Chronicle | Sanität

Lebensgefährlicher Pfusch

Vergangene Woche ist es durch die Flugrettung in Innichen zu einem unglaublichen Vorfall gekommen, der zeigt welch gefährliches Chaos in der Notfallversorgung herrscht.
Pelikan ambulanza soccorsi croce bianca WEISSES KREUZ
Foto: Croce bianca
Der erste Gedanke ist: Das kann so unmöglich stimmen.
Jeder Notfall-Einsatz wird aber von der Landesnotrufzentrale genau dokumentiert und protokolliert. Schaut man sich das Protokoll des Einsatzes „R202002295AA“ und die schriftlichen Stellungnahmen der Beteiligten aber an, so wird klar, dass die Schilderung der Realität entspricht. Leider.
Denn die Geschichte ist ein Skandal, der deutlich macht, wie das Covid-19-Virus in Südtirol selbst die elementarsten Regeln der Notfallmedizin außer Kraft setzt und die potenzielle Ansteckungsgefahr von Corona sehr schnell zum Gradmesser zwischen Leben und Tod werden kann. Gleichzeitig zeigt dieser Vorfall aber auch, wie unkoordiniert und unvorbereitet Südtirols Sanitätswesen nach fast 9 Monaten Covid-Krise dieser Herausforderung immer noch begegnet.
Gibt es in der Südtiroler Sanität ein Protokoll, das besagt, dass selbst Patienten in Lebensgefahr von der Flugrettung nur dann mitgenommen werden, wenn sie vorher einem Covid-Schnelltest unterzogen wurden?
Vor allem wirft das Ganze eine beunruhigende Frage auf: Gibt es in der Südtiroler Sanität ein Protokoll, das besagt, dass selbst Patienten in Lebensgefahr von der Flugrettung nur dann mitgenommen werden, wenn sie vorher einem Covid-Schnelltest unterzogen wurden und dieser eindeutig negativ ist?
Kann das sein? Anscheinend schon.
 

Innichner Schlaganfall

 
Am späten Vormittag des Mittwochs, 14. Oktober 2020 wird der Notarztwagen des Weißen Kreuzes in Innichen zu einem Notfalleinsatz gerufen. Es geht um eine 71-jährige Patientin. Die behandelnde Notärztin diagnostiziert einen Schlaganfall mit linker halbseitiger Lähmung. Weil bei einem Schlaganfall jede Minute zählt und im Protokoll der Sanität vorgesehen ist, dass genau diese Fälle umgehend in die spezialisierte „Stroke Unit“ am Bozner Krankenhaus gebracht werden sollen, fordert man den Rettungshubschrauber an. Nach Rücksprache entscheidet die Landesnotrufzentrale, dass der Hubschrauber „Pelikan 1“ nach Innichen fliegt, um die Frau nach Bozen zu bringen.
Die Patientin wird in den Krankenwagen geladen und zum Hubschrauberlandeplatz gebracht. Um 12.34 Uhr landet der Rettungshubschrauber in Innichen. Der Flug-Notarzt des „Pelikan 1“ entscheidet um 12.39 Uhr, bei der betagten Patientin einen Covid-19-Schnelltest zu machen. Nach 6 Minuten erklärt der Flugnotarzt, dass das Ergebnis des Tests „fraglich“ („nicht sauber“) ist und dieser als „positiv“ zu werten sei. Deshalb könne die Patientin nicht vom Rettungshubschrauber mitgenommen werden, sondern müsse im Krankenwagen nach Bozen gebracht werden.
 
 
Die behandelnde Innichner Notärztin protestiert gegen diese Entscheidung. Nach ihrer Ansicht war der Test weder klar positiv noch klar negativ, sondern „es gab nur einen Schatten auf der T-Linie“. Die Notfallmedizinerin führt das darauf zurück, dass man nicht mindestens 15 Minuten gewartet hat, um das Testergebnis abzulesen. So wie es eigentlich vorgesehen ist.
Um 12.49 Uhr startet der Rettungshubschrauber aber bereits ohne Patientin wieder in Richtung Bozen. Inzwischen organisieren die Sanitäter den Transport per Krankenwagen nach Bozen. Die Patientin soll dafür von einem anderen Rettungswagen übernommen werden.
Um 12.56 Uhr erklärt die Notärztin den angeblich fraglichen Test als eindeutig negativ. Nach 15 Minuten war das negative Ergebnis sauber und eindeutig zu erkennen. Die Notärztin entscheidet um 13 Uhr einen zweiten Covid-19-Schnelltest an der Patientin zu machen. Die Landesnotrufzentrale, inzwischen vom negativen Testergebnis informiert, schickt einen zweiten Hubschrauber nach Innichen. Diesmal den Rettungshubschrauber „Pelikan 2“.
Um 13.25 Uhr liegt auch das Ergebnis des zweiten Schnelltests vor. Eindeutig negativ. Um 13.45 landet „Pelikan 2“ am Landesplatz in Innichen. Dieser Flugarzt akzeptiert die beiden negativen Testergebnisse: Die Patientin wird an Bord genommen. Um 13.59 Uhr hebt der Rettungshubschrauber mit der Frau dann in Richtung Bozen ab.
 

Die Landtagsanfrage

 
Nicht nur in Innichen ist man über diesen Vorfall jetzt aber entsetzt und bestürzt. „Jeder weiß, dass es bei einem Schlaganfall um Minuten geht“, sagt ein Arzt zu Salto.bz. Durch diesen absurden Eiertanz wurden hier aber Stunden verspielt. Möglicherweise mit Langzeitschäden für die Patientin. Ein anderer Arzt fragt offen: „Wer ist hier verantwortlich, dass diese Frau wohl die wichtigsten und wertvollsten 2 Stunden ihres Lebens verloren hat?
 
 
Dass der Fall diesmal nicht so einfach zu den Akten gelegt werden kann, liegt auch daran, dass sich schon bald der Landtag mit diesem Vorfall befassen wird müssen. Der Team K- Abgeordnete Franz Ploner hat vor einigen Tagen eine Landtagsanfrage zum Vorfall eingebracht. Der Arzt und langjährige Leiter des Krankenhauses Sterzing fragt darin auch:
 
  • Wie gedenkt man in Zukunft solchen Fehlentwicklungen in der medizinischen Versorgung der Bevölkerung, bedingt durch die COVID-19 Krise, entgegenzuwirken?
  • Gibt es entsprechende Protokolle?
 
Die Anfrage wird der zuständige Landesrat Thomas Widmann Anfang November in der aktuellen Fragestunde des Landtages beantworten müssen.
Es wird kein leichtes Unterfangen werden. Denn man wird diesmal die Schuld für diesen untragbaren Vorfall kaum auf den handelnden Flugarzt, seine Unerfahrenheit oder mangelnde Informationen schieben können.
Nach gesicherten Informationen von Salto.bz ist der Flugarzt, der in Innichen entschieden hat, die betagte Schlaganfall-Patientin zurückzulassen und leer mit dem Pelikan 1 nach Bozen zurückzufliegen, ausgerechnet ein honoriges Mitglied der Covid-19-Taskforce des Landes.