Politics | Wahlgesetz

Pöders Tag

Gelingt es Sepp Noggler heute im Regionalrat sein Wahlgesetz durchzubringen? Das hängt weniger von einem wahlwerbenden Parteikollegen als von einer Ein-Mann-Fraktion ab.

Stolz präsentierte er sich am Tag vor seinem großen Auftritt mit einem Packen Papier: Andreas Pöder ist am heutigen Mittwoch einer der Protagonisten im Ringen um eine neue Wahlordnung im Regionalrat. 1000 Änderungsanträge hat der nimmermüde Polit-Showman für die heutige Sitzung vorbereitet. „Insgesamt werden aber sicher mehr als 4000 zusammen kommen“, sagt Pöder. Besonders eifrig sind neben Alessandro Urzì von L’Alto Adige nel Cuore auch die Trentiner - ob M5S-Vetreter Filippo Degasperi oder die Trentiner Bürgerliste Amministrare e Civica Trentina. Was ursprünglich als Minimal-Konsens der Südtiroler Landtags-Fraktionen durchgewinkt hätte werden sollen, lässt sich heute Morgen im Regionalrat als wahres Obstruktions-Spektakel an.

Die Verantwortung dafür sieht so mancher - oder manche - beim Bozner SVP-Stadtobmann und SVP-Fraktionssprecher Dieter Steger. „Den schlafenden Hund geweckt“ hätte der mit seiner „Querschlägertaktik“ in Sachen Verkleinerung des Bozner Gemeinderates, wirft beispielsweise die Grüne Brigitte Foppa dem SVP-Mann vor. Zuerst ein monatelanges Spiel über die Medien, das der Opposition mangels konkreter Entwürfe keinen Raum zu agieren gelassen habe. Und nun in letzter Sekunde ein Änderungsantrag, in dem Steger die vieldiskutierte Reduzierung von 45 auf 35 Gemeinderäte fordert: Für Foppa eine „reine Marketing-Aktion, die unseres Wissens nicht einmal in der SVP-Fraktion mit allen abgesprochen war“.

Statt vorab in der Kommission oder der Fraktionssprecher-Sitzung einen politischen Konsens zu suchen, habe Steger mit seinem Verkleinerungs-Vorstoß im Vorfeld der schwierigen Regionalrats-Sitzung jede Menge Reaktionen und Gegenreaktionen verursacht, kritisiert Brigitte Foppa. Doch auch wenn ein Alessandro Urzì bei dem Thema so richtig in Fahrt kommt oder sich BürgerUnion, Südtiroler Freiheit und Freiheitliche als kompakte Unterstützungs-Truppe in der Sache präsentieren: Beim Disput um das Wahlgesetz geht es nicht ausschließlich um die Verkleinerung des Bozner Gemeinderates.

Ein wahrlich ausladendes Zeugnis davon gibt ein 39-seitiger Minderheitenbericht von Walter Blaas. Die Empfehlung, Sepp Nogglers Gesetzesentwurf abzulehnen, geht darin mit eingehenden Betrachtungen zu Themen wie Migration oder Abfallwirtschaft einher; mitgeliefert werden nicht nur theoretische Abhandlungen zu Wahlsystemen, sondern auch ein ganzes Kompendium gesetzlicher Bestimmungen, die in irgendeinem Zusammenhang mit dem zu behandelnden Gesetzesentwurf stehen. Zwischen den vielen Zeilen findet sich aber auch eine weitere Schnittmenge der Blauen mit Andreas Pöder: die Befürchtung, dass mit dem Gesetzesentwurf die Rechte der deutschen und ladinischen Minderheit in Frage gestellt werden. Der BürgerUnions-Abgeordnrdete verdeutlicht dies anhand von Rechenspielen für deutsche Kandidaten mit den von Noggler vorgeschlagenen  Wahlhürden. Nachdem in Bozen rund 20.000 der 78.000 WählerInnen deutschsprachig seien – und wohl auf Basis der  Annahme, dass deutschprachige Wähler nur deutschsprachige Listen wählen – kommt Pöder damit zu „exorbitant hohen“ Hürden.

 

· Von SVP geplante 7%-Hürde für Koalitionen = 5.483 Wähler  = 27 %  Hürde für eine Koalition deutscher Parteien        

·  von SVP geplante 2,2 %-Hürde für Parteien in Koalition  =  1.723 Wähler =   8,6 % für eine deutsche Liste·  

- von SVP geplante 3%-Hürde für Parteien ohne Koalition = 2.349 Wähler =  11,7 %- Hürde für eine deutsche Liste

 

Spielräume für Bozner Regierungsverhandlungen

Aufgrund solcher Zahlen sowie ihrer zeitlichen Nähe zu den Bozner Gemeinderatswahlen könnte die Reform laut Pöder sogar verfassungsrechtlich angreifbar sein, da sie damit gegen eine Konvention des Europarates zu Wahlrechtsregelungen verstoße. Als seine wichtigsten Anliegen neben der Verkleinerung des Bozner Gemeinderats bezeichnet der Vertreter der Ein-Mann-Fraktion aber die Abschaffung des zweiten Wahlganges in Bozen sowie die Verhinderung der Bezahlung zusätzlicher Gemeindereferenten im ganzen Land. Dabei trifft er sich wiederum mit den Grünen, die einen ihrer zwei Änderungsanträge zum Rückzieher der SVP in Sachen Senkung der Politikkosten einbringen.

Nachdem die 2013 beschlossene Verkleinerung der Gemeindeausschüsse vor einem Jahr mit der Option aufgeweicht wurde, bei gleichbleibenden Kosten wieder um einen Referenten aufzustocken, soll nun auch die Ausgabenbeschränkung für die Gemeinden aufgehoben werden. In anderen Worten: Statt sich wie bisher das Gehalt teilen zu müssen, sollen die Referenten in aufgestockten Gemeindeausschüssen wieder Anrecht auf ein volles Gehalt erhalten. „Nicht mit uns“, unterstreichen die Grünen mit ihrem Änderungsantrag.  Dasselbe gilt für die im Entwurf vorgesehene Aufstockung der Bozner Gemeinderegierung von bisher sieben auf acht– oder mit der landesweit eingeräumten Option auch neun – Mitglieder. „Es ist offensichtlich, dass hier Verhandlungsspielräume für die Zusammenstellung einer künftigen Bozner Regierung geschaffen werden“, kritisiert Brigitte Foppa im Begleitbericht zu den beiden Abänderungsanträgen. Weniger Probleme haben die Grünen dagegen mit den Wahlhürden, die im deutschsprachigen rechten Lager für solche Bauchschmerzen sorgen: In dem Punkt garantieren sie der Mehrheit ihre Unterstützung – auch wenn sie nicht daran glauben, dass damit die Bozner Probleme gelöst werden können.

Sepp Noggler: "Ich gehe davon aus, dass die Vernunft siegt" 

Was also erwartet uns heute im Regionalrat? Scheitert der mühsam ausgehandelte Kompromiss nun an einem Änderungsantrag aus der SVP-Fraktion? Oder an tausenden aus anderen Fraktionen? Wird keine Sondersitzung eingeräumt, haben die Abgeordneten schließlich nur diesen einen Tag inklusive Nacht, um die Reform noch mit Wirksamkeit für die Bozner Wahlen zu verabschieden. „Ich gehe weiterhin davon aus, dass die Vernunft siegt – und wir das Gesetz durchbringen“, gab sich Sepp Noggler am Vorabend optimistisch. Dies kann laut Einschätzung des Regionalassessors allerdings nur gelingen, wenn der Entwurf in seiner aktuellen Form verabschiedet wird. In anderen Worten: Mehr als drei Hürden und die Erweiterung des Ausschusses ist derzeit für die Landeshauptstadt nicht drinnen, schätzt Noggler die Lage ein. Sobald dagegen Abänderungen angenommen würden, würde eine politische Kettenreaktion  losgehen, die in der kurzen Zeit nicht zu bewältigen sei. Weiß das auch sein Parteikollege Dieter Steger? Ohne Zweifel, meint Noggler. „Es ist ganz klar, dass die SVP nicht auf einer Reduzierung des Gemeinderates bestehen wird.“ Oder, wie auch der SVP-Regionalassessor einräumt: „Dieter Steger ist eben schon im Wahlkampf.“

Doch nicht nur der SVP-Fraktionsvorsitzende wird seinen Änderungsantrag zurückziehen, gibt sich Sepp Noggler zuversichtlich. Auch der Großteil der Trentiner Anträge werde sich im Zuge der Diskussion erledigen, glaubt er. Immerhin habe man bereits im Vorfeld einen der wichtigsten Auslöser dafür klären können – die Befürchtung, dass die finanzielle Aufstockung für die Gemeindeausschüsse auch für das Trentino gelten müsse. Nachdem Noggler laut eigenen Aussagen selbst von den Freiheitlichen die Zusage erhalten habe, dass sie keine Obstruktion betreiben wollen, heißt sein Hauptproblem am heutigen Mittwoch Andreas Pöder. Beharrt dieser auf seinen 1000 Änderungsanträgen und vor allem auf der Forderung, den Bozner Gemeinderat zu verkleinern, ist der Ausgang der Regionalratssitzung äußerst ungewiss. „Wenn Pöder glaubt, das Gesetz mit seiner Ein-Mann-Fraktion zu Fall bringen zu müssen, trägt er natürlich auch die Verantwortung für alles, was im Mai in Bozen passiert“, stellt Sepp Noggler die Rute ins Fenster. Er selbst gehe nicht davon aus, dass „Pöder den Mut hat, das zu übernehmen". 

Ein wenig Last von den Schultern mag dem Unions-Abgeordneten die Einschätzung seiner Grünen Kollegin nehmen.  Ob das Wahlgesetz verabschiedet wird oder nicht, wird an der politischen Situation in der Landeshauptstadt wenig ändern, ist Brigitte Foppa überzeugt. Sie glaubt weder an die Effizienz der Wahlhürden noch daran, damit das tatsächliche Problem an der Wurzel zu packen.  "In Bozen wurde die Regierungsunfähigkeit zur Unregierbarkeit deklariert - und jetzt behandelt man die falsche Krankheit."