Culture | Salto Weekend
Performierte Traurigkeit
Foto: Privat
Im kleinen Jugend- und Kulturraum in der Bozner Italienallee machte sich am Donnerstagabend Neonlicht und die große Traurigkeit breit: Die „Sagra della Tristezza“ ging über die Bühne. Vielleicht wäre auch das Wort schlurfte akkurater, da gleich von Anfang an theatrale Traurigkeit am Plan stand. Das Format, entfernt mit den sogenannten „FuckUp Nights“ verwandt, die sich seit 2012 von Mexiko aus verbreiten und besonders im deutschen Sprachraum Anklang finden, wies doch einige Unterschiede auf: Statt wechselnder Acts, die mit Hilfe von Powerpoint Präsentationen ihr (meist unternehmerisches) Scheitern bloß legen, gestaltete man den Abend mit Moderation und dem Special Guest jeweils auf einem Fix-Platz. Im Publikum verteilte YOMER zuvor an ihn selbst gerichtete, selbst geschriebene Fragen, welche „spontan“ - auf ein Signal von der Moderation gestellt wurden. In jedem Fall, wenn sich das Publikum nicht sträubte, mit absurder Überhöhung und Komplimenten zu Haupthaar, Sexappeal und Intelligenz beginnend, waren sie immer wieder ein bisschen Anstoß für Storytelling und/oder Selbstpromotion.
Der Abend plätschert mit mehr Heiterkeit als echter Traurigkeit oder Verletzbarkeit dahin, es gab immer wieder Ausreißer-Momente, etwa wenn die Bozner Suizidraten mit denen in Wien verglichen wurden und YOMER betonte, dass es gut sei, das Bozen keine Straßenbahn habe. Aus dem Publikum die trockene Feststellung, wir hätten Züge. Auch nahbare und menschliche Momente folgten, die Geschichte vom ersten Kuss des Gasts und seiner therapeutischen Erfahrung des Tagebuchschreibens, sowie seinen Umgang mit Multipler Sklerose. Diese hatte bei ihm mit Anfang 20 zu einem Lebenswandel geführt, er habe gelernt damit umzugehen.
Im zweiten Teil des Abends dann ein offenes Mikrophon, bei welchem das Publikum zwischen YOMERs Ausführungen seine Traurigkeiten abgeben und ein, zwei Worte mit ihm wechseln konnte. Je mehr sich die Veranstaltung der finalen Zwei-Stunden-Marke annäherte, umso formulaischer wurde dies: Es zeigte sich, die Traurigkeit war mehrheitlich „lustig“ - ein Effekt der sich wohl aus den Erzähl-Vorgaben ergab - und dass Sex nach dieser nicht repräsentativen Umfrage wohl der größte Quell der Traurigkeit der Menschheit ist. Die einzelnen Geschichten wurden dabei immer - von einer Fragerunde zu den Frühstücksgewohnheiten im Raum abgesehen - immer noch zugespitzter und noch absurder. Von der Oma beim ersten mal erwischt oder Chlamydien aus einer langjährigen monogamen Beziehung, man schaukelte sich hoch. Im Raum fand das Anklang und Gelächter. Schade, dass damit das Zwischenmenschliche, die Verwundbarkeit und ja, doch auch das Mitgefühl kürzer traten, als der Ton etwas roher wurde.
Aber neugierig hat der Abend jedenfalls gemacht: vielleicht wird die „Sagra della Tristezza“ ja auch zu einem fortgeführten Format. Dann ginge ich nochmal hin, allein um zu sehen, welcher Ton dann - von Gast und Publikum - angeschlagen würde.
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