Environment | Interview

„Nicht gegenseitig beschuldigen“

Die neue Geschäftsführerin des Ökoinstituts, Sonja Abrate, über die Dringlichkeit der Klimakrise und die Arbeit einer Nachhaltigkeitsberatung wie der ihren.
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Foto: Ökoinstitut
salto.bz: Frau Abrate, wie beurteilen Sie Ihren Schritt, jetzt Geschäftsführerin des Ökoinstituts Südtirol zu sein?
 
Sonja Abrate: Es ist eine Herausforderung, die ich mit Freude annehme.
 
Was macht eine Nachhaltigkeitsberatung im Unterschied zu einer klassischen Unternehmensberatung?
 
Wir beraten verschiedene Organisationen darin, wie sie nachhaltiger werden können. Unsere Kunden sind Schulen, Gemeinden und Unternehmen. Mit den Schulen arbeiten wir bereits sehr lange zusammen, da einer unserer großen Schwerpunkte von Anfang an die Umweltbildung war. Seit einigen Jahren beraten wir auch Unternehmen, da ist der Ansatz natürlich ein anderer. Aber im Grund genommen geht es immer darum, die neuesten Erkenntnisse der Nachhaltigkeit fundiert weiterzutragen und die Menschen zu sensibilisieren.
 
 
Wie unterscheiden sich die Ansätze je nach Zielgruppe?
 
Bei den Unternehmen führen wir häufig die Berechnung von CO2-Bilanzen durch. Denn damit stehen konkrete Daten zur Verfügung, um Verbesserungen zu erzielen. Bei den Gemeinden steht der Energieverbrauch der Gemeinde selbst im Mittelpunkt, aber es wird auch versucht, die Bevölkerung in den Prozess miteinzubinden. Bei den Schulen hingegen geht es darum, das Thema mit Spaß an der Sache in Workshops und interaktiven Aktionen zu vermitteln.
 
Sind die Unternehmen eine relativ neue Zielgruppe?
 
Ja, das Interesse für die Zusammenarbeit entstand auf beiden Seiten. Heute sind Unternehmen viel sensibler. Zudem gibt es rechtliche Vorgaben vom Staat und der EU, die jetzt immer strenger werden. Vor kurzem waren nur sehr große Unternehmen dazu verpflichtet, Nachhaltigkeitsberichte zu verfassen. Heute wird das Netz immer engmaschiger und auch kleine und mittelgroße Unternehmen werden in absehbarer Zeit dazu verpflichtet sein. Deshalb haben auch wir uns in diese Richtung weiterentwickelt.
 
Gab es dafür einen ausschlaggebenden Grund?
 
Das Ökoinstitut wurde bereits 1989 von Hans Glauber als Verein gegründet. 2018 entschieden wir uns, diesen in eine Genossenschaft umzuwandeln und zu einem Unternehmen zu werden. Ich denke, so fühlen wir uns vielleicht den Unternehmen näher als zuvor.
Ich glaube nicht, dass wir als Wirtschaftsregion total den Bach runtergehen, wenn wir ein bisschen weniger von allem machen würden.
Durch die neuen rechtlichen Vorgaben steigt vermutlich auch die Nachfrage vonseiten der Unternehmen.
 
Genau, denn das Thema kann bei den Unternehmen auch Überforderung auslösen. Teilweise läuft die Entwicklung für sie zu schnell, was aus Sicht des Klimaschutzes ja notwendig ist, oder die Anforderungen sind sehr bürokratisch, beispielsweise bei der Erstellung eines Nachhaltigkeitsberichtes. Da das Thema lange verschlafen wurde, hat es mitunter auch Aktionismus zur Folge. Deshalb braucht es einen guten Kompromiss zwischen Zwang und Freiwilligkeit, das macht Überzeugungsarbeit notwendig. Schließlich hat die Corona-Pandemie gezeigt, dass Zwang nicht immer gute Auswirkungen auf die Menschen hat und auch zu Widerständen führt.
 
Wie erleben Sie die Unternehmen in Ihrer Arbeit?
 
Nachhaltigkeit ist heute ein Trend. Viele Unternehmen sind motiviert und arbeiten freiwillig mit uns zusammen. Sie wollen sich als innovatives Unternehmen positionieren und merken häufig, dass die Mitarbeiter*innen Nachhaltigkeit einfordern. Gerade bei jungen Mitarbeiter*innen spielt dieses Thema eine wichtige Rolle, in Zeiten des Fachkräftemangels ist der Nachwuchs umso wichtiger. Das ist schön, denn wenn jede*r etwas beiträgt, funktioniert es auch. So werden diese Unternehmen zu Vorreitern, die andere mitreißen.
 
Sie beraten mit den Gemeinden auch die öffentliche Hand. Welche Herausforderungen gibt es dabei?
 
Gemeinden sind schwerfälliger als Unternehmen, weil dort die Entscheidungsprozesse langsamer sind. Trotzdem sind sie für diese Themen sehr wichtige Vorreiter, etwa bei dem Projekt KlimaGemeinde. Hier kommen Bürger*innen mit Vertreter*innen aus Politik und Wirtschaft zusammen und es macht Spaß, mit ihnen gemeinsam Maßnahmen in verschiedenen Bereichen wie Klima, Biodiversität, Energie, Mobilität und Kommunikation zu erarbeiten. Bei den genauen Maßnahmen hängt der Schwerpunkt dann von der einzelnen Gemeinde ab.
 
 
Welche Rolle spielt dabei das Gemeindeentwicklungsprogramm (GEP), das von den Gemeinden partizipativ erarbeitet werden soll?
 
Leider herrscht beim Erarbeiten des GEP noch große Unsicherheit, weil die gesetzlichen Leitlinien noch fehlen. Außerdem wird beim Gesetz für Raum und Landschaft, das die Ausarbeitung des GEP vorsieht, nicht auf den Klimaschutz eingegangen, was ich sehr schade finde. Gleichzeitig müssen die Gemeinden bis 2024 einen Klimaschutzplan erarbeiten. Es bräuchte deshalb ein Programm, das alle Bereiche umfasst. Es muss am Ende ja zusammenpassen. Wenn wir mit Gemeinden den Klimaschutzplan erarbeiten, versuchen wir deshalb unterschiedliche Bereiche zu integrieren – auch was die Partizipation betrifft.
 
Inwiefern?
 
Sowohl beim GEP als auch bei den Klimaschutzplänen ist Partizipation vorgesehen und eine Gemeinde kann nicht ständig Workshops organisieren. Auch die Teilnehmer*innen aus der Bevölkerung sind nicht gewillt, sich so häufig einzubringen. Sie erwarten sich, dass die Ergebnisse eines Workshops, an dem sie teilgenommen haben, dann auch von Politik und Verwaltung berücksichtigt werden.
Die Menschen werden auch nicht bereit sein, auf Dinge zu verzichten, wenn große Verbände immer gleich weitermachen.
Wie beurteilen Sie den Klimaplan des Landes, laut dem Südtirol bis 2040 klimaneutral werden soll?
 
Es ist wichtig, sich ein Ziel zu setzen und gemeinsam daran zu arbeiten, um es zu erreichen. Die Zahlen geben hierfür Leitplanken, aber man sollte sich nicht zu viel darauf fixieren. Was mir beim Klimaplan allerdings fehlt, sind die Schritte der Umsetzung. Es steht beispielsweise geschrieben, dass die Klimaziele trotz Partikular- und Lobbyinteressen durchgesetzt werden. Ich sehe nicht, dass das passiert. Der wirtschaftliche Sektor muss nicht komplett fallengelassen werden, aber die Gesetze müssen den Klimazielen gerecht werden. Das ist beispielsweise beim Bettenstopp nicht gelungen.
 
Also ist der Vorwurf der Scheinheiligkeit an die SVP gerechtfertigt?
 
Die SVP hat mehrere Flügel, die zum Teil weit auseinander liegende Interessen verfolgen. Sie zusammenzubringen, ist sicher nicht einfach. Tatsache ist, dass nicht nur ich mutige Entscheidungen vermisst habe. Ich glaube nicht, dass wir als Wirtschaftsregion total den Bach runtergehen, wenn wir ein bisschen weniger von allem machen würden. Diese Sorge ist groß. Dabei müssten wir im Gegenteil Sorge dafür tragen, spätere Konflikte zu vermeiden – beispielsweise beim Wasser. Die Stromproduktion, die Landwirtschaft und der Tourismus stehen beim Wasserbedarf bereits in Konflikt. Wenn wir jetzt unseren Wasserbedarf weiter ausbauen, haben wir in absehbarer Zeit bei einer Trockenperiode wirklich zu wenig Wasser. Wir können nicht gleich weitermachen und annehmen, dass sich die Probleme von alleine lösen, weil sie das nicht werden. Die Menschen werden auch nicht bereit sein, auf Dinge zu verzichten, wenn große Verbände immer gleich weitermachen. Auch sie müssen ein Zeichen setzen und sich verändern.
Wir können diese Herausforderung nur angehen, wenn alle Altersgruppen zusammenarbeiten und sich nicht nur gegenseitig beschuldigen.
Durch den Nachhaltigkeitstrend hat auch Greenwashing einen großen Aufschwung erfahren. Wie lautet Ihre Strategie dagegen?
 
Unsere Art der Berechnung von CO2-Bilanzen nehmen nur Unternehmen an, die es wirklich ernst meinen. Das ist zu unserem Nachteil, weil die Berechnung sehr arbeitsintensiv für uns ist und damit auch vergleichsweise teuer. Wir verkaufen kein Standardprodukt, das eine Menge Geld einbringen würde. Damit wählen wir nicht den leichteren Weg. Zudem bieten wir in unserem Paket auch keine Kompensationen an.
 
Wieso nicht?
 
Wir setzen auf die Vermeidung von CO2 und kompensieren nur, wenn das Unternehmen das unbedingt möchte. Als Erstes erstellen wir aber einen Absenkungspfad, um die erfassten Emissionen – wo möglich – mittel- und langfristig zu vermeiden. Was am Ende an Emissionen übrig bleibt, kann dann eventuell kompensiert werden.
 
Was sind jetzt die größten Herausforderungen in Südtirol, um die Klimaziele zu erreichen?
 
Es braucht Anreize, Normen und Bewusstseinsbildung. Dieser Ansatz steht auch im Klimaplan, was ich gut finde. Denn die Bewusstseinsbildung braucht viel zu lange, deshalb muss parallel mit Anreizen und Normen, wie Verboten und Förderungen, gearbeitet werden. Ich sehe bei unseren Workshops, dass gerade bei Mobilität die guten Vorsätze schnell in den Hintergrund geraten. Denn um auf das Auto zu verzichten, müssen die eigenen Gewohnheiten verändert werden. Deshalb regen wir Unternehmen an, etwas Neues auszuprobieren und die Komfortzone zu verlassen. Das kann auch spielerisch sein, zum Beispiel die Challenge, wer in drei Wochen am meisten Fahrrad-Kilometer gesammelt hat. Ich denke, jetzt ist die Zeit reif für diese Veränderungen. Viele Menschen wünschen sich das, sie wissen nur vielleicht nicht wie und fühlen sich überfordert.
 
Gleichzeitig erfahren junge Klimaktivist*innen bei ihren Aktionen oft große Kritik.
 
Das kann ich nur bis zu einem bestimmten Punkt nachvollziehen. Die Gesellschaft muss jetzt aufgerüttelt werden, sonst werden wir von der Klimakrise überrollt. Aktionen wie solche beim Neptunbrunnen am Kornplatz in Bozen schaden der Allgemeinheit nicht, aber sie sorgen für Gesprächsstoff. Es ist wichtig, dass über die Klimakrise gesprochen wird, auch wenn unterschiedliche Positionen zum Ausdruck gebracht werden. Nicht zuletzt hoffe ich, dass die Klimakrise zu keinem Generationenkonflikt wird. Denn wir können diese Herausforderung nur angehen, wenn alle Altersgruppen zusammenarbeiten und sich nicht nur gegenseitig beschuldigen.
 
 
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Josef Fulterer Tue, 02/21/2023 - 22:10

Mit voll-mundigenden Beschwörungen der zuständigen Politiker lässt sich die KLIMA-KRISE sicher nicht aufhalten.
Die zunehmend eintretenden Kipp-Punkte, werden den Verantwortlichen dazu zwingen, der gesamten Bevölkerung erhebliche Beschränkungen auferlegen müssen und mit steuerlichen Maßnahmen "unverzichtbare Gewohnheiten brechen müssen!"

Tue, 02/21/2023 - 22:10 Permalink