Politics | Referenden

Überflüssige Volksabstimmungen

Im Veneto und der Lombardei finden am Sonntag regionale Referenden zu Autonomiefragen statt. Kosten: 65 Millionen. Emilien hat dasselbe Ziel zum Nulltarif erreicht.
Referendum Lombardia
Foto: upi

Fast 15 Millionen Wahlberechtigte - rund ein Viertel aller Italiener - sind am Sonntag in der Lombardei und im Veneto zu zwei Referenden aufgerufen, mit denen eine Erweiterung autonomer Befugnisse erreicht werden soll.

Die Volksabstimmungen haben lediglich beratenden Charakter und führen zu keinen unmittelbaren Veränderungen. Streitpunkt ist der residuo fiscale, die Differenz zwischen den Steuereinnahmen der Regionen und deren effektivem Haushalt. Beide Regionen möchten, dass mindestens die Hälfte der Steuereinnahmen, die derzeit in die Staatskasse fliessen, in der Region verbleiben. Sie sollen für 23  Sachgebiete verwendet werden, die nach Artikel 116 der Verfassung mit dem Staat ausgehandelt werden können. Die reichen vom Zivilschutz über Kulturpolitik und  Aussenhandel bis zum Umweltschutz und zur Verteilung der Energie.  Die strittige Summe beläuft sich in der Lombardei auf rund 52 Milliarden, Im Veneto auf 15. 

Jede Region mit einem ausgeglichenen Haushalt kann einen derartigen Antrag an die römische Regierung stellen - auch ohne Referendum.  Das hat die Region Emilia-Romagna bereits im Juli erledigt - ohne einen Euro für ein Referendum auszugeben.

Präsident Stefano Bonaccini: "Abbiamo consultato tutti: sindaci, imprenditori, amministrazioni locali, camere di commercio, università e terzo settore. E abbiamo ricevuto un consenso largo." Eine Volksabstimmung hätte laut Bonaccini 20 Millionen gekostet - "soldi buttati dalla finestra." Bereits in dieser Woche hat Bonaccini die Vereinbarung mit der Regierung unterzeichnet. Damit steht dem Beginn der Verhandlungen zwischen Rom und Bologna nichts im Wege. Die Kosten sind denn auch der wesentliche Kritikpunkt an beiden Referenden: jenes in der Lombardei kostet rund 50 Millionen, die Befragung im Veneto 14. 

Die Fragestellungen unterscheiden sich leicht. In Venetien ist die Volksabstimmung laut Regionalgesetz nur gültig, wenn  mehr als die Hälfte der Wahlberechtigten an die Urnen geht. Maroni wertet bereits eine Beteiligung von 34 Prozent als Erfolg.

 

In der Lombardei sorgte das Referendum für Konflikte im Rechtsbündnis. Berlusconi lehnte eine Teilnahme an einer gemeinsamen Kundgebung mit Roberto Maroni ab und fuhr stattdessen zu einer Veranstaltung nach Ischia. In den Reihen von Forza Italia wird befürchtet, dass die Volksabstimmung Wähler in Süditalien verstimmen könnte. Melonis Fratelli D'Italia stehen dem Referendum ablehnend gegenüber. Schliesslich entschloss sich Berlusconi zu einer  versöhnenden Geste, indem er derartige Volksbefragungen in allen italienischen Regionen forderte. Der Partito Democratico verhält sich neutral und empfiehlt Stimmenthaltung. Die Fünf-Sterne-Bewegung tritt für ein Ja ein.  Es handelt sich um die ersten elektronisch durchgeführten Wahlen in Italien.

 

Autonomiepolitisch bestehen in beiden Regionen erhebliche Unterschiede. Die Lombardei ist Italiens grösste und reichste Region. Sie hat mehr Einwohner als Österreich, erwirtschaftet ein höheres Sozialprodukt und verfügt mit  der aufstrebenden Metropole Mailand über Italiens wirtschaftliche und finanzielle Haupstadt.  Mit einem Sozialprodukt von 36.600 Euro pro Einwohner erreicht die Lombardei den Wert Dänemarks und übertrifft Deutschland. Obwohl die Lega Nord in dieser Region gegründet wurde, hielten sich bei den selbstbewussten Lombarden Autonomiegelüste stets in Grenzen. Maroni: "Non mi interessa avere maggiori competenze quanto maggiori risorse."

 

Sezessionisten im Veneto

Völlig anders stellt sich die Lage im Veneto dar, wo Sezessionsbestrebungen auf eine lange und militante Tradition zurückblicken können. So kaperten vor 20 Jahren acht militante venetisti mit einem selbstgebauten Panzerfahrzeug eine Personenfähre in Venedig und besetzten mit Waffengewalt den Campanile von San Marco, wo sie die Fahne der Serenissima hissten - der einst allmächtigen, 1797 untergegangenen Seerepublik Venedig. Alle wurden zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Im April 2014 verhaftete die Polizei 24 Separatisten, bei denen Waffen und erneut ein sebstgebauter Panzer beschlagnahmt wurden. Unter ihnen befand sich auch der Gründer der Liga Veneta, Franco Rocchetta. Im selben Monat rief der glühende Sezessionist Gianluca Busato in Treviso die "die unabhängige und souveräne Republik Venetien" aus, nachdem in einer online-Befragung angeblich 89 Prozent für die Unabhängigkeit gestimmt hatten. Die Zahlen waren freilich getürkt. Nach einer vor einigen Jahren durchgeführten Demos-Unfrage befürworten 55 Prozent der Bewohner die Unabhängigkeit der Region. Der Präsident des Veneto, Luca Zaia, forderte mehrmals hartnäckig eine " Autonomie nach dem Vorbild des Trentino." Gleichzeitig mit dem regionalen Referendum findet in der Provinz Belluno eine Volksbefragung statt, die auf mehr Unabhängigkeit von Venedig abzielt.

Zu entschiedenen Gegnern des Referendums gehören im Veneto viele Unternehmer, darunter Matteo Marzotto und Luciano Benetton, der die Volksbefragung kurzerhand  als "stupidaggine" kritisiert: "Autonomia di cosa?".