Cinema | Dokufiktion

Spektakel zwischen Delirium und Drama

Der Film „Le favolose“ hat am Mittwochabend den Kinosaal des Bozner Filmclubs bis auf den letzten Platz gefüllt. Warum nicht „nur“ die Protagonistinnen fabelhaft sind.
Le favolose, Roberta Torre
Foto: Le Favolose di Roberta Torre
  • Die fabelhaften Damen um die es im Titel geht sind Porpora Marcasciano, Nicole De Leo, Sofia Mehiel, Sandeh Veet, Mizia Ciulini, Antonia Iaia und Massimina Lizzeri. Sie sind Transfrauen und, was man selten auf Film sieht, nicht mehr die jüngsten. Darin ist ein Gewinn für die Repräsentanz zu sehen und einigen Frauen, die sich sonst nicht auf der großen Leinwand wiederfinden bietet das eine Möglichkeit zur Identifikation. Darüber hinaus spielen und sind die Frauen sie selbst, auf Italienisch und in Originalsprache, manchmal auch im neapolitanischen Dialekt. Sie haben einiges zu erzählen. Regisseurin Roberta Torre, die das von unseren Protagonistinnen gewählte Geschlecht von Geburt aus hatte, versteht dabei, dass sie hier nicht für andere sprechen sollte. Inspiriert wurde die Regisseurin vom Einsatz Marcascianos, die sich bereits seit den späten 70ern für die Rechte von Transpersonen einsetzt und eine Galionsfigur des Kampfes um Gleichberechtigung ist.

    In straffen 74 Minuten Laufzeit sind es dabei zwei Filme, die parallel zueinander ablaufen und die durch die Kameraarbeit klar markiert werden. Zum einen sind da Interviewsituationen in welchen die Frauen aus ihrem Gedächtnisschatz schöpfen und direkt in die Kamera blicken. Auch sensible Themen werden hier ganz direkt, offen und nachvollziehbar ausgehandelt. Parallel dazu und zeitlich raumgreifender ist eine Spielfilmhandlung, die bis ins Fantastische übergeht. Roberta Torre und Cristian Ceresoli, die gemeinsam das Grundgerüst dieser Handlung geschrieben haben, lassen darin den Darstellerinnen großzügige Freiheiten. Diese nutzen die Damen für unwiderstehliche Chemie und zum Teil spontan am Set improvisierte Dialoge, welche dem Film immer wieder viel Herz und Leichtigkeit schenken, die es dringend braucht, wenn der Körper aller Frauen, die im Film zu sehen sind zurecht als ein „politischer Akt“ bezeichnet werden kann. Auch die Rolle der Prostitution, die damals eine andere wie heute war, wird ausgehandelt und zeigt, dass nicht alle Transfrauen gleich mit diesem Thema umgehen.

    Die Grundzüge der Handlung des als Kammerspiel angelegten Films, der mit einer verlassenen Villa und einem Kinderplanschbecken auskommt, sind schnell skizziert: Nicole De Leo findet nach Jahrzehnten den Brief und letzten Willen der verstorbenen Freundin Antonia Iaia, die auf Grund ihrer Identität Opfer eines Mordes wird und kontaktiert in Folge Porpora Marcasciano. Diese zeigt sich überrascht, da ihr in der letzten Nacht Iaia im Traum erschienen ist um eben diesen Willen noch einmal zum Ausdruck zu bringen: Sie wollte in ihrem grünen Kleid beerdigt werden. Die konservativ-religiöse Familie Iaias hat diese jedoch vor Jahrzehnten als Mann gekleidet begraben und ihren Geburtsnamen auf den Grabstein gesetzt.

    Ironischerweise wird unter Trans-Personen und deren Verbündeten die Verwendung des alten, nicht mehr mit der eigenen Geschlechtsidentität kompatiblen Namen als „deadnaming“ bezeichnet. Marcasciano und De Leo beschließen, dieses Unrecht nicht länger ungesühnt zu lassen und ihre einstige Truppe zusammenzutrommeln, um gemeinsam bei einer Séance Kontakt zu Antonia aufzunehmen. Vor diesem Hintergrund kommt es nach langer Zeit zu einem Wiedersehen mit viel Trara, das im Saal durch die Reihen für Lacher sorgt.

    Dass sich Humor und ernste Themen dabei nicht schlagen, sondern voneinander profitieren und zu einem positiven, hoffnungsvollen Gefühl vermischen, ist viel Feingefühl in der Montage zu verdanken. Der Film zeichnet ein Bild des Fortschritts, oder zumindest der Besserung, ohne jedoch aus den Augen zu verlieren, dass Transpersonen nach wie vor mit Vorurteilen und Diskriminierung zu kämpfen haben. Ein bisschen Eskapismus ist da nur legitim, war der große, nach wie vor mit Kostümen befüllte Kleiderschrank in der Villa doch auch „unser Raumschiff und hat uns in ferne Welten gebracht“. Am Ende des Films also ein fabulös schöner, zu handverlesener Musik („Oiseau Sauvage“ von Dom La Nena) gesetzter Griff nach den Sternen. 

    Vom rauen Weg zu diesen können die fabelhaften Frauen selbst ein Lied singen - auf der Leinwand und davor. Porpora Marcasciano, Antonia Iaia, Massimina Lizzeri und Sandeh Veet waren dort auch bei der von Centaurus organisierten Vorstellung anzutreffen und haben die Themen des Films und ihrer persönlichen Lebensgeschichte mit dem Publikum in einer Fragerunde noch vertieft. Der Weg ins Jahr 2023 war nicht immer ein leichter, sicher aber nie ein langweiliger: “Noi, tra il delirio e il dramma, abbiamo sempre scelto lo spettacolo.”

  • Le favolose: Die vier Frauen nahmen sich im Anschluss an den Film eine gute halbe Stunde für ihr Publikum Zeit. Foto: SALTO
  • Am morgigen 20. November, dem Transgender Day of Remembrance, zu deutsch Tag der Erinnerung an die Opfer von Trans*feindlichkeit wird der Opfer transphober Gewalt gedacht und auf die Problematik aufmerksam gemacht. Auf SALTO werden wir aus gegebenem Anlass eine Transkription der Unterhaltung zwischen Publikum und den Protagonistinnen des Films veröffentlichen. Allein in diesem Jahr wird mindestens 320 Personen gedacht werden.