hart durchgreift, wäre Achammer der erste, der sagen würde, dass das so aber nicht geht und alle möglichen Entschuldigungen dafür finden. Das ist lächerlich und ein Wahlgeplänkel auf unterstem Niveau. Daran merkt man, dass die gesamte Thematik nicht auf der Agenda der SVP stand.  

    Als die Minderheitenberichte zum U-Ausschuss „WirNeusNoi“ vorgetragen wurden, haben Sie Arno Kompatscher – der abwesend war – ordentlich die Leviten gelesen. Dieser sah sich am folgenden Tag veranlasst, eine Entschuldigung von Ihnen einzufordern. Könnten Sie mit Kompatscher zusammenarbeiten? Könnten Sie mit einem Landeshauptmann Durnwalder besser zusammenarbeiten?

    Das weiß ich nicht, aber die Ära Luis Durnwalder gehört der Vergangenheit an und wir sind im Hier und Jetzt. Ich kann mit Arno Kompatscher schon zusammenarbeiten. Nur, wenn ich Teil einer Regierung wäre, dann darf es das nicht mehr geben, dass sich ein Arno Kompatscher – wenn es brenzlig wird – wegduckt. Er hat am darauf folgenden Tag versucht, Opfer zu spielen. Seine Strategie bestand jedoch genau darin. Diese ging sogar soweit, dass während der Verlesung der Minderheitenberichte eigentlich keiner der SVP-Mandatare im Landtag anwesend sein sollte. Wie man sehen konnte, fehlte die Mehrheit. Urheber dieser Aktion war jedoch Landeshauptmann Kompatscher und das finde ich peinlich. Wenn Dinge angesprochen werden, die aus seiner Sicht nicht stimmen, so hat er die Möglichkeit, darauf zu reagieren – aber einfach nicht zu erscheinen, das geht nicht. Dieses Verhaltensmuster zeigt sich auch in anderen Bereichen wie beispielsweise in der Sanität, wo ihm alles über den Kopf wächst – was auch kein Wunder ist, denn dieses Ressort kann man nicht nur so nebenbei verwalten. Er versucht, sich die Rosinen herauszupicken und das geht nun einmal nicht. Zum Amt eines Landeshauptmannes gehören auch die unangenehmen Dinge.