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Die Frage „Wer bin ich?“

Der Leiter der Kinder- und Jugendpsychiatrie Andreas Conca spricht darüber, wie eine Gesellschaft im Wandel auf die Jugend wirkt.
Hinweis: Dies ist ein Partner-Artikel und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.
Andreas Conca
Foto: Sabes

Die Pandemie hat das Arbeitsfeld der der Offenen Jugendarbeit (OJA) stark verändert und die Jugendarbeiter*innen vor neue Herausforderungen gestellt. Eine Krise führt auch immer zur Reflexion über Geschaffenes. In Zukunft wird es Mut brauchen, neues Denken und Handeln umzusetzen. Ganz im Sinne des Tages der OJA, hat die Offene Jugendarbeit am vergangenen Samstag, den 17. April, südtirolweit mit Aktionen darauf aufmerksam gemacht, dass junge Menschen unterschiedliche Räume benötigen. Es wurde dabei Platz geschaffen für junge Menschen, für ihre Entfaltung und für ihre Mitbestimmung. Die Stärkung der Selbstwirksamkeit der Jugendlichen ist dabei ein wichtiger Aspekt. Auch der Leiter der Kinder- und Jugendpsychiatrie Andreas Conca unterstreicht die Bedeutung von Begegnungs-, Bewegungs- und Bildungsräumen für Jugendliche.

Seit über einem Jahr wurde den Jugendlichen die Unbeschwertheit verwehrt. Die damit in Verbindung stehenden Auswirkungen waren Anlass eines Gesprächs mit dem Leiter der Kinder- und Jugendpsychiatrie Dr. Andreas Conca. Im Rahmen eines digitalen Vernetzungstreffen der Verantwortungsträger*innen der Jugendzentren, Jugendtreffs und Jugendkulturvereine aus dem ganzen Land kam es zum Austausch. Die zentralen Punkte der Diskussion werden im folgenden Interview kurz wiedergegeben.

 

 

Was brauchen unsere Jugendlichen, damit es ihnen gut geht?

Dr. Andreas Conca: In erster Linie benötigen Jugendliche Zeit, Raum und sich selbst. Jugendlich sein bedeutet sich inmitten eines Transformationsprozesses zu befinden und auf Identitätsfindung zu sein. In dieser Phase wandelt sich das eigene Ich auf einer seelischen, körperlichen, psychologischen und sexuellen Ebene. Die Frage „Wer bin ich?“ steht dabei im Mittelpunkt.  Inmitten des Geschehens wurden Jugendlichen plötzlich Räume wie z.B. Mitbestimmung und Mitwirkung weggenommen und der reale Kontakt zu Gleichgesinnten zumindest zeitweise verwehrt. Das Besondere an der derzeitigen Situation ist, dass Jugendliche in ihrer Transformationsphase auf eine Gesellschaft im Umbruch treffen. Das macht es für Jugendliche sehr schwer, besonders für jene, die fragil sind. 

Das Besondere an der derzeitigen Situation ist, dass Jugendliche in ihrer Transformationsphase auf eine Gesellschaft im Umbruch treffen.

 

 

Über die Auswirkungen der Krise auf die Psyche der jungen Menschen wird vermehrt aufmerksam gemacht. Wie kann die Gesellschaft auf die Ängste, die Vereinsamung und auf Suizidgedanken der Jugendlichen reagieren?

Dr. Andreas Conca: Als sehr positiv erachte ich derzeit die Enttabuisierung von psychischen Problemen. Plötzlich sprechen Eltern und Jugendliche sehr offen über ihre Probleme (Schulabbrüche, Essstörungen, Selbstverletzungen, Zukunftsängste). Diese Ehrlichkeit war vor zwei Jahren noch unvorstellbar. Auch ohne Corona sind in der Transformationsphase von Jugendlichen Ängste, Vereinsamung und Suizidgedanken nicht ungewöhnlich. Was jetzt ergänzend dazukommen könnte ist, dass vermehrt Schüler*innen den Schulbesuch in Frage stellen werden. Diese Tendenz ist nicht neu, jedoch werden zusätzliche Beweggründe auftreten. Zum Beispiel könnten Schüler*innen mit hohem Leistungsniveau nicht mehr den Sinn im Präsenzunterricht sehen, da sie vom digitalen Lernen effektiver profitieren und sie zudem ihre Zeit individueller nutzen können. In allen Aspekten sollten die Bezugspersonen aufmerksam bleiben und in dem Moment, wo ungewöhnliche Tendenzen dazukommen, Expert*innen unbedingt zu Rate ziehen und sich externe Unterstützung holen. Weiteres stehen bald Bildungsübergänge und -abschlüsse an, die leider ohne Maturabälle, Reisen, Ausflüge, Feiern oder Gottesdienste abgewickelt werden. Diese Erlebnisse und vermittelten Werte helfen jungen Menschen eine sensible Transformation zu gestalten. Es wäre wünschenswert, wenn Alternativen wie Teleparties, Abstandsfeste, Briefketten oder virale Konzerte kreiert werden würden. 

Als sehr positiv erachte ich derzeit die Enttabuisierung von psychischen Problemen.

Welche Rolle soll die OJA einnehmen?

Dr. Andreas Conca: Um die Folgen der Krise und das erweiterte Aufgabenfeld der Offenen Jugendarbeit angemessen bewältigen zu können, besteht die Notwendigkeit einer engen Kooperation auf Augenhöhe zwischen den Fachdisziplinen. Die Nahtstellen zwischen den Arbeitsbereichen müssen unbedingt gestärkt werden. Durch die Krise sind sicherlich einige Themen stärker zum Vorschein gekommen. Die Jugendlichen können bei der Bewältigung von Herausforderungen unterstützt werden, indem man Zeit und Räume für Gespräche schafft, ihnen zuhört und sie dadurch präventiv auffängt. Nicht vergessen sollte in diesem Diskurs, dass auch viele Jugendliche in der Krise neue Kräfte erlangen und gestärkt in die Zukunft gehen werden.

Die OJA setzt sich für mehr Freiräume im Denken und Gestalten ein und hat deshalb eine präventive Wirkung für eine gesunde Gesellschaft.

In welcher Form kann die OJA die Jugendlichen unterstützen?

Dr. Andreas Conca: Das Prinzip der Offenheit mit denen die OJA den Jugendlichen begegnet empfinde ich als große Chance und ausschlaggebend in der derzeitigen Situation, sowie in Zukunft. Die OJA sollte mit den Jugendlichen weiterhin ins Gespräch treten, zuhören und sie unterstützen. Die niederschwelligen Beziehungsangebote, die Möglichkeit sich einzubringen, ihre Stimme zu vertreten, sich selbstwirksam zu erleben ist der zentrale Schlüssel für das, was Jugendliche jetzt brauchen. Die OJA setzt sich für mehr Freiräume im Denken und Gestalten ein und hat deshalb eine präventive Wirkung für eine gesunde Gesellschaft. Derzeit vermisse ich im öffentlichen Diskurs die Gedanken, die Gefühle der Jugendlichen und noch mehr den Diskurs mit ihnen. Deshalb sollten die Jugendarbeiter*innen auch zukünftig die Anliegen, Bedürfnisse und Rechte von Jugendlichen auf die politische Agenda bringen und den gesellschaftlichen Diskurs anregen.