Arts | Bildende Kunst

Vorwärtsbewegung und Rückblick

„Write My Poem Across The Sky“, so der Name der dichten Auswahl an Ölmalereien der ersten GDG Preisträgerin Shivangi Kalra in der Doris Ghetta Galerie. Leise-laute Bilder neben der obligatorischen Jahresrückscchau mit Stammkünstlern der lokalen Szene.
Installation View Doris Ghetta gdg prize - Shivangi Kalra
Foto: Tiberio Sorvillo
  • Die junge Künstlerin Shivangi Kalra aus Neu-Delhi, die in Amsterdam lebt und ihrem Fach nachgeht,konnte sich bei der Jury der ersten Ausgabe des GDG Preises für Nachwuchstalente U30 unter mehr als 60 Kandidaturen durchsetzen. Die Jury bildeten heuer der Künstler Robert Bosisio, die Haus-Galeristin Doris Ghetta, der Sammler Lorenzo Rossi und die Kuratorin Alessandra Troncone. Kalra konnte mit Öl auf Leinwand-Werken überzeugen. Der Preis wird zum 10-jährigen Bestehen des entlang der Straße ins Gadertal gelegenen Kunstraums (an der Adresse Pontives 8), ins Leben gerufen und geht kurz nach dem renommierten Dutch Royal Award for Modern Painting an Kalra.
    Ihre Werke in der Galerie führen mit scheinbarer Leichtigkeit Widersprüche zusammen und lassen diese zu einem komplementären Ganzen mit zwei Hälften erarbeiten. Die Einrichtung im kleinen Raum im unteren Stock erfolgt sorgsam und intuitiv: Ein Hundemensch, der in eine Gasse pinkelt, hängt tief, eine Art Diptychon, für das zwei Bilder Leinwandrücken an Leinwandrücken präsentiert werden und das eine Party auf einer Dachterrasse zeigt, hängt dagegen hoch. Dazwischen, auf einer Höhe, die dafür natürlich erscheint, tun sich Umarmungen auf, als könnte man sich in die Bilder hineinbegeben.

  • Shivangi Kalra: Die Künstlerin vor einem der ausgestellten Großformate. Am rechten Bildrand lässt sich ein wildpinkelnder Menschenhund erahnen, der zu den vielen Annäherungen der Künstlerin zählt. Foto: Tiberio Sorvillo

    Bei der ersten Begegnung mit Kalras Kunst überwiegt im Anfangsmoment die kühle Wirkung der Farben, die Ruhe in den Blautönen, die allerdings wie impressionistisch verwirbelt sind, da schnell und effizient, da und dort für feine Details wiedergekehrt, wo ein selektiver Fokus gesetzt wird.
    Die Gruppenszenen der Künstlerin wirken in diesem ersten Moment chaotisch, tatsächlich lassen sie sich aber auch ganz systematisch „lesen“: Dabei sind die einzigen den Bildern eingeschriebenen Worte ein harsches „shut up“ (in etwa „halt die Klappe“), das vielleicht an einen Hund gerichtet ist. Der Hund wuselt durchs Bild, an einer Stelle scheint er zwei Köpfe zu haben, an anderer käme dieser unterhalb des Bildrandes zum Stehen. In der Bewegung werden menschliche wie tierische Akteure in der Ausstellung als Schlieren dargestellt, die eine Richtung erahnen und sich kinetisch durch die Bildebene bewegen wie Superhelden auf Comic-Seiten. Andere Personen verharren dagegen im Stillstand. Man hat das Gefühl eine Perspektive fast von außen, vom Rande der Feier eingenommen zu haben, für deren Beobachtung es Zeit und einen wachen Blick braucht. Dennoch handelt es sich sicherlich um keine materiell existierten Zusammenkünfte, was in einem Fall zumindest der angedeutete große Hai im Nachthimmel nahelegt.
    Shivangi Kalra malt Übergänge von einem Ort zum anderen, von einem Wach- in einen Traumzustand, vom Menschen zum Tier, vom Moment in die Erinnerung. Dabei wird ihre Realität elastisch, erzählt aus ihrem Leben. Darin liegt das eigentlich Gedichthafte an den Bildern der 1998 geborenen Künstlerin, am persönlich-intimen Charakter der teils auch nur angedeuteten Figuren, die auch noch im kleinsten Detail zu uns sprechen können, etwa wenn da in der Erinnerung ein Loch ist und von einer Frau nur ein Arm mit einer Zigarette bleibt oder eine Person in der Bildtiefe kleiner als auch nur ein Auge derer im Vordergrund wird. Die beredeten Figuren, die konsequente Bewegung und die strahlenden Ölfarben halten die interne Spannung zwischen Ruhe und Unruhe nicht nur aus, sie zehren von ihr. Im Persönlichen finden sich eben oft auch verbindende, tiefst menschliche Momente.

  • Übersicht: In drei Räumen kann man sich im oberen Stock der Galerie Doris Ghetta eine Übersicht an Beispielen zur diesjährigen künstlerischen Produktion der Stammkünstler:innen verschaffen. Foto: Tiberio Sorvillo
  • Jahresrückblick

    Neben der kleinen Ausstellung nimmt man sich im oberen Stock mehr Raum für eine Auswahl neuer Werke von neuen und alten Künstlern, die der Galerie treu sind. Da sind etwa die Lichtstudien eines Robert Bosisio zu leeren, sich in flimmernde Flächen auflösenden Innenräumen, ein männlicher Akt und eine Dame im Nagelkleid von Holzbildhauer Walter Moroder, da Zirbe, dort ein Objekt aus „hiesigem“ vor der Kompostanlage gerettetem Sequoia-Holz von mittlerweile entfernten, um 1800 gepflanzten Bäumen, das Jahresringe in neues Licht rückt. Das „impero delle malattie“ Pietro Morettis, das heuer beim italienischen Premio Cairo mit im Rennen war, bietet auch einen stillen, ins magisch-märchenhafte übersetzenden Blick in ein Krankenhauszimmer, ohne dass die gewählte Sprache viel Trost spenden würde. Im kalten, künstlichen Licht welken die Blumen, erinnern mehr an die Vergänglichkeit denn an die Besucher am Krankenbett, die sie mitgebracht haben. Der unserer Erlebnisrealität auf den ersten Blick am weitesten entfernten Arbeit haben wir uns damit noch nicht genähert. Judith Neunhäuser, deren Videokunst sie schon in die Neumayer-Station III in der Antarktis geführt hat, bringt von dort – im übertragenen Sinn – ein Objekt mit: Einen aus Kunstharz nachgegossenen Querschnitt eines Bohrkerns; im Gegensatz zum harten Restschnee vor der Tür kann diesem der warme Winter jedoch nichts anhaben.

  • Galerie Doris Ghetta

    Von Dienstag bis Samstag, jeweils von 11 bis 18 Uhr – Feiertage ausgenommen – ist „Write My Poem Across The Sky“ noch bis 15. Februar 2025 zu sehen. In der Galerie ist auch die zweite Ausgabe der Jahresanthologie aufliegend, die auf rund 320 Seiten in Bild und Text noch einmal ein künstlerisches Resümee zu 2024 zieht.