Society | Philipp Achammer:

"Wir brauchen die Zivilcourage jedes einzelnen"

Politische Reaktion auf das Neonazi-Interview auf salto.bz. Was der Landesrat für Schule, Integration und Jugend zu rechtsradikalen Jugendlichen und ausgegrenzten MigrantInnen sagt.

In-Lokale, in denen Neonazis ungestört ein- und ausgehen, 15-Jährige, die Bomberjacken mit dem Reichsadler tragen und sich mit Heil Hitler begrüßen: Die Erzählungen eines jungen Mannes auf salto.bz geben zu denken. Hat Südtirol ein Problem mit Rechtsradikalen ?
Philipp Achammer: Das Phänomen ist nicht neu. Es gibt und hat in Südtirol leider immer schon rechtsradikale Tendenzen gegeben, und zwar sowohl neonazistischer als auch neofaschistischer Art. Entsprechend wird darauf aber auch von verschiedener Seite reagiert.

Wie?
Zum Beispiel mit Maßnahmen wie der aufsuchenden Jugendarbeit, mit Streetworkern, die in den verschiedenen Landesteilen tätig sind, und das Gespräch mit Jugendlichen suchen. Zumindest wenn es nicht um Straftaten geht, wo ganz klar einzugreifen ist, lautet sicher eine der wichtigsten Antworten: mit den Betroffenen ins Gespräch kommen. Denn hinter solchen rechtsradikalen Gesinnungen stehen ja Probleme und Ängste, die aufgegriffen werden müssen.

Es gibt und hat in Südtirol leider immer schon rechtsradikale Tendenzen gegeben, und zwar sowohl neonazistischer als auch neofaschistischer Art.

In Südtirol wird viel vertuscht, schauen alle weg, ist einer der Vorwürfe im Zusammenhang mit rechtsradikalen Jugendlichen. Zu Recht?
Es ist klar, dass wir alle gefordert sind, hier nicht wegzuschauen und auch nicht nur zuzuschauen. Doch ebenso klar ist, dass dabei nicht nur die Politik, die Ordnungskräfte oder JugendarbeiterInnen, sondern jede und jeder Einzelne gefragt sind. Was darüber hinaus in Südtirol noch viel mehr gemacht werden müsste, ist eine offene Geschichtsaufarbeitung, ein Bewusstmachen der Konsequenzen von totalitären Regimen - für den Einzelnen wie für unser Land.

Zum Beispiel mit der Dokumentationsausstellung unter dem Siegesdenkmal?
Das ist eines der aktuellen Bespiele, das eine ganz konkrete Möglichkeit bietet, Geschichte aufzuarbeiten und Schlüsse für heute daraus zu ziehen.  Dasselbe gilt für 75 Jahre Option oder andere historische Anlässe. Wichtig ist es, in dem Zusammenhang die Botschaft zu vermitteln, dass totalitäres Gedankengut keinen Platz haben darf. Denn eine Gesellschaft kann ohne gegenseitigen Respekt und Toleranz nicht funktionieren.

Ist die Geschichtsaufarbeitung in Südtirols Schulen aus der Perspektive noch verbesserungsbedürftig?
Ich bin überzeugt, dass noch einiges mehr nötig ist. Es gibt zwar einige ganz wunderbare Initiativen wie zum Beispiel das Projekt Promemoria_Auschwitz. Da fahren Jugendliche aller Sprachgruppen in das ehemalige Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau. Ich war beeindruckt, wie viele Jugendliche danach gesagt haben, diese Reise wird mein Leben prägen. Das sind Projekte, mit denen Geschichte erleb- und spürbar wird, die Spuren hinterlassen. Und von denen bräuchten wir sicher noch viel mehr.

Dort wo es um „gesunden“ Patriotismus geht, um Heimatliebe, dürfen wir niemanden in die Ecke stellen, das wäre vollkommen falsch. Gefährlich wird Patriotismus dann, wenn er eine Ausgrenzung mit sich bringt.

In Sachen Geschichtsaufarbeitung bekommen viele Südtiroler Jugendliche teils auch von Seiten der Politik eine gehörige Portion Patriotismus eingeimpft. Kann ein solcher auch zum Nährboden für rechtsextreme Gesinnungen werden?
Bei dem Thema würde ich sehr klare Trennlinien ziehen. Dort wo es um „gesunden“ Patriotismus geht, um Heimatliebe, dürfen wir niemanden in die Ecke stellen, das wäre vollkommen falsch. Gefährlich wird Patriotismus dann, wenn er eine Ausgrenzung mit sich bringt.

Und dieses Zusammenspiel sehen Sie nicht?
Das eine steht sicherlich nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit dem anderen. Wogegen wir uns alle einbringen müssen ist die Ausgrenzung und die kann vielerlei andere Gründe haben. Stolz auf die eigene Herkunft bedeutet also nicht automatisch Ausgrenzung. Dort wo das tut, ist allerdings sehr deutlich Nein zu sagen.

Wie ist Ihre Wahrnehmung in Bezug auf die Ausgrenzung von MigrantInnen?
Die nehme ich sehr wohl wahr. Deswegen ist es mir wichtig, an einem gesellschaftlichem Integrationskonzept zu arbeiten, dass von bestimmten Grundwerten wie Respekt und Solidarität ausgeht, und hinter dem die Menschen auch stehen. Denn es darf keinen Platz mehr dafür geben, Menschen danach zu beurteilen, woher sie kommen.

Ein hochgestecktes Ziel…
Sicherlich. Umso mehr ist jeder Einzelne gefragt, mit Zivilcourage gegen Diskriminierungen im Alltag anzutreten. Und sich für mehr Respekt und Toleranz einzubringen.