Die Reform kommt nicht vom Fleck
Auch zum heutigen 50. Jahrtag des Inkrafttretens des 2. Statuts wird wieder die Rede sein von der „dynamischen Weiterentwicklung“ unserer Autonomie. Die halbfertige Kompromisslösung des Pakets von 1969 mit dem Statut vom 1972 als Resultat ist in den 1990er Jahren tatsächlich ausgebaut worden, doch nach der Verfassungsreform 2001 stockte dieser Prozess, es gab sogar Rückschläge. Karl Zeller zeichnet diesen Weg im EJM 3-4/2021 genau nach. Als die SVP am 16.1.2016 den Autonomiekonvent mit dem Versprechen startete, mit viel Bürgerbeteiligung der Autonomiereform auf die Sprünge zu helfen, machten sich viele Südtiroler Hoffnungen. Das Ergebnis des Konvents scheint ad acta gelegt. Danach hat die SVP eine eigene Expertenkommission mit der Ausarbeitung von Reformvorschlägen betraut. Die Verfassungsjuristen haben zwar ihren Job erledigt, ihre Empfehlungen landeten dennoch in der Schublade. Wie eine solche Reform konkret aussehen könnte, habe ich in einer eigenen Publikation 2016 ausgeführt.
Schließlich haben die SVP-Mandatare im Parlament zu Beginn der laufenden Legislatur im März 2018 einen leicht modifizierten Verfassungsgesetzentwurf eingebracht, den 2013 schon Zeller, Berger und Brugger vorgelegt hatten. Er ändert das geltende Autonomiestatut in der Mehrheit der Artikel ab, entrümpelt das ganze Statut von überholtem Normenballast, erweitert die Kompetenzen und würde der Autonomie einen echten, wenn auch nicht hinreichenden Qualitätssprung verschaffen. Warum geht dennoch nichts weiter?
Zum ersten, weil die SVP selbst keine Dringlichkeit in dieser Reform sieht. Sie hat eine einträgliche staatstragende Rolle in Management des Grundkonflikts zwischen Staat und Südtirol. Die Verteidigung der Autonomie und die Absicherung der damit verbundenen finanziellen Interessen beanspruchen anscheinend ihre politische Agenda schon zur Genüge.
Zum zweiten, hat die Pandemie hat die Diskussion um mehr Regionalautonomie in ganz Italien zum Stillstand gebracht, zum Leidwesen der vier großen Regionen Norditaliens mit Normalstatut. Die Lega, treibende Kraft dieser Bestrebungen, ist diesbezüglich fast verstummt. Man wartet anscheinend auf das Ende des Notstands, um das Thema auf die Agenda zu setzen. Und dann wird der Erweiterung der Autonomie der Regionen mit Normalstatut die Vorzugsspur eingeräumt, denn im Parlament ist die Auffassung verbreitet, dass die Regionen mit Sonderstatut ohnehin schon bevorteilt sind.
Zum dritten, die Bürger Südtirols selbst. Es gab keinen Protest seitens der Bürgerschaft, dass bei der Autonomiereform nichts weiter geht. Kein Mitglied des Konvents der 33 hat sich beschwert, dass die in anderthalb Jahren schwer erarbeiteten Ergebnisse ad acta gelegt sind. Ein vierter Grund liegt darin, dass jeder Ausbau der Autonomie Südtirols zu Lasten der Region auf den geharnischten Widerstand des Trentino treffen würde. Ein Reformvorschlag, der die Region etwas entmachten oder gar abbauen würde, würde die Hürde des Trentiner Landtags gar nicht schaffen.
Ein partizipativ gestalteter Reformprozess, also von unten legitimierter Vorschlag scheint in der heutigen verfassungsrechtlichen Lage wenig erfolgversprechend. Weder ein Konvent noch ein Regionalrat können das Parlament zwingen, sich wirklich mit einem solchen Anliegen zu befassen. In Rom ist man immer frei, alles vom Tisch zu wischen. Ein vielsagendes Beispiel: Friauls partizipativer Ansatz zur Reform seines Autonomiestatuts von 2004-05 ist im Parlament nie diskutiert worden. Dennoch gehört das Thema auf den Verhandlungstisch, schließlich liegen die fertigen Gesetzentwürfe schon vor und könnten zur Bedingung bei Koalitionsabkommen werden. Von allein geht nichts weiter: wenn Südtirol nicht selbst Druck macht, warum sollte dann Rom einen Finger rühren? Nicht von ungefähr hat Luis Durnwalder, 2016/17 eines der aktivsten Konventsmitglieder, in einem Interview (100 Jahre moderne Territorialautonomie, LIT Berlin) angemerkt: „Wir müssen den Mut haben, das zu fordern, was wir wollen.“