Gianfranco Giani, Generalstaatsanwalt beim Kassationsgericht, kennt kein Pardon. Am Dienstag hat er beim obersten Richterrat CSM einen Dringlichkeitsantrag auf sofortige Versetzung des Mailänder Staatsanwaltes Alfredo Robledo gestellt.
Es soll aber nur der erste Schritt in einem der härtesten Disziplinarverfahren in der italienischen Justizgeschichte sein. Denn Giani fordert weit mehr: Die Generalstaatsanwaltschaft verlangt, dass Robledo nicht nur versetzt wird, sondern das Amt des Staatsanwaltes für immer niederlegen muss. Bereits am 5. Februar wird die Disziplinarkommission des CSM über den Fall entscheiden.
Der Vorwurf gegen Alfredo Robledo: Der Staatsanwalt soll einem Anwalt der Lega Nord vertrauliche Ermittlungsinformationen weitergegeben haben, die dieser dann an Roberto Maroni und Matteo Salvini lieferte. Der genannte Anwalt, der im Zentrum des Mailänder Justizskandals steht, ist auch in Bozen alles andere als ein Unbekannter.
Domenico Aiello ist nicht nur der Strafverteidiger, der zusammen mit Gerhard Brandstätter den ehemaligen Energielandesrat Michl Laimer vor Gericht vertritt. Aiello ist auch der Präsident des Überwachungsrates der Südtiroler Sparkasse.

Es ist das italienische Magazin „L'Espresso“, das im Oktober 2014 die Geschichte erstmals öffentlich macht. Ausgangspunkt ist eine Abhöraktion der Antimafia-Staatsanwaltschaft Reggio Calabria. Im Zuge einer Ermittlung gegen die 'Ndrangheta gerät auch Domenico Aiello ins Visier der Ermittler. Der Strafverteidiger mit kalabresischen Wurzeln hat direkte Kontakte mit einigen involvierten Unternehmern.
Die Staatsanwaltschaft Reggio Calabria hört deshalb 2012/2013 monatelang das Telefon von Domenico Aiello ab.
 

Domenico Aiello (links) mit Lega-Mann Roberto Cota (Foto Espresso)

Domenico Aiello ist seit langem aber auch der Vertrauensanwalt von Roberto Maroni und der Lega Nord. Genau in dieser Zeit explodiert der Skandal um den Lega-Schatzmeister Francesco Belsito. Belsito wird wegen Betruges und Veruntreuung öffentlicher Gelder verhaftet. Der Skandal führt zur endgültigen Ablöse Umberto Bossis an der Lega-Spitze und zum Aufstieg des neuen Superstars Matteo Salvini.
Die Ermittlungen gegen Belsito und die Lega leitet in Mailand Staatsanwalt Alfredo Robledo, Anwalt der Lega Nord ist Domenico Aiello. So zeichnen die Ermittler aus Reggio Calabria 2012/2013 Telefongespräche und Kontakte zwischen Alfredo Robledo, Domenico Aiello, Roberto Maroni und Matteo Salvini auf, die die dortige Staatsanwaltschaft für strafrechtlich relevant hält.

Es geht vor allem um einige SMS, die Staatsanwalt Afredo Robledo an Domenico Aiello schickte und die der Strafverteidiger unmittelbar an Roberto Maroni, Matteo Salvini und den damaligen EU-Parlamentarier der Lega Francesco Speroni weiterleitetet.
So schreibt Domenico Aiello am 28. Dezember 2012 ein SMS an Maroni: „Gerade eben ist die Sitzung in der Staatsanwaltschaft zwischen dem Oberstaatsanwalt und seinen Stellvertretern zu Ende gegangen. Morgen Abend werden sie mir neue Namen von unseren Abgeordneten geben, gegen die ermittelt wird. Sie haben schwerwiegende Abhörprotokolle gegen den PDL, während es gegen uns angeblich eine Angestellte als Informantin gibt.“
In derselben Zeit hören die Ermittler auch ein Telefongespräch Aiellos mit Matteo Salvini ab. Aiello sagt, dass ihm Staatsanwalt Robledo versprochen habe, vor den Parlamentswahlen 2013 Ermittlungsbescheide auch gegen Politiker des PD, des IDV und der Pensionistenpartei auszustellen. „Domemico, ist verspreche dir, du kannst deine gesamte Glaubwürdigkeit darauf setzen“, zitiert Aiello den Staatsanwalt im Gespräch mit Salvini.
Als die Mailänder Ermittlungen zu den veruntreuten Fraktionsgeldern dann auch auf die anderen Parteien ausgeweitet werden, schreibt Domenico Aiello ein Dank-SMS an Alfredo Robledo: „Uomo di parola! Poi grande magistrato!“
Der Staatsanwalt antwortet mit einem lateinischen Zitat: „Lieber Anwalt, promissio boni viri est obligatio!“. (Das Versprechen eines rechtschaffenen Mannes ist eine Verpflichtung).

Die Ermittler gehen davon aus, dass Domenico Aiello sich in einem anderen Fall bei Staatsanwalt Alfredo Robledo revanchiert hat.

Wenig später kommt es zu einem Gerichtsstreit zwischen dem Staatsanwalt und dem früheren Mailänder Bürgermeister Gabriele Albertini. Der Forza-Italia-Politiker hatte Robledo beschuldigt, illegale Ermittlungen durchgeführt zu haben. Robledo klagte wegen Diffamierung. Weil Albertini inzwischen aber EU-Abgeordneter ist, muss dessen Immunität aufgehoben werden.

Staatsanwalt Alfredo Robledo    (Foto Espresso)

Gabriele Albertini und Roberto Maroni sind genau zu diesem Zeitpunkt Konkurrenten um den Chefsessel in der Region Lombardei. Es ist ausgerechnet der Maroni-Anwalt Domenico Aiello, der Staatsanwalt Alfredo Robledo jetzt zu Hilfe eilt. Die Ermittler weisen nach, dass Aiello per Email dem Staatsanwalt eine Reihe von nicht öffentlichen Dokumenten zukommen ließ, die Albertini im Verfahren zur Aufhebung der Immunität in Brüssel vorgelegt hatte.

Im Frühjahr 2013 übermittelt die Anti-Mafia-Staatsanwaltschaft Reggio Calabria die Akten zu den Aiello-Abhörungen nach Brescia. Die dortige Gerichtsbarkeit ist für Verfahren gegen Mailänder Justizangehörige zuständig. Der Vorwurf: Verletzung des Ermittlungsgeheimnisses und Bevorteilung eines Anwaltes.
Nach über einem Jahr Ermittlungen haben die beiden Brescianer Staatsanwälte Fabio Salamone und Paolo Savio jetzt die Archivierung des Verfahrens gegen Alfredo Robledo beantragt. Die Staatsanwaltschaft ist zum Schluss gekommen, dass die Kontakte zwischen Robledo und Aiello keine strafbare Handlung darstellen.
Das Gericht hat bisher noch keine Entscheidung gefällt. In ihrem Archivierungsantrag präzisieren die beiden Staatsanwälte aber: „Abgesehen von jeder Bewertung der Angemessenheit der andauernden Kontakte zwischen dem Staatsanwalt und dem Anwalt aus Gründen, die nicht immer mit ihren beruflichen Rollen verbunden waren“.
Der Generalstaatsanwalt am Kassationsgericht Gianfranco Giani, der für die Disziplinarmaßnahmen zuständig ist, sieht das weit kritischer: Für ihn ist das Nahverhältnis zwischen Alfredo Robledo und Domenico Aiello nicht tragbar. Der Staatsanwalt habe den Lega-Strafverteidiger eindeutig bevorzugt.
Spätestens am 5. Februar wird sich zeigen, ob ein Mailänder Staatsanwalt über sein Nahverhältnis zum Laimer-Verteidiger stürzt.