Ein Blick auf alles unter der Sonne
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Ausgesprochen gut besucht war die Veranstaltung des Circolo Fotografico Tina Modotti, der die Begegnung mit dem lebenden Gedächtnis in allen Belangen der Fotoreportage in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ermöglicht. Das Treffen fand im suggestiven Umfeld statt - der Raum im ersten Stock beherbergt derzeit (noch bis zum 23. März) eine Fotoausstellung zu Mario Dondero. Ferdinando Scianna findet gleich eingangs Lob für die Ausstellung: Er habe schon viele Ausstellungen zu Dondero gesehen, dessen Bilder nicht leicht in Szene zu setzen seien. Die Ausstellung in Bozen gehöre zu den besten.
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Der Gast, 1943 in Bagheria auf Sizilien geboren, blickt auf eine lange Kariere zurück, die jung begann: Niemand geringeres als Leonardo Sciascia wurde 1963 auf der ersten Fotoausstellung des jungen Fotographen in dessen Heimatort auf ihn aufmerksam. Es folgte, mit ebenjenen Bildern in denen Scianna religiöse Dorfriten dramatisch in schwarzen Bildern eingefangen hatte, ein gemeinsames Fotobuch von Scianna und Sciascia, der die Texte schrieb. Es sollte nicht die letzte gemeinsame Arbeit der beiden sein und auch dem Fotobuch als Medium bleibt Scianna treu, mal neue Bilder suchend, mal archivarisch einen Schwerpunkt ausmachend, etwa bei schlafenden Personen, Landschaften oder Tieren.
Auch das Licht und die Arbeit ausschließlich in Schwarz-Weiß blieben Scianna erhalten, der meinte, die Sonne interessiere ihn nur, weil sie Schatten mache. Durch seine Methodik stößt Scianna auf ausgesprochen expressive Bilder, die dynamisch einen Moment festhalten, ohne dass dieser gestellt wirken würde. Formen, Personen und Objekte werden zwischen dramatischem Schwarz und strahlendem Weiß aufgezeichnet. „Ho cominciato a fare foto della Sicilia perché la Sicilia era là: Cosa potevo fare?“, kommentiert Ferdinando Scianna seinen fotografischen Aufbruch auf der Heimatinsel. Und weiter: „Ero archeologo di me stesso e di una società che, quando la vivevo da ragazzo assomigliava ancora a quella vissuta dai miei tris-nonni.“
Die Arbeit als Fotoreporter bringt ihn früh ins Ausland, etwa nach Südamerika, wo er Bergdörfer einfühlsam dokumentiert und dabei auch als Fotomotiv mittlerweile berühmte Salzseen entdeckt. Im Feld dokumentiert Scianna dabei lieber die Leidtragenden als die sich oft selbst inszenierenden Personen, die Leid lindern. Es hieß, gerade bei „Avevo sempre, con ogni libro, la sensazione di scrivere un nuovo capitolo nel libro del mio rapporto da fotografo e uomo con il mondo.“, so Scianna, der sich für das Publikum gut eineinhalb Stunden Zeit nahm. Er hielt dabei auch fest, dass die wenigsten seiner Bücher kommerzielle Aufträge gewesen seien. Es ging ihm einzig um die Dinge und Personen, die ihn interessieren. Legendär und unvergessen war auch Sciannas erster Vorstoß in die Welt der Modefotografie, der 1987 mit einer an Sizilien inspirierten Herbst- und Winterkollektion Dolce & Gabbana’s erfolgte. In den sonnengebleichten Straßen der Insel hielt Scianna dabei vor allem das Aufeinandertreffen einander gegenseitig fremder Welten fest und hat mit seiner Fotografie und der ausgesprochen erfolgreichen Kampagne auch zum Aufstieg des noch jungen Luxus-Labels beigetragen. Sei Scianna, der für diese Arbeit und dieses Interesse auch teilweise gerügt worden ist, hat dies nichts an seinem Grundprinzip verändert: „Comunque mi interessava.“
Über eines von Sciannas Fotobücheren aus Bolivien, auf Reisen für Bildaufnahmen zur Thematik des Kropfes zusammengetragen, soll Henri Cartier-Bresson gesagt haben, dass es eines seiner sizilianischten Bücher bis dato sei. „E probabilmente aveva ragione.“ Während sein erstes Buch aus Sizilien eher die Rolle eines „Palimpsests der Erinnerung“ gehabt habe oder eines Familienalbums, so war es im bolivianischen Dorf der Blick selbst des Reporter-Fotografen, der mitreist. Diesen Blick wendet Scianna auf fast alles an, was ihm Zufall, Aufträge und Intuition vor die Linse bringen, so dass er am Ende zum Teil auch Stillleben festhält. Dabei sind Sciannas Interpretationen dieser Kunsttradition näher am gefundenen Objekt, da wie beim Ablichten von Personen, kein gestelltes Bild gesucht wird.
Die indirekte Anwesenheit eines Fotografen oder einer Fotografin spannte Ferdinando Scianna schließlich am Beispiel zweier Frauen auf Tina Modotti und Leni Riefenstahl. Wenngleich beide ausdrucksstark und unbestreitbar talentiert in ihren Aufnahmen seien, so wären doch die politischen, sozialen und anthropologischen Überzeugungen der beiden in ihren Bildern mehr oder wenig tief gesetzter Subtext.
In den menschelnden Augen von Rochen, die am Fischmarkt nur mehr auf den Verkauf und Verzehr warten können, im Antlitz der Mutter Gottes am Knauf eines Gewehrs oder auch in einer Klosterfrau, die sich nach einem Modemodel umdreht interessiert sich Scianna mit nach wie vor scharfem Blick für Widersprüchlichkeiten und Kontraste, die auch den Blick in die Welt allgemein schulen können. Eine Begegnung, die den Blick auf Bilder im Allgemeinen in ein etwas anderes Licht rücken konnte.
Der dritte und letzte Termin des Mese della Fotografia ist an diesem Samstag, den 23. März. Weiter Infos gibt es online.