Schnee von gestern
Den Winter austreiben, das machen derzeit viele – im Zeichen alter Brauchtumskultur, vom Unsinnigen bis zum Fasnachtsdienstag. Mit sinnbefreiter und spatzenfroher Liedkultur hat sich hingegen ein kleines Dörfchen in den Bergen Südtirols, seit Jahrzehnten nicht nur einen zweifelhaften Ruhm erarbeitet, auch in Sachen Ausverkauf der Heimat scheint der Winter dort schon lange und für immer ausgetrieben, das Fass schon längst am Überlaufen.
Überlaufen sind in Kastelruth vor allem die Hotels, weniger die Bachläufe – außer bei Extremwetter. Denn auch im gottgesegneten Schlagerparadies spielt die Natur ihre Streiche und so musste vor genau einem Jahr das Wasser für das Dorf aus dem Nachbarort Seis angekarrt werden. Nicht nur in Kastelruth schüttelten die Leute den Kopf und fragten sich: Ist das jetzt auch schon wegen der Klimaveränderung?
Wie die Spatzen und der Wassermangel gehört auch der Schnee(mangel) zu Kastelruth. Nicht ganz so apokalyptisch wird sein zunehmendes Verschwinden derzeit im Ansitz Laechlerhaus gezeigt. Unter dem schwungvollen Titel Snowy! ist nämlich noch bis 26. Februar die von Adina Guarnieri kuratierte Ausstellung mehrerer Künstlerinnen und Künstler zum Thema Schnee zu sehen. „Schnee evoziert aber auch einen lähmenden Gefühlszustand, wie ihn Nick Cave in Under fifteen feet of pure white snow beschreibt: Die Angst davor, dass etwas mächtiger ist als wir selbst, der Schneeballeffekt im Lauf der Dinge“, bemüht die Kuratorin den großen Song-Schreiber und verwebt sein Zitat bedeutungsschwer, als feine musikalische Fußnote, ins Spatzenland setzend.
Was die Malerei betrifft, fallen mit Schneegestöber und Gletscherlicht zwei Arbeiten von Jörg Hofer ins Auge, ebenfalls das Diptychon von Benno Simma. Es widmet sich dem Schneeballeffekt. Kunstvolle Schneemänner finden sich ebenfalls: etwa in der über 20 Jahre alten Video-Arbeit von Michael Fliri, bei der sich der Künstler selbst als Schneemann gibt und den Raum um sich mit Styroporgranulat aufwühlt, oder bei Gregor Passens, der mehrere Arbeiten ausstellt. So auch einen Burning Snowman, den er gemeinsam mit dem Künstlerkollegen Torsten Mühlbach entworfen hat.
Susanne Burchia ist mit neuen Arbeiten dabei, die eigens für die Ausstellung entstanden sind. Sie zeigt auf langen Stoffbahnen Eindrücke aus dem ewigen Eis und in der Installation gegenüber Ausschnitte (im wahrsten Sinn des Wortes) einer verschneiten Stadtlandschaft. Sophie Eymond ist ebenfalls mit mehreren Arbeiten dabei. Einige davon gehören zu einer Serie von Gipsabdrücken gefrorener Wasserläufe.
Einem Zukunftsszenario entsprungen, erscheinen hingegen die Fotos von Simon Terzer. Sie zeigen einen weiß gekleideten Mann, der in einem Museum eine gemalte Schneelandschaft bestaunt. Ins Staunen versetzt werden die Betrachter*innen auch bei einer Video-Arbeit von Felix Tschurtschenthaler, bei der es ihn, einem Pfeil folgend, wie einen irren Skifahrer nach oben zieht. In seinen Arbeiten thematisiert Tschurtschenthaler immer wieder den alpinen Massentourismus, der immer mehr will, und immer höher kommen möchte. „Was aber, wenn er dabei die Grenzen der Natur missachtet, sie willentlich übergeht?“ wird in der Ausstellung nachgefragt. Antworten finden sich weder bei den Kastelruther Spatzen noch bei Nick Cave.
Gut ins thematische Konzept hätte vielleicht auch Local Hero Hannes Lang mit seinem erfolgreichen Film Peak gepasst, der unter anderem die Schneekonservierung von Kunstschnee während der Sommermonate zeigt. Denn die scheint wohl die eigentliche große (Schnee)-Kunst in Zukunft zu sein – jedenfalls für Politik, Wirtschaft und Tourismus.