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„Vereinsamung der Priester“

Es ist der erste unabhängige Bericht zu sexuellem Missbrauch in der katholischen Kirche Italiens: Die renommierte Anwaltskanzlei Westpfahl Spilker Wastl spricht von 59 Opfern in der Diözese Bozen-Brixen. Die Dunkelziffer sei weitaus höher.
Nata Gladstein, Ivo Muser
Foto: Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl
  • Heute (20. Jänner 2025) hat die Münchner Anwaltskanzlei Westpfahl Spilker Wastl in Bozen ihren lang erwarteten Bericht zu sexuellem Missbrauch in der Diözese Bozen-Brixen vorgestellt. Die italienweit erste Untersuchung im Auftrag einer Diözese hat im Zeitraum von 1964 bis 2023 67 Sachverhalte mit 59 Betroffenen und 41 beschuldigten Klerikern dokumentiert. 

    In dem über 600-seitigen Bericht kommt die Kanzlei zum Schluss, dass auch in Südtirol der Schutz der Täter und der katholischen Kirche lange wichtiger als die Wahrnehmung von Missbrauchsopfern war. „Untersuchungen bestätigen, dass systemische Defizite sexuellen Missbrauch begünstigen“, stellt Rechtsanwalt Ulrich Wastl bei der Pressekonferenz in der Bozner Handelskammer klar. 

  • Ulrich Wastl: „Untersuchungen bestätigen, dass systemische Defizite sexuellen Missbrauch begünstigen.“ Foto: Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl

    Seine Kanzlei hat im Jahr 2010 im Auftrag der Erzdiözese München und Freising ihren ersten Bericht zu sexuellen Missbrauch vorgelegt, der auch den Erzbischof und späteren Papst Benedikt, Josef Ratzinger, in die Verantwortung gezogen hat. „In Italien ist unserem Kenntnisstand zufolge die Diözese Bozen-Brixen die einzige der über 200 Diözesen, die sich um eine unabhängige Aufklärung bemüht“, sagt Wastl. 

    Bischof Ivo Muser und Generalvikar Eugen Runggaldier haben heute den Bericht in italienischer und deutscher Fassung von der Kanzlei entgegengenommen. „Ich stelle mich ganz bewusst auf die Seite der Betroffenen. Die Kirche muss ein sicherer Raum für Kinder sowie für junge und schutzbedürftige Menschen sein und immer mehr werden“, sagt Muser in seinen Grußworten. Die Diözese Bozen-Brixen wird am kommenden Freitag, den 24. Jänner, in einer eigenen Pressekonferenz zu den Ergebnissen des Berichts Stellung beziehen. 

  • Der Bericht

    Seit der Gründung der Diözese Bozen-Brixen im Jahr 1964 bis zum Jahr 2023 hat die deutsche Anwaltskanzlei 67 anonymisierte Sachverhalte zu sexuellem Missbrauch erfasst. In Zusammenarbeit mit der Südtiroler Antwaltskanzlei Kofler Baumgartner & Partner aus Bruneck hat sie unzählige Akten gesichtet. Dazu zählen sowohl Personalakten sowie Akten aus dem Johanneum in Dorf Tirol, dem Vinzentinum und dem Priesterseminar in Brixen als auch Protokolle und Gerichtsakten. Zudem wurden umfangreiche Gespräche mit Betroffenen, Zeitzeuginnen und Experten geführt. 

     

    „Das Dunkelfeld ist weitaus größer.“

     

    „Die Fälle nehmen seit dem Beginn der 1990er Jahre stark ab“, erklärt Rechtsanwältin Nata Gladstein vom der Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl. Dennoch sei davon auszugehen, dass ein Großteil der Missbrauchsfälle bereits vor dem Jahr 2010, in dem Jahr als die Ombudsstelle eingerichtet worden war, der Diözesanleitung bekannt war. „Das Dunkelfeld ist weitaus größer“, fügt Gladstein hinzu. 

    Es zeigt sich, dass im Gegensatz zu in Deutschland durchgeführten Untersuchungen mehr als 51 Prozent der Betroffenen weiblich waren. Die Mehrheit der Beschuldigten war zum Zeitpunkt der ersten Tat zwischen 28 und 35 Jahre alt, bei den Betroffenen handelt es sich mehrheitlich um Kinder und Jugendliche im Alter zwischen 8 und 14 Jahren. Bei 29 von 41 beschuldigten Klerikern seien die erhobenen Vorwürfe mit überwiegender Wahrscheinlichkeit oder sogar nachweisbar zutreffend. Im Bericht werden weder die Namen der Täter noch der Betroffenen genannt.

  • Nata Gladstein: „Das Dunkelfeld ist weitaus größer.“ Foto: Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl

    Bei der Vorstellung der Pressekonferenz geht Rechtsanwalt Wastl auf mehrere Fälle ein. Unter anderem habe ein Priester in Südtirol mehrfach junge Mädchen sexuell missbraucht und sei daraufhin von der Diözese wiederholt versetzt worden. Erst nach fast 50 Jahren hat die Diözese dem Täter sein Amt entzogen. In einem anderen dokumentierten Fall hat der mutmaßliche Täter das Begräbnis des Betroffenen abgehalten, der sich aufgrund seiner Missbrauchserfahrung das Leben genommen haben soll. 

    Wastl plädiert für eine Stärkung der Fehlerkultur in der Kirche, aber auch in den Südtiroler Gemeinden. Die Unschuldsvermutung dürfe nicht dafür herhalten, Nachforschungen und Präventionsmaßnahmen zu unterbinden. Unter anderem würden systemische Defizite weltweit in der katholischen Kirche wie die „Vereinsamung von Priestern und unreife Sexualität“ Missbrauchsfälle begünstigen.

    Zudem sei die Rolle der Frauen zu stärken, da sie das Phänomen des sexuellen Missbrauchs offenkundig besser verstehen würden als Männer: Nach dem Aufruf der Kanzlei im Februar 2024 haben sich überwiegend Frauen bei der eingerichteten Anlaufstelle für Zeitzeugen und Betroffene gemeldet, auch wenn sie selbst nicht betroffen waren. 

    Die Anwaltskanzlei empfiehlt der Diözese die Einrichtung einer unabhängigen Interventionsstelle, die bei Fällen von sexuellem Missbrauch in der Südtiroler Kirche einschreitet und Betroffenen damit einen umfassenderen Schutz garantiert. 

  • Kontakte

    Ombudsstelle der Diözese für Missbrauchsfälle innerhalb der Kirche

    Tel.: +39 348 376304 

    E-Mail: [email protected]

    Für Fragen zum Gutachten: [email protected]

    Telefonseelsorge

    Tel.: +39 0471 052052 (rund um die Uhr erreichbar)

    Online-Beratung: https://telefonseelsorge.bz.it/

    Chatberatung: Montag bis Donnerstag von 18 bis 21 Uhr

    Männerberatung

    Tel.: +39 0471 324649

    E-Mail: [email protected]

    young&direct

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    WhatsApp: +39 345 0817056 Mo. – Fr. 14:30 – 19:30 Uhr

    Jugendtelefon: +39 0471 1551551 Mo. – Fr. 14:30 – 19:30 Uhr

    Skype: young.direct Mo. – Fr. 14:30 – 19:30 Uhr

    Psychologisches Krisentelefon

    Tel.: 800 101 800 (rund um die Uhr erreichbar)

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Salto User
Günther Alois … Tue, 01/21/2025 - 07:15

Ich glaube denen kein Wort,die katholische Kirche hat die richtigen Anwälte ausgesucht,nur meine Meinung,vonwegen 67 Fälle von 1963 bis 2022 in Südtirol? Ich muss lachen,wenn es nicht zum Weinen wäre!

Tue, 01/21/2025 - 07:15 Permalink