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Piratenverträge

Es gibt derzeit 864 nationale Tarifverträge, aber nur 300 davon sind von den wirklich repräsentativen Arbeitnehmer- und Arbeitgeberverbänden unterzeichnet.
Hinweis: Dies ist ein Partner-Artikel und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.
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Foto: Pixabay

Der Rest sind „Piratenverträge“, die meist nur abgeschlossen werden, um die Entlohnung zu senken oder um den Beschäftigten geringere Rechte und weniger Schutz zu gewährleisten. Bis zu 30% weniger Lohn sind möglich, ganz zu schweigen von Urlaub, Krankheit, Mutterschaftsurlaub, dreizehntem Monatsgehalt, Betriebsfürsorge usw.  Zu den am stärksten betroffenen Bereichen, gehören sicherlich der Dienstleistungssektor, der Transport sowie der Logistik-  und der Maschinenbausektor.

Wir brauchen endlich klare Regeln und Gesetze, um diese Missbräuche zu bekämpfen, aber auch den Willen und die Fähigkeit von Gewerkschaften und Arbeitgebern, nach wirksamen Lösungen zu suchen. Dies auch, weil für 9,5 Millionen Beschäftigte des privaten Sektors demnächst die Verträge auslaufen und bei der Erneuerung müssen der Schutz, die Rechte und ein angemessener Lohn garantiert werden.

Das Problem liegt auf der Hand und heißt Repräsentativität.  Nur im öffentlichen Sektor gibt es eine gesetzliche Regelung, die festlegt, wer berechtigt ist, bindende Arbeitsverträge für alle Bediensteten zu unterzeichnen. Aber auch im Privatsektor hat sich letzthin etwas bewegt. So wurde letztes Jahr die Vereinbarung zwischen der Arbeitgebervereinigung Confindustria, den Gewerkschaftsbünden, dem NISF/INPS und dem Arbeitsinspektorat unterzeichnet, die eine Messung und Zertifizierung der gewerkschaftlichen Vertretung ermöglicht. Es dürfte daher zukünftig schwieriger sein, Piratenverträge auszuhandeln. Dadurch werden die Rechte der Arbeitnehmer besser geschützt und ein fairer Wettbewerb zwischen den Unternehmen garantiert.  

Das NISF/INPS erhebt in Zukunft die Anzahl der Mitglieder der einzelnen Organisationen und misst die Stimmen bei den Wahlen der einheitlichen Gewerkschaftsvertretungen. Daraus wird die Repräsentativität errechnet, ausgedrückt in Prozenten. Nicht durch Eigenerklärungen stellt man künftig den Vertretungsanspruch einer Organisation fest, sondern durch die Zertifizierung seitens des NISF/INPS. Um am Verhandlungstisch teilnehmen zu können, muss eine Organisation mindestens eine Vertretung von 5% aufweisen und die Unterzeichner müssen eine Repräsentativität von mindestens 50% +1 aufweisen, damit der unterzeichnete Vertrag gültig ist. Auch ist eine zertifizierte Befragung unter den Arbeitnehmer vorgesehen.

Die Unterzeichnung des Abkommens war keine leichte Aufgabe, denn Piratenverträge sind besonders für jene Unternehmen nützlich, die nicht über Qualität und Innovation, sondern über die Arbeitskosten konkurrieren wollen. Während früher das Gesetz Mindestrechte festlegt hat und Verträge nur bessere Bedingungen ermöglichten, verschlechtern jetzt viele Verträge die Standards, die per Gesetz vorgesehen sind. Durch solche Abkommen werden aber nicht nur die Bediensteten benachteiligt, sondern auch ehrliche Unternehmen durch einen unlauteren Wettbewerb.

Für eine effektive Umsetzung muss auch die Repräsentativität der Arbeitgeberverbände gemessen und definiert werden. Hier gibt es Widerstände, denn besonders bei den Klein- und Mittelbetrieben gibt es eine beträchtliche Anzahl an Verbänden, die sich für repräsentativ erklären.

Um Piratenverträge abzuschaffen, muss man aber die Frage nach der allgemeinen Wirksamkeit von Tarifverträgen (Erga Omnes) klären. Eine Messung der Vertretungsstärke ist diesbezüglich zwar nützlich, aber um auch rechtlich Klarheit zu schaffen, muss sie von einem Gesetz begleitet werden. Dies würde eine vollständige Anwendung von Artikel 39 der Verfassung bedeuten, der vorsieht, dass für die Arbeitnehmer desselben Sektors Tarifverträge Erga Omnes von Gewerkschaften mit Rechtspersönlichkeit abgeschlossen werden können. Die Anwendung dieses Artikels ist bisher yum Teil auch aufgrund des Widerstandes der Gewerkschaften, gescheitert, weil man eine Einschränkung der gewerkschaftlichen Freiheit befürchtet hat.

Bisher ist es unserem Rechtssystem gelungen, die Einhaltung der Verträge die zwischen den repräsentativsten Organisationen ausgehandelt wurden, zu garantieren.  Heute ist dies oftmals aber nicht mehr der Fall und genau hier müssen wir ansetzen, wenn wir die Anwendung der nationalen Arbeitsverträge retten wollen. Ein Umdenken ist notwendig und die Diskussion über eine gesetzliche Mindestregelung im Gange. Selbst Confindustria wünscht sich keine Fragmentierung des Vertragssystems. Zudem sollte beim Ansuchen um öffentliche Beiträge und Steuervorteile die Anwendung dieser Verträge unabdingbar sein.

Arbeitgeber und Gewerkschaften haben in diesem Zusammenhang in Südtirol einen Teilerfolg zu verzeichnen. Die Reduzierung der IRAP-Steuer gilt nur mehr für Betriebe, die Verträge vollinhaltlich anwenden, die von den repräsentativen Organisationen unterzeichnet wurden. Das Problem ist damit zwar nicht vollständig gelöst, aber es ist ein politisches Zeichen, dass Piratenverträge ein Problem sind, das man angehen muss. Man könnte sagen: wehret den Anfängen, denn bei uns in Südtirol ist diese Praxis noch nicht weit verbreitet, wohl auch aufgrund des guten Arbeitsmarktes und dem teilweisen Mangel an geeigneten Arbeitskräften.

Natürlich braucht es Zusatzabkommen auf Betriebs- oder territorialer Ebene, um die Löhne und Gehälter an die lokalen Gegebenheiten anzupassen. Dies ist auch ohne weiteres aufgrund der nationalen Kollektivverträge möglich. Sollte allerdings Piratenverträge auch hierzulande Fuß fassen, wäre auch deren Wirkung sicherlich abgeschwächt. Klare Regeln sind daher auch bei uns nicht nur wünschenswert, sondern eine Notwendigkeit.