Im Banalitätenkabinett
Jahreszeiten, Berge, Ziegen, Schafe, Mücken, Menschen auf der Straße, Menschen im Zug, Menschen auf Balkonen, Reisen, Käufe und Nicht-Käufe, vereinzelte Tagträume – das sind im Wesentlichen die Themen der Prosastücke, die Siegfried Höllrigl in diesem schmalen Bändchen aneinanderreiht. Schon auf Seite sechzehn schreibt er bezeichnend: „Warum ich das erzähle? Ohne besonderen Grund.“ Tatsächlich könnte man dieses Zitat zum Motto von „Mein Amerika“ erheben, denn die Frage drängt sich auf jeder einzelnen Seite auf. Welche Relevanz und welche Dringlichkeit stecken hinter diesem Schreiben?
An einer anderen Stelle steht: „Es ist leichter, Schneeketten anzubringen als zu beschreiben, wie ein Autofahrer nur im Pullover in die Hocke geht, das Gesäß fast am Boden, und die heutzutage sehr leichten Ketten auf dem Rad befestigt.“ Auch hier kommt man nicht umhin, sich zu fragen, warum es der Autor dann nicht beim Montieren belassen hat und uns diese und viele weitere überflüssige Schilderungen – etwa die langweiligste Geschichte eines Nicht-Kaufs aller Zeiten oder das Verräumen des Laubs durch einen Laubfeger – erspart hat. Ebenso wie eine Reihe pseudo-philosophischer Fragen (Ist man dem Herz der Welt untertage näher als oben in den Bergen? Was halten die Vögel vom Krieg? – Spoiler: nichts. Was machen Verkehrsinseln bei Nacht? – Ebenfalls nichts.). Wie sich die Kuchenreste abholende Mutter mit der Idee von Freiheit verknüpfen lässt, erschließt sich auch nicht wirklich.
Gelegentlich verfällt Siegfried Höllrigl dabei in ein Früher-war-alles-besser-Gejammer und klagt: „[…] in der guten alten Zeit, als man noch Zeit hatte, sich zu kritisieren.“ Diese Sehnsucht nach Kritik möge hiermit gestillt werden: Es ist nämlich eine Kunst, in den Alltäglichkeiten eine Erhabenheit zu entdecken, die sich zu Poesie verdichten lässt. Im besten Fall entstehen dann Bilder, die eine wunderbare Lakonie wie bei Peter Bichsel, Witz und Ironie wie bei Wolf Haas oder meinetwegen auch eine sanfte Schwermut tragen und dadurch das Banale überwinden, das uns den Alltag oftmals in bleierner Langeweile durchleben lässt. Im schlechtesten Fall – sprich in „Mein Amerika“ – bleibt es beim erfolglosen Versuch, Banalitäten zu poetisieren; das Ergebnis ist die Abbildung des unerträglich faden Alltags und der rührigen Erinnerungen eines alten Mannes.
Man möchte meinen, in so kurzen Prosastücken müssten Inhalt und auch Sprache auf ihre Essenz reduziert sein, stattdessen ist nicht nur der Inhalt belanglos, sondern noch dazu die Sprache unnötig ausufernd. Eine Zumutung sind die schwerfälligen Adjektivketten („schöne, große, starke Bäume“ oder „sattes, melodisches, melancholisches, spitzes Grün“) und die Reihungen von synonymischen oder fast synonymischen Wörtern („ein Stakkato von weißen Punkten, Tupfen und Flecken“). Die Lektüre des Synonymwörterbuchs wäre wohl unterhaltsamer. Dadurch entginge man auch den unnötigen Wiederholungen („Die Steine über dem Rinnsal auf der anderen Seite des Jochs erwarten den Schnee. «Wir erwarten ihn», scheinen sie zu sagen.“) und vor allem der mühsam zu entwirrenden Syntax, bei der sich der Autor an einem Übermaß an Attributen und erweiterten Partizipialattributen berauscht hat. Dass diese Schachtelsätze keinen stilistischen Zweck erfüllen, außer den Leser und die Leserin an die Grenzen des Genervtseins zu bringen, veranschaulicht diese Periphrase: „Vorher hatte ich auf dem Grünangerjöchl gestanden, das den Namen von der letzten höchstgelegenen Alm in dem Seitental hat, das von der Ortschaft abzweigt, die mit dem Auto im Winter nicht immer ohne weiteres erreichbar ist.“ Vom dreifachen Relativsatz ganz zu schweigen.
Ein paar wenige durchdringende Sätze fördert eine aufmerksame Lektüre aber doch zu Tage. Seine Begegnung mit einer Ziegenherde etwa schließt der Erzähler mit dem lakonischen Satz: „Beinahe kommen wir ins Gespräch.“ Jedoch: Ein Dutzend schöner Sätze macht noch kein gelungenes Buch.