Die SS im Gemeinderat
Kleiderordnung gibt es im Bozner Gemeinderat keine. So viel Freiheit darf sein. Denn schließlich soll es bei den Sitzungen der gewählten Volksvertreter um das gehen, was sie sagen und nicht darum, was sie tragen. Doch manchmal lohnt es sich, genauer hinzuschauen. Es sind – wieder einmal – die Mitglieder der Antifaschistischen Aktion Meran, kurz Antifa, die ebendas getan haben. Deshalb ist ihnen auch aufgefallen, dass an dem Bild, das sich vor kurzem im Gemeinderat der Landeshauptstadt bot, nicht stimmte. Nicht nur, dass auf den Oppositionsbänken gleich drei Vertreter der rechtsextremen, neofaschistischen Bewegung CasaPound sitzen – für die Antifa “erschreckend”, sie fordert seit langem “CasaPound raus aus den Institutionen!” –, nein, einer von ihnen trägt seine Gesinnung auch offen zur Schau. Dass die anderen Anwesenden im Ratssaal das nicht zu bemerken scheinen, ist beunruhigend. So wirft die Antifa den übrigen Gemeinderäten “mangelnde politische und kulturelle Vorbereitung” vor.
Bonazzas Brust
Am 13. Dezember treten die Mitglieder des Bozner Gemeinderates zusammen. Thema Nummer Eins ist der jüngst bekannt gewordene Vorfall, bei dem ein Taxifahrer einen Fahrgast – es handelt sich dabei um eine Biologin aus Kenia – aufs Übelste beschimpft und tätlich angegriffen haben soll. Nicht alle sind überzeugt, dass sich die Dinge so zugetragen haben, wie sie von den Medien berichtet werden. Daher wird die Geschichte im Laufe des Abends des 13. Dezember heftig diskutiert. Auch Andrea Bonazza meldet sich zu Wort. Der CasaPound-Exponent zeigt sich solidarisch mit dem Taxifahrer – er sieht ihn als eigentliches Opfer.
Während Bonazza spricht, ist die Videokamera, die die Sitzung live auf der Webseite der Gemeinde überträgt, auf ihn gerichtet. Daher ist auch gut zu erkennen, für welches Kleidungsstück sich Bonazza an jenem Abend entschieden hat. Es ist ein Sweatshirt in dunkler Farbe, mit weißer Aufschrift, geschmückt mit einem roten Wappen. “Charlemagne” steht auf Bonazzas Brust geschrieben. Eine kurze Internetrecherche genügt, um die Bedeutung von Schrift und Symbol herauszufinden.
Hinter dem Sweatshirt
“Charlemagne” war der Name der 33. Waffen-Division der SS im Zweiten Weltkrieg. Benannt nach dem fränkischen König und Kaiser Karl dem Großen, wurde die überwiegend aus Freiwilligen bestehende Divsion gegründet, um an der Seite Hitler-Deutschlands zu kämpfen. Sie war eine der letzten Divisonen, die 1945 die Innenstadt von Berlin, den Führerbunker und den Hauptsitz der SS vor der Roten Armee der Russen verteidigte. “Gerade deswegen scheint Charlemagne in der rechtsextremen Szene Kultstatus zu haben”, schreibt die Antifa Meran am vergangenen Samstag (17. Dezember) auf ihrem Blog. Und weiter: “An revisionistischen Veranstaltungen zur Glorifizierung der Charlemagne SS-Division in Deutschland nehmen vor allem Neonazis teil.”
Für die Aktivisten der Antifa ist die Tatsache, dass Andrea Bonazza mit einem derartigen Sweatshirt im Gemeinderat auftaucht, “ein weiteres Beispiel dafür, dass ein vorbestrafter Gemeindevertreter keinen Hehl aus seiner neofaschistischen Ideologie macht”. Nicht weniger gravierend, findet man bei der Antifa, dass die übrigen Anwesenden am 13. Dezember sich nicht daran zu stören scheinen: “Wahrscheinlich aufgrund einer leider verbreiteten historischen Ignoranz wusste niemand im Saal, was diese Schrift bedeutet. Und falls es jemand wusste, hat es ihn offensichtlich nicht weiter gestört, dass ein Gemeinderat ‘in das Herz der demokratischen Institutionen Bozens’ eintritt, der mit Stolz das Symbol einer Division der französischen Nazis trägt.”
Die Fotos kursieren im Internet, schließlich reagiert auch der Bozner Ableger des Nationalen Partisanenverbandes A.N.P.I. auf die fragliche Kleiderwahl Bonazzas: “Niemand hat etwas zu dieser (x-ten) Rechtfertigungsaktion eines der schlimmsten Nazismen zu sagen gehabt. (…).” An den Gemeinderatspräsidenten, den Bürgermeister, Stadtrat, Gemeinderäte und -funktionäre gewandt, fordert der A.N.P.I.: “Abbiate il coraggio di non essere indifferenti e di chiedere scusa!”
Äußerlichkeiten zählen nicht, heißt es oft. Aber es gibt dann doch Momente, wo sich ein zweiter Blick lohnt. Weil das Äußere eben auch etwas darüber verraten kann, wie es in einem aussieht.