Culture | Zeitgeschichte
Der Dableiber
Foto: IF Amonn AG
Ich muss zugeben, dass selbst ich Erich Amonn ursprünglich vor allem als Vater von Christoph Amonn gesehen habe und nicht so sehr als denjenigen, der die SVP als Sammelpartei in schwierigen Zeiten möglich gemacht hat. Dass ich ihn dann vor allem auch durch seinen Sohn gesehen habe, hat ihm sicher keinen Abbruch getan. Christoph Amonn, der uns auch schon vor mehr als einem Vierteljahrhundert verlassen hat, war für mich einfach das Symbol für nichts Geringeres als einfach für Anständigkeit. Dabei belasse ich es, es wird sich eine andere Gelegenheit ergeben, ihn und seine Verdienste zu ehren.
Der Gründer der SVP, der Sammelpartei
Heute geht es um seinen Vater, um Erich Amonn, den Gründer der Südtiroler Volkspartei und ihren ersten Obmann (1945 -1948), der vor 50 Jahren verstorben ist. Er gründete am 8. Mai 1945, dem Tag, an dem in Europa der 2. Weltkrieg zu Ende ging, eine Partei, die den Anspruch hatte, alle Südtiroler und Südtirolerinnen zu vertreten. Dieser Anspruch bedeutete auch, die unversöhnlich scheinenden Lager der Optanten und Dableiber zu vereinen, was schließlich auch gelang. Silvius Magnago hatte die Sammelpartei bei einer der ersten Wahlveranstaltungen einmal so charakterisiert: hier stehe er, ein Optant und Kriegsversehrter, neben ihm Friedl Volgger, ein Dableiber, Widerständler, ein KZler, das sei die Südtiroler Volkspartei. Andere Zuschreibungen waren damals nicht notwendig.
Die Basis dafür hatte Erich Amonn mit weiteren Dableibern geschaffen, die aus den Erfahrungen nach dem 1. Weltkrieg wussten, dass man rechtzeitig vorbereitet sein musste. Für das Amt des Obmannes gab es keinen Geeigneteren als Erich Amonn, einen Dableiber, Widerständler und Mann mit Verbindungen im In- und Ausland. Mit ihm an der Spitze und den Dableibern an seiner Seite war es möglich, die Zustimmung der Alliierten zu erhalten. Zu den Vorbereitungen, die man während des Krieges getroffen hatte, gehörten nicht nur Kontakte, sondern auch inhaltliche Festlegungen. Diese sind im Memorandum festgehalten, welches Kanonikus Michael Gamper, schon aus dem Lande geflüchtet, verfasst hatte. Es legt detailreich dar, warum Südtirol zum wieder erstehenden Österreich kommen sollte. Nur für den Fall, dass dies gar keine Aussicht auf Erfolg haben sollte, wird ein Vorschlag in extremis angeführt, nämlich „die Errichtung eines von anderen Staaten unabhängigen Tirol als neutraler Freistaat nach der Art der Schweiz“.
Für das Amt des Obmannes gab es keinen Geeigneteren als Erich Amonn, einen Dableiber, Widerständler und Mann mit Verbindungen im In- und Ausland.
Das, was man inhaltlich wollte, war in diesem Memorandum festgehalten. Um es zu erreichen, brauchte es eine starke Basis. Die starke Basis war allerdings nur zu erreichen, bezog man auch die Optanten ein. Dies geschah vorerst durch die Erweiterung der Mitgliederbasis, wobei genau das dann auch gegen die Partei verwendet wurde.
„Herrgott, mach uns frei!“
Am 8. Mai 1945 wurde auch das kurze Programm dieser neuen Partei verabschiedet. Zentrale Forderung war die Selbstbestimmung. Aber auch die Regelung der Optantenfrage war drängend, hatten doch alle Optanten, auch die im Lande verbliebenen, keine italienische Staatsbürgerschaft mehr, waren damit nicht geschäftsfähig und auch nicht wahlberechtigt. Die Forderung nach dem Selbstbestimmungsrecht, was die Rückkehr zu Österreich meinte, wurde auf verschiedenen Protestkundgebungen im ganzen Lande eingefordert, genauso wie mit der Unterschriftensammlung, an der sich praktisch alle erwachsenen Südtiroler beteiligt hatten. Die größte Protestkundgebung gab es damals schon mit 15.000 bis 20.000 Menschen am 5. Mai 1946 auf Sigmundskron, bei der der Obmann der SVP Erich Amonn das „Herr, mach uns frei“ ausrief.
Dieser Ausruf war getragen durch eine Menge von Menschen mit großen Hoffnungen, dass endlich auch das eintrete, was bei der Annexion 1920 alle damaligen Parteien zum Ausdruck gebracht hatten, nämlich, dass „der Tag kommen wird, an welchem uns Gerechtigkeit und weitschauende Politik die nationale Befreiung bringen werden.“
Ich muss zugeben, dass selbst ich Erich Amonn ursprünglich vor allem als Vater von Christoph Amonn gesehen habe und nicht so sehr als denjenigen, der die SVP als Sammelpartei in schwierigen Zeiten möglich gemacht hat.
Es war wohl auch ein Ruf des Sich-Entledigens von den Demütigungen und Unterdrückungen von zwei Regimen. Für die Forderung nach Selbstbestimmung war es freilich zu spät, zweimal hatten sich vorher schon die Siegermächte in Außenministerkonferenzen gegen Südtirol entschieden.
Der „Sturm auf die Präfektur“
Das Unabänderliche mussten Erich Amonn und seine Partei am 5. September 1946 mit der Unterzeichnung des Pariser Vertrages annehmen. Schnell wurde in Umsetzung desselben ein Memorandum ausgearbeitet, welches neben der Lösung der Optantenfrage, dem Abbremsen der italienischen Einwanderung, vor allem die Ausarbeitung eines Autonomiestatuts vorsah. Die Vorstellungen, die Karl Tinzl dazu entworfen hatte, waren bereits im November 1946 erarbeitet und waren fortan die Grundlage der Gespräche auf allen Ebenen, auch den über 10tägigen im April 1946 in Rom. Erich Amonn und seine Mitstreiter mussten allerdings zur Kenntnis nehmen, dass hier niemand recht daran interessiert war, Südtirol eine Kultur- und Gesetzgebungs- und Verwaltungsautonomie zu geben, auch wenn die SVP schon verstanden hatte, dass sie wohl das Dach der Region akzeptieren muss. Nur dachte man lange Zeit, dass es möglich sein müsste, unter diesem Dach zwei getrennte Wohneinheiten zu haben und dass über Gemeinsamkeiten die Südtiroler zu befragen seien.
Nur: es kam ganz anders, der Pariser Vertrag wurde völlig unterlaufen. Der Entwurf des Autonomiestatuts sah eine starke Region mit wenigen Zuständigkeiten für Südtirol vor, diesen bekam man, wie alle anderen auch, im November 1947 übermittelt. Dazu sollte innerhalb einer Woche schriftlich Stellung genommen werden! Der „Sturm auf die Präfektur“ war eine logische Folge und auch das jetzt doch entschiedenere Eingreifen Österreichs. Erich Amonn hatte den österreichischen Außenminister Karl Gruber um dringende Intervention gebeten, da er befürchtete: „ daß dieser Verletzung des Pariser Vertrages hinsichtlich des Verfahrens noch weitere schwerere in Bezug auf die örtliche Ausdehnung und des Inhaltes der Autonomie folgen werden, daß insbesondere das Versprechen De Gasperis, das Verhältnis zum Trentino nicht ohne unsere Zustimmung zu regeln, nicht eingehalten“ wird. So kam es dann schließlich doch zu einer Anhörung der Südtiroler Vertreter mit dem Obmann Erich Amonn und dem Generalsekretär der Partei Otto von Guggenberg an der Spitze.
Nachbesserungen und Perassi Brief
Man erreichte schließlich einige Verbesserungen, die nicht zu unterschätzen sind, wären sie alle korrekt umgesetzt worden: das Unterland und der Nonsberg kamen wieder zu Südtirol, getrennte Wahlkreise sollten vorgesehen werden, Zugeständnisse gab es im Bildungsbereich, im Unterricht, die Gleichstellung der deutschen Sprache wurde garantiert, der Name Alto Adige bekam als deutsches Pendant Tiroler Etschland (Südtirol durfte es noch nicht sein!), der Art. 14 des Statuts sah die Möglichkeit der Übertragung von Verwaltungskompetenzen in Bereichen vor, in denen die Region Gesetzgebungskompetenz hatte. Das alles war nicht das, was man sich ursprünglich vorgestellt hatte. Wenn man sich entschloss, doch dazu Ja zu sagen, dann, so Otto von Guggenberg, „in erster Linie in der aus der Haltung Österreichs und Englands (der einzigen interessierten Großmacht) erwachsenen Erkenntnis, daß eine weitere Unterstützung aussichtslos war…“. Zudem hatte Degasperi bei der Vorlage des Regierungsentwurfs an die SVP gesagt: „Entweder die Südtiroler geben jetzt die Zustimmung, oder es verfällt die costituente und dann wird weiß Gott wann wieder davon (d.i. vom Statut) gesprochen.“
Nun war dieses Hinnehmen schon schwer. Trotzdem verlangte man römischerseits von Erich Amonn noch eine Absicherung, den berühmt-berüchtigten Perassi-Brief. Dieser Brief wurde vor allem von 1957 bis 1969 von Italien immer wieder gegen Forderungen vonseiten Südtirols und Österreichs mit dem Hinweis eingesetzt, dass ja der Obmann der SVP schon 1948 von der Verwirklichung des Pariser Vertrages gesprochen hatte. In diesem Brief vom 28. Jänner 1948 steht u.a. Folgendes: „So können wir mit lebhafter Freude feststellen, dass das Pariser Abkommen De Gasperi-Gruber vom September 1946, soweit es grundlegende Probleme der Autonomie betrifft, nunmehr seine Verwirklichung gefunden hat.“
Dass dieser Brief bei einigen geradezu Entsetzen ausgelöst hat, ist verständlich, genauso wie in der damaligen Lage nachvollziehbar erscheint, dass es schwer war, sich zu verweigern. Man war ja nicht umringt von Staaten, die einem helfen wollten oder konnten. Vielmehr musste man davon ausgehen, dass alle interessierten Staaten andere Sorgen hatten. Selber war man ständig Diffamierungen mit dem Nazi Vorwurf ausgesetzt, die Polizeimethoden erinnerten an den Faschismus, die Zuwanderung ging munter weiter, für die Einheimischen gab es kaum Arbeit und auch das Optantendekret war noch nicht verabschiedet. Diese „Waffe“ wurde auch immer wieder kokettierend eingesetzt.
„Wenn wir dies täten, dann würden wir bald zu einem für uns vorteilhaften Ergebnis kommen, ansonsten sollten wir lieber […] unsere Koffer packen.“
Dem Perassi-Brief waren Zuckerbrot und Peitsche vorausgegangen, einerseits Druck und Drohungen, andererseits Versprechungen, wie Erich Amonn in seinen Aufzeichnungen festhält: „Wenn wir dies täten, dann würden wir bald zu einem für uns vorteilhaften Ergebnis kommen, ansonsten sollten wir lieber […] unsere Koffer packen.“
Die Nachwehen
Intern spielt dieser Brief unmittelbar nach Unterzeichnung und dann v.a auch wieder ab 1956 eine Rolle, wie bereits gesagt. Daher überlegt man in der Partei immer wieder, wie man ihn „unschädlich“ machen könne.
Die Erklärung Erich Amonns auf der Landesversammlung 1956 reicht nicht, die neuerliche Erklärung 1957 von ihm und anderen, ist sehr umständlich und sagt wortreich nur, dass natürlich von Verwirklichung erst gesprochen werden kann, wenn die Maßnahmen auch tatschlich umgesetzt sind. Auch danach befasst sich die SVP weiter mit diesem Brief, für den frischgebackenen Obmann Silvius Magnago ist er 1958 irgendwie wie ein „Damoklesschwert“. Trotzdem ist er gegen einen Widerruf, wie ihn andere verlangen, da er „irgendwie erzwungen“ erschiene. Und er meint auch: „Die Vertreter waren vor die Wahl gestellt: Vogel friß oder stirb.“ Damit war das Ganze noch nicht abgetan, diese Aussage Magnagos aber weist bereits weiter auf das zweite Autonomiestatut. Bei der Paketabstimmung gebrauchte Magnago die gleiche Bildsprache, fügte aber noch hinzu: „aber wenn der Vogel frißt, dann lebt er und sonst stirbt er, das ist der Unterschied.“ Eine weitere Parallele ist auch gegeben: Das Ja bei der Landesversammlung 1969 wird von einigen auch als zweiter Perassi Brief gesehen.
Die Last der Entscheidung
Die Last der Entscheidung wiegt immer schwer. Vieles hängt in der unmittelbaren Beurteilung vom Umsetzungserfolg ab. Das war beim 1. Autonomiestatut in keiner Weise gegeben. Es waren auch andere Zeiten mit vielen Verantwortungsträgern, die noch im Faschismus Karriere gemacht hatten und solche mit wenig Verständnis für nationale Minderheiten. Erich Amonn, der Vater und Gründer der SVP war 1948 in der gleichen Situation der Abwägung wie Silvius Magnago später, der zum Paket sagte: Es war nicht so gut, dass man begeistert Ja sagen konnte, es war aber auch nicht so schlecht, dass man leichtfertig Nein sagen konnte.
Die Obmänner der ersten Zeit waren alle kurz im Amt, die Spitzenvertreter der ersten Zeit wechselten sich an der Spitze ab, Erich Amonn war von 1945 – 1948 der erste Obmann, der die Basis für alles Kommende schuf, v.a. für die Stärke in der Vertretung der Volksgruppen. Dass auch er 1957 als vorgeschlagener Vize-Obmann abgewählt wurde, gehört zu den menschlichen und politischen Ungerechtigkeiten, ist aber auch, wie vieles, die Folge des Nicht-Einhaltens von Versprechungen seitens der italienischen Nachkriegspolitik, die jetzt eine härtere Gangart verlangte.
Dass auch er 1957 als vorgeschlagener Vize-Obmann abgewählt wurde, gehört zu den menschlichen und politischen Ungerechtigkeiten.
Wenn man Erich Amonn dann in Filmen auf der Landesversammlung 1969 sieht, seiner letzten, dann kann man erkennen, dass da einer sitzt, der um die Last der Verantwortung weiß.
Dieser Beitrag beschränkt sich auf einiges im politischen Leben Erich Amonns. Er war aber viel mehr. Umfassend dargestellt ist das in: Hans Heiss, Stefan Lechner: Bürger, Unternehmer, Politiker, Edition Raetia, Bozen.
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Diese Darlegungen beschreiben
Diese Darlegungen beschreiben in klarer Weise die Geschichte der ersten SVP-Jahre, und würdigen zurecht ihren Gründer und ersten Obmann Erich Amonn. Erich Amonn hat den Grundstein für unsere Autonomie und für eine Aussöhnung zwischen Dableibern und Optanten gelegt. Dem Magnago ist es dann gelungen diese schmerzhafte Kluft, die quer durch Südtirols Familien lief, durch Aufhebung der Feindbilder und gegenseitigen Respekt zu überwinden und unser Autonomiestatut zukunftsfähig zu machen. Beiden gebührt großer Dank !