Environment | Toblacher Gespräche
Gebirge als Wassertürme der Menschheit
In Zusammenarbeit mit Toblacher Gespäche
Ulrike Tappeiner ist Präsidentin der Freien Universität Bozen und Professorin für Ökologie an der Universität Innsbruck. Bei den Toblacher Gesprächen am 29. September spricht sie über die zentrale Rolle der Biodiversität im alpinen Raum.
Ulrike Tappeiner ist Präsidentin der Freien Universität Bozen und Professorin für Ökologie an der Universität Innsbruck. Bei den Toblacher Gesprächen am 29. September spricht sie über die zentrale Rolle der Biodiversität im alpinen Raum.
Salto.bz hat sie vorab interviewt:
Salto.bz: Frau Tappeiner, Sie leiten an der Universität Innsbruck die „Research Group Ecosystem and Landscape Ecology“. Womit beschäftigt sich diese wissenschaftliche Gruppe?
Ulrike Tappeiner: Wir untersuchen sozial-ökologische Systeme in Gebirgsräumen: im Mittelpunkt stehen dabei ökologische Forschungsfragen, aber auch deren Wechselwirkungen mit sozialen und wirtschaftlichen Aspekten. Dazu haben wir vor etwa 25 Jahren begonnen die Auswirkungen von Landnutzungsänderungen auf die Gebirgsökosysteme zu untersuchen, etwa auch die Frage: Was verändert sich, wenn Almen aufgelassen werden und es dort zu einer Wiederbewaldung kommt? Heute stehen vor allem die Wechselwirkungen zwischen Klimawandel- und Landnutzungswandel und Biodiversitätsfragen im Vordergrund. In diesem breiten Kontext versuchen wir mit intelligenten Methoden Veränderungen zu erfassen, die sich in Wirklichkeit sehr langsam abspielen.
Wie kann man so etwas messen?
Indem man langjährige Beobachtungsreihen verwendet und diese speziell auswertet. So haben wir z.B. viele historische Karten und Luftbilder über dem gesamten Alpenraum ausgewertet, um die Veränderung der Landnutzung und der Landschaft in den letzten 150 Jahren zu dokumentieren. Gleichzeitig gilt es, neue Monitoringprogramme zu starten, wie z.B. ein Tagfaltermonitoring als Citizen Science Projekt, also gemeinsam mit interessierten Personen aus der Bevölkerung. Die Beobachtungen kombinieren wir dann mit Ergebnissen von Manipulationsexperimenten, dazu haben wir etwas Wiesenausschnitte aus dem trockenen Matschertal und dem feuchteren Stubaital höheren Temperaturen sowie größerer Trockenheit ausgesetzt, um damit die Prozesse zu verstehen. Und mit all diesen Daten entwickeln wir in Zusammenarbeit mit Sozialwissenschaftler*innen gemeinsam mit Betroffenen, wie z.B. Bäuer*innen Zukunftsszenarien und berechnen mit Hilfe von Modellen mögliche zukünftige Veränderungen. Derzeit berechnen wir etwa, wie sich die Wasserversorgung im Matscher Tal in Südtirol und jene im Ötztal in Tirol in Zukunft verändern werden und welche Nutzungskonflikte zu erwarten sind. Übrigens bietet gerade Südtirol für derartige Forschungen ein ideales Freilandlabor, kombiniert mit einem sehr offenem „Klima“ gegenüber der Forschung. Neue landesweite Projekte, wie das 2019 gestartete langfristige Biodiversitätsmonitoring oder die fantastischen neuen Klimakammern am NOI Techpark bieten hier ganz neue Möglichkeiten.
Die Zeiten des genialen Wissenschaftlers, der alleine vor sich hin arbeitet, sind vorbei; heute arbeiten wir in vielen internationalen Gruppen zusammen.
Es ist also eine stark interdisziplinäre Forschung?
Ja natürlich, man kann solche Forschungen nur mit einem interdisziplinären Team durchführen: Bodenspezialist*innen, Vegetationsökolog*innen, Landschaftsökolog*innen, Modellierspezialist*innen, usw. Das Entscheidende ist aber heutzutage nicht, alle diese Kompetenzen in seinem Team zu haben, sondern die internationale Vernetzung in der Forschung. Die Zeiten des genialen Wissenschaftlers, der alleine vor sich hin arbeitet, sind vorbei; heute arbeiten wir in vielen internationalen Gruppen zusammen. Damit können wir unsere sozial-ökologischen Systeme mit denen in den französischen Alpen, in den Pyrenäen, in Großbritannien, Norwegen oder Peru vergleichen.
Sie sprechen bei den Toblacher Gesprächen über die Notwendigkeit der biologischen Vielfalt im alpinen Raum. Warum muss der alpine Raum vielfältig bleiben?
Die biologische Vielfalt ist die Grundlage für die vielfältige Struktur, Funktion aber vor allem auch Resilienz von Ökosystemen. Ökosysteme, die eine geringe Artenvielfalt haben, sind viel anfälliger gegenüber Veränderungen, sind also deutlich weniger resilient. In der Biodiversitätsforschung diskutierte man bereits in den 1980er Jahren das sogenannte Nieten-Modell: Ökosysteme sind vergleichbar mit einem Flugzeug, das mit sehr vielen Nieten zusammengehalten wird. Ein Flugzeug mit vielen Nieten ist auch flugfähig, wenn sich ein paar dieser Nieten lösen; aber falls sich die Nieten an besonders wichtigen Stellen lösen, kann die Stabilität auf einen Schlag zusammenbrechen und den Absturz des Flugzeugs bewirken. In ökologischen Systemen sind die einzelnen verschiedenen Arten vergleichbar mit den Nieten, die das Flugzeug zusammenhalten. Verlieren wir zunehmend Arten und insbesondere wichtige Schlüsselarten, dann führt dies auch zu starken Veränderungen von Ökosystemen.
Haben Veränderungen im alpinen Raum auch Auswirkungen weit außerhalb dieses Raumes?
Ja, auf jeden Fall. Nur ein Beispiel für solche Fernwirkungen und Rückkoppelungen: Gebirge sind die Wassertürme der Menschheit. Neueste Studien belegen, dass über 70% der Menschheit weltweit vom Wasser im Gebirge abhängig sind. Das bedeutet, dass sich Veränderungen im Wasserhaushalt der Berge enorm im gesamten Einzugsbereich von Flüssen auswirken, im Bereich von Trinkwasser, Nutzwasser aber auch Naturgefahren.
Wenn man bedenkt, dass viele wichtige Flüsse in Europa wie der Rhein, die Donau, die Rhone, direkt in den Alpen entspringen, dann wird uns die Wichtigkeit des Wasserhaushalts ganz klar.
Ich finde es fantastisch zu sehen, dass junge Leute sich jetzt mobilisieren, um zu sagen: „IHR zerstört uns UNSERE Zukunft!“.
Sie haben Biologie und Informatik studiert: auf der einen Seite also das Studium des Lebens und der Natur, auf der anderen die Auswertung von Daten. Wussten Sie damals schon, dass Sie Ökosystemforschung betreiben wollen?
Nein, ich habe aus Interesse Biologie und Informatik studiert. Es ist kaum vorstellbar, aber ich habe damals noch mit dem Lötkolben in der Hand Programmieren gelernt, habe mit Lochkarten gearbeitet und erst am Ende des Studiums saß ich zum ersten Mal an einem sogenannten Terminal einer Großrechenanlage. Dort durften wir Biolog*innen nur in der Nacht unsere kleinen Berechnungen machen, der Tag war reserviert für die großen Berechnungen der theoretischen Chemiker und der Bauingenieure.
Damals wusste ich noch nicht, dass ich Ökosystemforschung betreiben würde, aber meine multidisziplinäre Ausbildung ist mir später zugute gekommen, als ich an die Eurac berufen wurde, um das Institut für Alpine Umwelt aufzubauen. Ich hatte bis dahin die Ökosystemforschung stark im naturwissenschaftlichen Bereich betrieben und an der Eurac konnte ich mich verstärkt mit sozio-ökologischen Themen beschäftigen, die besonders gesellschaftsrelevant sind.
Was halten Sie von der Fridays-for-Future Bewegung?
Ich finde es toll, dass eine mutige junge Frau es geschafft hat, solch eine Bewegung in Gang zu bringen. Der Weltklimarat zeigt ja schon sehr lange wissenschaftlich fundiert auf, dass wir eine Veränderung des Klimas haben, dass diese Veränderung menschengemacht ist und dass sie so schnell abläuft wie nie zuvor. Aber bisher hat man nie richtig hinhören wollen. Wenn man sich etwa anschaut, was seit dem Paris-Abkommen politisch umgesetzt wurde, dann ist das schon sehr schmal.
Deshalb finde ich es fantastisch zu sehen, dass junge Leute sich jetzt mobilisieren, um zu sagen: „IHR zerstört uns UNSERE Zukunft!“. Ich hoffe, dass diese Bewegung auch konkrete Veränderungen im Verhalten des Einzelnen, aber vor allem in den politischen Vorgaben und in ihrer Umsetzung bewirken.
Ich erlebe gerade den Wahlkampf in Österreich, wo zwar der Klimawandel bei den Wahlreden überall im Vordergrund steht, aber gleichzeitig schon wieder viele politische Gründe diskutiert werden, die gegen eine CO2 Steuer sprechen. Das wirtschaftliche Kriterium kann nicht mehr alleine im Vordergrund stehen, es muss sich auf jeden Fall etwas ändern. Denn: wir sind an einem Punkt angelangt, an dem – wenn es uns nicht gelingt, das Ruder rumzureißen und ein Reduktionsziel zu erreichen – die zukünftigen Generationen sehr schlechte Karten haben werden.
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