Ich habe nichts Falsches getan
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„Ich habe nach und nach meine Angst vor Reaktionen abgebaut und gemerkt, wen ich dabei unterstütze“, erzählt Mika Sperling gegenüber SALTO, unmittelbar nach der Eröffnung zu ihrer Fotoausstellung in den Räumen des Foto Forum in Bozen. „Wenn ich weiter schweige und das so unter den Teppich kehre, dann schütze ich ja die Gefühle von den anderen Erwachsenen. Und dann sind ja wieder die Erwachsenen wichtiger als die Kinder, die missbraucht wurden.“ Sperling näherte sich dieser ihrer Aufarbeitung sehr vorsichtig, sprach mit anderen Menschen und Betroffenen über eine sachgemäße Umsetzung, holte Einverständnisse ein und befand am Ende, dass es vor allem ihre Geschichte sei, und „dass ich keine Erlaubnis braucht von niemandem, nur von mir.“
Sperling dreht die Geschichte um, verkehrt Macht und Ohnmacht, indem sie den Großvater nicht als Person zeigt, nicht in seiner Persönlichkeit darstellen will, sondern ihn klar als Täter benennt.
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Mit der Ausstellung stellte sich das Foto Forum die Frage, „inwiefern es möglich ist, anhand von Kunst oder anhand einer künstlerischen Praxis“ mit einer Fotoschau „ein familiäres oder auch ein gesellschaftliches Tabu zu brechen“, meinte Kuratorin Sabine Gamper bei ihrer Einführung vergangene Woche.
Mika Sperling ist Fotografin, Künstlerin und selber Betroffene von sexueller Gewalt. Die Ausstellung sei eine Art Heilungsprozess gewesen, meine Gamper, der über die Biografie von Mika Sperling hinauswirke und auch einen Heilungsprozess für die Betrachterinnen und Betrachter in Gang setze. Studiert hat Sperling in Darmstadt und in Bielefeld, in San Francisco machte sie am Art Institute ihren Master. Seit 2014 stellt sie sowohl in Europa, als auch an verschiedenen Orten weltweit aus. Mit der Geburt der ersten Tochter, und später, als diese Laufen lernte und dieser sich manchmal auch ältere Männer näherten, begann Mika Sperling sich an ihre eigene Geschichte zu erinnern und das Trauma anzugehen, damit es nicht irgendwann auf ihre Tochter übergehen könnte. Mit Kunst, Fotografie, Installation.Mika Sperling begann zunächst den Weg von ihrem Elternhaus zum Haus des Großvaters immer wieder fotografisch einzufangen. Einige dieser Bilder sind in der Ausstellung zu sehen. Es sind viele Detailaufnahmen, Blickwinkel, nicht unbedingt auf Entschlüsselung aus, sondern geben ein ästhetisch bedrückendes Gefühl vor. „Es sind natürlich auch Erinnerungsorte und es sind auch Orte, die einen psychischen Gehalt haben oder einen eine Stimmung auferlegen“, betont Gamper. Zu sehen sind auch viele Rosen. Sperlings Großvater war nämlich ein großer Rosenliebhaber und Züchter. In der Ausstellung stehen sie als Hinweis für Ästhetik und Verletzbarkeit, weniger für Liebe. Es ist ein Zwiespalt, den Sperling aushält, den auch die Besucherinnen und Besucher aushalten müssen.
Gezeigt werden auch Fotos aus dem Archiv des Großvaters, manchmal ist er in der Nachbearbeitung aus dem Bild geschnitten, manchmal ist auf den Fotos nur als Rückseite (un)erkennbar verdreht, mit dem Hinweis: Mariechen. Sperling dreht die Geschichte um, verkehrt Macht und Ohnmacht, indem sie den Großvater nicht als Person zeigt, nicht in seiner Persönlichkeit darstellen will, sondern ihn klar als Täter benennt.
Eine Arbeit mit Telefonnummer erinnert an die Nummer die Mika Sperling früher hunderte Male anrief, sich aber nicht traute, die Wahrheit zu sagen, sondern sich im letzten Moment für einen Telefon-Scherz entschied. Zum Anhören steht eine von ihr besprochene Audioarbeit. Sie versteckt sich hinter einem (fleischfarbenen) Vorhang im zum Großteil rosa gehaltenen Anstrich der Räumlichkeiten. Zu hören sind Dialoge zwischen ihrem Großvater und Mika, wo sie Fragen stellt und ihre Schlüsse zieht. Auch ein Schachbrett mit dem der Großvater Mika das Schachspiel beigebracht hat, ist Ausstellungs- und Erinnerungsstück. „Kühn und schonungslos werden in diesem Werk Scham, Wut, Schuldgefühle und Gespräche über sexuellen Missbrauch durch Archivbilder, Zeichnungen, Fotografien und ein Theaterstück zum Ausdruck gebracht,“ schreibt die Kunstexpertin Vasudhaa Narayanan im Buch zur Ausstellung I Have Done Nothing Wrong, die noch bis 22. Februar 2025 im Foto Forum in Bozen besichtigt werden kann.More articles on this topic
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