Culture | Salto Weekend

Nagl & Nagel

Max Silber- und Stefanie Sarg- gestalteten gestern gemeinsam einen Leseabend in der Dekadenz, mit Talent für Textvortrag und Überleitung, Humor und Antikapitalismus.
Stefanie Sargnagel
Foto: Privat
Dekadenzleiterin Anna Heiss kam gleich zu Beginn mit Max Silbernagl auf die Bühne, um zu erklären, dass man beim ersten „Vorspiel“ in der Dekadenz nicht nur wegen der Namensähnlichkeit auf den Literaten mit Kurzprosa und Lyrik gesetzt hatte, sondern auch wegen Überschneidungen in Textformen, im Witz und bei „Punk“-Elementen. Das „Vorspiel“-Format der Dekadenz will auch in Zukunft lokale, junge und nicht zu vergessen passende Künstler:innen vor den geladenen Gästen auf die Bühne schicken.
Max Silbernagl eröffnete also den Abend im vollbesetzten Keller, hatte einige Texte, großteils aus seinem zweiten Buch mit dem klingenden Titel „Prinz Harrys Hochzeit und die Cocacolisierung des Spumaimperiums“ dabei. Es ging unter anderem um Neue Post Lektüren (also um das was wirklich wichtig ist), eine imaginierte Corona-Quarantäne Erfahrung allein zuhause (mit dem schönen Satz „Die Welt dreht sich langsamer, aber sie dreht sich doch.“), Psychische Gesundheit („Die Psyche isch a Hurnfiech“), ein Liebesgedicht und Selbstportrait und abschließend eine Ode an die Spuma (mit Anleihen aus der Werbung „Trinke Spuma - lebe prima“). Silbernagl überzeugte nicht nur mit den kurzweiligen Texten, sondern auch durch seine gewinnend menschliche Art, auch wenn ihm auf etwa halber Strecke aus Zeitgründen die Über- und Einleitungen gekürzt wurden. Er ließ es sich dennoch nicht nehmen vor verlassen der Bühne noch einmal mit Nachruck gesteigerten Spumakonsum einzufordern.
 
 
Nach einem kurzen Bühnenumbau zur klassischen Wasserglas-Lesung betrat Stefanie Sargnagel die Bühne, mit ihrem Roman „Dicht“ im Gepäck, der zwei Jahre nach seinem Erscheinen sichtliche Kampfspuren von Lesereisen trägt. Nach einem kurzen Anriss ihres persönlichen Werdegangs, für die wenigen noch uninitiierten Menschen im Raum und einem Hadern mit der von Sargnagel wenig ernst genommenen Einstufung ihres Buchs als Roman, nahm sie das Publikum in medias Währing. Genauer gesagt in eine autofiktionale Version ihrer Jugendzeit, als sie in etwa 16 war. Marihuana und Dosenbier, eine ganze Reihe von Wiener Originalen treffen sich beim Systemverweigern und Schulschwänzen in Räumen aufeinander, in welchem unklar bleibt, was an- oder umgedichtet ist, aber trotz aller humoristischer Zuspitzungen das Ganze glaubhaft bleibt. Besonders spannend auch das immer wiederkehrenden Elemente von Zigaretten- und Bierkommunismus, sowie Züge von Tauschwirtschaft. Das anekdotische Format des Buchs erlaubte bei der Lesung nicht nur eine autoironische Karikatur der Autorin selbst zu zeigen - das arme Arbeiterkind, welches 30 Stunden am Tag fernsehen durfte - sondern auch Figuren einzuführen, ohne diese am Abend zu verbrauchen.
Die Schlange vor dem Büchertisch war dem entsprechend lang, da viele mehr wissen wollten, etwa die Antwort auf die Frage „Was ist Zukunft“, welche Rausch-Aphorismen die Autorin dem wortgewandten „AIDS-Michl“ noch zuschreibt. Den Abend schloss die Wiener Autorin mit den vielleicht wienerischsten aller Motiven ab, mit Dosenbier-Verkauf vor dem Flex und einer Kreisler-Lesung. Auch das gelang zwischen der gern gehörten Überdosis an schwarzem Humor, Situationskomik und Wortwitz gut, Kontraste auszuarbeiten in den vielseitigen Menschenbildern ihrer Stadt. Das Ergebnis: eine Milieu-Studie mit Augenzwinkern.