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Glyphosat: Und was nun?

Was passiert, wenn sich die EU-Staaten nicht über die Verlängerung der Zulassung von Glyphosat einigen können? Antworten von Koen Hertoge vom Netzwerk PAN Italia.

Herr Hertoge, die 28 EU-Staaten haben sich am Donnerstag wieder nicht zur einer Entscheidung über eine Verlängerung der Lizenz für das Spritzmittel Glyphosat um weitere neun Jahre durchgerungen, wie es die EU-Kommission vorschlägt. Was bedeutet das nun konkret?
Koen Hertoge: Im Moment sind die Folgen noch nicht absehbar, auch weil sich die Nachrichtenlage alle paar Stunden ändert. Man hofft aber nun, nächste Woche über einen Kompromiss zu einer Entscheidung zu kommen. Im Klartext gesprochen, geht es vor allem darum, die deutsche Position zu kippen, also dafür zu stimmen statt sich zu enthalten. Die Vorschläge gehen nun in die Richtung, die Verlängerung von 9 auf 7 Jahre zu reduzieren oder die Einschränkungen nicht mehr für Privatgründe zu erlassen.

Und wenn ein solcher Kompromiss nicht gelingt?
Wenn es nächste Woche auch keine qualifizierte Mehrheit gibt, dann wird es für die Industrie kritisch. Denn dann läuft die Zulassung Ende Juni aus und dann steht im Raum, dass ab 1. Juli sehr viele von diesen Produkten aus den Regalen genommen werden. Alles was man noch besitzt, darf dann noch für eine Übergangsfrist verwendet werden, aber danach würde der Einsatz von Glyphosat definitiv verboten.

Also wäre keine Einigung eigentlich die beste Lösung für alle Glyphosat-Gegner?
Ich würde sagen, das wäre die beste Lösung für die gesamte Bevölkerung der Europäischen Union.

40 % der deutschen Agrarflächen werden laut Medienberichten billig und effizient mit Glyphosat behandelt. Die Frage ist, womit wird Unkraut vernichtet wenn die Zulassung tatsächlich ausläuft.
Da gibt es bereits Lösungen. Immerhin werden die  gleichen landwirtschaftlichen Produkte, die mit Glyphosat  behandelt werden, auch mit Erfolg im Bio-Anbau produziert. Das heißt, es gibt jede Menge Bio-Unternehmen in Deutschland, aber auch in Südtirol, die bereits den Beweis geliefert haben, dass man auch ohne Chemie und ohne Glyphosat erfolgreich produzieren kann.

Sie sagen, derzeit wirken Kräfte auf Deutschland und andere unentschlossene EU-Staaten ein. Wer sind diese Kräfte?
Das sind genau dieselben Kräfte, die man auch lokal und regional findet. Bauernverbände, Lobbyfirmen,  die mit viel Geld versuchen, die Diskussion in eine Richtung zu steuern, die konträr zu dem ist, was wir als PAN Italia wollen. Klar ist natürlich, dass diese Seite kapitalkräftiger ist, Entscheidungen zu beeinflussen, als die zahlreichen Initiativgruppen, die sich mittlerweile in der Frage gebildet haben.

Das heißt, die Befürworter der Verlängerung werden sich  am Ende durchsetzen?
Wie gesagt: Das ist derzeit meiner Meinung nach nicht absehbar. Aber man kann beobachten, dass die Industrie immer neue Ideen hat. Zum Beispiel, indem sie zuletzt eine alten Studie als neu verkaufte. Das hat natürlich sehr viel Unruhe verursacht europaweit.

Sie sprechen von der Studie, die von der WHO vor vier Tagen veröffentlicht wurde?
Ja, nur das man sich darin auf Ergebnisse bezieht, die bereits 2004 und 2011 zitiert wurden. Da steht nichts Neues drinnen, außer dass es unwahrscheinlich ist, dass Glyphosat krebserregend ist, wenn es über die Nahrung aufgenommen wird. Doch die Nahrungsaufnahme ist nur einer von vielen Faktoren, die dazu führen können, dass Glyphosat in den Körper gelangt und Krebs verursachen kann.

Ob Politikerinnen und Politiker oder gewöhnliche Bürger: Eines der Hauptprobleme in der erstaunlich breiten Diskussion über das Thema Glyphosat sind die widersprüchlichen wissenschaftlichen Aussagen dazu, wie schädlich es tatsächlich ist. Sie haben daran keine Zweifel?
Nein, absolut nicht. Es gibt 130 unabhängige Wissenschaftler,  die das Krebsrisiko bestätigen, auf das man in fünf Mäusestudien gestoßen ist. In diesen ist eindeutig herausgekommen, dass es zu einer erhöhten Tumorbildung kommt. Diese Studien sind sogar im Dossier des Bundesinstitutes für Risikobewertung aufgelistet. Dort hat man bestätigt: Ja, es hat eine erhöhte Tumorbildung gegeben, doch der Chef des Bundesinstitutes hat gesagt, wir bleiben trotzdem bei unserer Entscheidung dafür. Und die basiert wohl klar auf der Tatsache, dass zwei Drittel des Gremiums aus Industrievertretern bestehen.

Immer diese Verschwörungstheorien von den bösen Lobbies wird ihnen so manch einer entgegenhalten...
Also, wenn man an der Expertise von 130 unabhängigen Wissenschaftlern zweifelt, haben wir wirklich ein Problem. Wir müsse einfach genau hinschauen, wer hinter solchen Publikationen und Studien steht. Auch bei der jüngsten WHO-Geschichte. Einer der involvierten Professoren ist Präsident des größten Lobbyvereins der europäischen Lebensmittelindustrie. Und sitzt gleichzeitig in der WHO-Kommission. Ein solcher Interessenskonflikt ist untragbar, darauf wurde er mittlerweile selbst von der WHO schon hingewiesen.

Werfen wir den Blick nach Südtirol. Haben Sie konkrete Zahlen, wie viel Prozent der Flächen hier mit Glyphosat behandelt werden?
Konkrete Zahlen hat man dazu nicht. Aber man muss nur mit offenen Augen durch Obstanlagen fahren, um vielerorts braue Streifen unter den Bäumen zu sehen. Doch auch im Privatbereich und auf vielen öffentlichen Plätzen, auf Friedhöfen und Spielplätzen wird es stark verwendet. Das heißt, sowohl die Landwirte selbst als auch die gesamte Bevölkerung ist in vielerlei Form exponiert. Und deshalb muss es weg.

Im vergangenen Jahr wurde ohnehin ein entsprechender Beschlussantrag im Südtiroler Landtag verabschiedet.
Ja, den haben ich damals gemeinsam mit Paul Köllensperger vorbreitet und er ist angenommen worden. Nur leider wurde er im neuen Pestizidgesetz von Landesrat Schuler dennoch nicht berücksichtigt. Es gäbe eigentlich auch über das Naturschutzgesetz von 2010 in Südtirol eine Art Verbot, weil demnach das großflächige Abbrennen von Vegetationsflächen nicht erlaubt ist. Doch niemand hält sich dran, weil es auch keine Sanktionen gibt. Beziehungsweise wenn jemand wirklich einmal erwischt wird, oder wir darauf hinweisen, wie vergangenes Jahr in Naturns, gibt es eine Strafe von 250 Euro. Doch die kam der Gemeinde billiger als alle Alternativen. 

Es gibt neben Mals aber auch immer mehr Gemeinden, die den Einsatz von Herbiziden verbieten wollen.
Ja, das jüngste Beispiel ist Lana. Dort wird komplett auf den Einsatz von Herbiziden verzichtet. Statt dessen hat man nun ein Gerät angekauft, das zwar 60.000 Euro kostet, also in der Anschaffung teuer wirken mag. Aber wenn man alle nicht-monetären Faktoren berücksichtigt, also was damit für die Umwelt und die Gesundheit der Bevölkerung bewirkt wird, ist die Rechnung schnell gemacht.

Letztendlich kann auch bei einer Verlängerung der Zulassung jede und jeder für sich selbst entscheiden, auf den Einsatz von Glyphosat zu verzichten.
Man müsste die Menschen überzeugen, das Produkt nicht mehr zu kaufen. OBI ist dafür ein schönes Beispiel, die haben glyphosathaltige Produkte vergangenes Jahr aus dem Sortiment genommen. Wir haben versucht, auch die landwirtschaftliche Hauptgenossenschaft zu überzeugen.  Doch die haben gesagt, wir verlassen uns auf die Zulassungsbehörden. Wenn die sagen, es gibt kein hohes Risiko, dann werden wir nichts machen.