Endless Poetry
Nachdem der chilenische Filmemacher in „The Dance of Reality“ seine Kindheit beleuchtet und mit dem einen oder anderen surrealen Erlebnis ausgeschmückt hat, entführt er den Zuschauer in seinem Nachfolgewerk in die Jahre seines Erwachsenwerdens.
Die Geschichte von Alejandro ist gespickt mit skurrilen Ereignissen, die nicht selten zum Staunen anregen und für Überraschungen gut sind.
Alejandro verlässt seine Eltern, den stets mürrischen Vater, der eigentlich vor hatte, aus seinem Sohn einen Mediziner zu machen, und die singende Mutter, die sich große Sorgen um ihren Sohn macht. Er tritt einer Künstlerkommune bei und kommt mit Gleichgesinnten in Kontakt. Während seine Gefährten malen, komponieren, formen und fotografieren, kennt Alejandro seinen eigenen Kurs sehr genau: Er will Poet werden und zeigt schon bald sein Können in Form von kurzen, improvisierten Versen. Er taucht ein in die Welt des Künstlerdaseins, streift nächtelang durch die exzentrischen Bars der Stadt und lernt die ein oder andere illustre Figur kennen. Was auch passiert, und was der junge Poet auch erlebt – es mutet stets anders an, selbst in den geerdeten Szenen herrscht das undefinierbare Gefühl, dass eine surreale Kraft an der Handlung und den Figuren zerrt. Die Geschichte von Alejandro ist gespickt mit skurrilen Ereignissen, die nicht selten zum Staunen anregen und für Überraschungen gut sind. Wie schon im Vorgänger führt Jodorowsky den visuellen Stil, der vor allem von gut komponierten, farbenfrohen Bildern und starken Kontrasten lebt, konsequent fort. So fühlt sich „Endless Poetry“ wie eine wahrhaftige, nahtlose Fortsetzung an, was auch durch die teils aus dem ersten Teil bekannten Darstellern bestärkt wird.
Vielleicht war aber auch alles nur ein Traum, und Alejandro hat es nie gegeben.
Die Kunst, für die Jodorowsky heute bekannt ist – nämlich der Film, wird überraschenderweise gar nicht erwähnt. „Endless Poetry“ trägt seinen Titel nicht umsonst, hier steht seine Leidenschaft für Worte und deren Kraft im Vordergrund. Dass aber auch der Film als Kunstform unglaubliches poetisches Potenzial birgt, beweist Jodorowsky durch sein neuestes Werk einmal mehr. Die Poesie hört nicht bei der Handlung auf, sie ist nicht nur Gegenstand der knapp über zwei Stunden langen Diskussion, sondern überträgt sich auf das Medium. Anders als im Vorgänger weiß die Geschichte auch durchgehend bei der Stange zu halten, an keiner Stelle entsteht der Eindruck, dass das Surreale zweckmäßig wird, vielmehr fügen sich alle Einzelteile zu einem stimmigen Gesamtbild zusammen. Jodorowsky setzt seinem jungen Ich ein würdiges Denkmal, wenngleich er nicht davon ablässt, sich selbst zu romantisieren und unterschwellig für die eigene Kunst zu feiern. Einem mittlerweile 89 Jahre alten Regisseur soll das aber verziehen sein. So fühlt sich „Endless Poetry“ an vielen Stellen wie ein Abschlusswerk an, ob es Jodorowskys letzter Film sein wird, ist offen. Möglicherweise fügt er den beiden Schwesterfilmen ein großes Finale hinzu und behandelt seine eigenwillige, aber erinnerungswürdige Filmkarriere. Vielleicht war aber auch alles nur ein Traum, und Alejandro hat es nie gegeben.