Environment | Gastbeitrag

„Wieder versuchen!“

Historiker und Politiker Hans Heiss spricht auf der Jahresversammlung des Dachverbands für Natur- und Umweltschutz – der heute so wichtig sei wie noch nie zuvor.
Ruatti und Heiss
Foto: Andy Odierno/SALTO
  • Der Winterausklang 2025 gibt auf den ersten Blick keinen Anlass zur Freude und zu hochgestimmter Vorschau. Wie nie zuvor in den letzten Jahrzehnten ist das Panorama von Politik, Wirtschaft und Umwelt in Europa verdüstert. In einem gestärkten Umfeld der Autokraten wirkt Europa handlungsschwach, sogar verzwergt, die wirtschaftliche und soziale Entwicklung sind in einer Abwärtsspirale, zur großen Sorge von Bürgerinnen und Bürgern. Beide Krisenzonen schlagen unvermeidlich auch auf Natur und Umwelt durch, die definitiv in die zweite Reihe verwiesen sind. Die fossilen Autokraten von USA, Russland und OPEC-Ländern sind am Drücker, sodass das 1,5-Grad-Ziel von Paris wie Schnee von gestern wirkt. Trumps Aufruf zu entfesselter Förderung von Öl und Gas, sein „Drill, baby, drill“, bedeutet ein „Kill, climate, kill“ für Klima, Artenschutz und Biosphäre.

    Wir sollten diesen weiteren Horizont in Umrissen vor Augen haben, um das Umfeld zu bewerten, in dem sich der Dachverband für Natur- und Umweltschutz in Südtirol, unser Verband bewegt. Auch in Südtirol hat sich der noch vor wenigen Jahren spürbare Schub für Umwelt, Natur und Klima seit geraumer Zeit in zunehmend frostigen Gegenwind gedreht. Der Druck, unter dem einzelne Wirtschaftssektoren stehen, die Sorge davor, den Anschluss zu verlieren, stellen auch bescheidene Standards der Ökologie in Frage, und wecken den Wunsch, sie sogar über Bord zu werfen. Der akute Problemdruck der Gegenwart lähmt den Einsatz für die langfristige Agenda von Natur und Umwelt. So ist es bezeichnend, dass ein verbissener Streit um die Ausdehnung der „Dolomiten“, um das Prädikat „Dolomites“ geführt wird. Nicht sie selbst, ihr Schutz und Wert stehen im Mittelpunkt, sondern eine andere Frage: Wie weit lässt sich ihr Gebiet als Marketingzone ausdehnen? Bis nach Villanders, Vals und Viums? Oder gar bis zum Brenner, da man vom Tribulaun aus vielleicht doch die Dolomiten sehen kann? Aber ja: Wenn schon Trump den Golf von Mexico in „Golf von America“ umtaufen will, ist auch unsere kleine Dolomites-Erweiterung locker machbar. Ridere per non piangere: Die Dolomiten sind vom Welterbe längst zum Weltmarketingfaktor avanciert oder degradiert worden, während ihr Schutz, ihre Eigenart nur mehr zweitrangig sind. Dies kennzeichnet den spirit, der derzeit umgeht: Ein neuer Geist der Enthemmung, nachdem lange zumindest ein Mindestmaß an politischer Korrektheit gegolten hat. Aber inzwischen laden Grenzen, laden confins, förmlich dazu ein, überschritten zu werden, immer getreu dem Motto: „Do geaht nou a bissl“.

  • US-Präsident Donald Trump: Der Autokrat leugnet immer wieder den menschengemachten Klimawandel. Foto: History in HD on Unsplash
  • Und dennoch: Der vielfache Druck trifft auf einen gestärkten Dachverband, dessen Vereine und Untergruppen, dessen Hauptquartier mit geschärftem Problem- und Selbstbewusstsein auftritt. Der Dachverband mit dem scheidenden Präsidenten Josef Oberhofer und Direktor Staffler samt Team wissen: Die Stunde hat geschlagen, der Countdown läuft, es geht ums Ganze. Auf allen Feldern: In der Mobilität, wo Bahnausbau und Straßenerweiterung in eine entscheidende Phase gehen, in Sachen Bodennutzung und -versiegelung, in Bebauung und Raumordnung, in der Biosphäre mit schwindender Artenvielfalt, stetig erweiterter Gülleausbringung und Abdrift. Und erst recht in der Lebensfrage des Klimas. In Sachen Klima mag Südtirol auf den ersten Blick zwar kein Gewicht haben, wohl aber hätte es eine Selbstverpflichtung und Vorbildwirkung, die es erst in Ansätzen wahrnimmt.

    Gegenwärtig scheint die Angst vor Verlust alles zu beherrschen, sie ist omnipräsent. In der Tat, Verluste zeigen sich überall: im Einkommen der Bürgerinnen und Bürger, im Abbau von Arbeitsplätzen, im schwindenden Gefühl der Sicherheit, im Eindruck, das Beste liege hinter uns. In der Wirtschaft herrscht die Sorge vor dem Verlust an Wettbewerbsfähigkeit oder Marktanteilen bis hin zu realen, in den Bilanzen ausgewiesenen Verlustpositionen. Bei der Sorge vor Verlusten überwiegt stets der Kampf um das Gegenwärtige, um Erhalt des Bestehenden. Die schwerwiegendste Einbuße aber ist der Verlust des Gemeinsinns, der ebenso dahin schmilzt wie die Gletscher, die Gleichgültigkeit, die um sich greift, die Apathie des „Do konnsch eh nicht tian“. Die seit fünf Jahren anhaltende Serie von Krisen und Kriegen, die sich unentwegt überschlagenden Nachrichten und die zunehmende Abstumpfung sind nicht folgenlos geblieben. So beherrschen der unmittelbare Lebensraum, das Nächste und die eigenen Interessen den Horizont. Dies widerspricht aber den persönlichen Grundanliegen der Einzelnen wie denen des Landes von Südtirol. 

  • Der Südtiroler Landtag: Einst ein Vorreiter im Landschaftsschutz – heute getrieben von Wirtschaftsinteressen? Foto: Seehauserfoto
  • Südtirols Grundverfassung, seine Autonomie, beruht auf drei Säulen: auf Minderheitenschutz, der territorialen Entwicklung mit den Leitwerten Friedenspflicht und Gerechtigkeit sowie einem dritten Pfeiler, dem Erhalt seiner Natur und Landschaft. Das dritte Landesgesetz nach dem über den geschlossenen Hof von 1954 und der Handwerksordnung 1956 war das Landschaftsschutzgesetz von 1957, als noch schwacher, aber ausbaufähiger Brückenkopf späterer Entwicklungen. Die Pioniere der Autonomie, vorab Alfons Benedikter, später auch Giorgio Pasquali, hatten erkannt: Neben dem Schutz der Minderheit ist der Erhalt des Territoriums, eines der schönsten und vielfältigsten Lebensräume der Alpen, ein Fundament für den Fortbestand Südtirols, für seine Identität und Lebensqualität. Das Gesetz wurde 1970 neu geschrieben und verabschiedet, noch vor dem zweiten Autonomiestatut und ist in Grundzügen bis 2018/20 in Kraft geblieben. Es markierte den hohen Rang von Natur und Landschaft in Südtirol, lange vor Alpenkonvention und EU-Regelungen. Er erhellt auch den Kontext, in dem der Dachverband, unser Verband, seit 1982 arbeitet, handelt und kämpft. In dem er verliert und wieder aufsteht, stets aufs Neue, getreu dem Motto des Dramatikers Samuel Beckett: „Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern!“

    Der Dachverband erfüllt fünf Kernaufgaben, die sich mit fünf großen K’s umreißen lassen: 

    (1) Er ist Kompetenzzentrum für Umweltfragen, ob in thematischer und rechtlicher Hinsicht. Er klärt ab und klärt auf, bringt Übersicht und Sachverstand in oft komplexe Fragen.

    (2) Er ist der Kontrollturm der Umwelt, der Tower, von dem aus frühzeitig Warnungen und Gegenwehr ausgehen, oft frühzeitig und zeitgerecht, mitunter leider auch zu spät.

    (3) Er hält Kontakt zu Politik und Verwaltung, hin zur Landesregierung, zu den Gemeinden, zur wichtigen administrativen Ebene der Ämter. Er nutzt und ermutigt ihren Sachverstand, er sucht Gehör bei oft tauben Ohren.

    (4) Er ist ein Ort der Koordination, der seine Stärke daraus bezieht, dass er die Mitglieder zusammenhält, sich mit ihnen abstimmt, sie ermutigt und ihnen beisteht. 

    (5) Schließlich scheut er auch nicht den Kampf, wenn es um Kernfragen geht, wenn Anliegen auf dem Spiel stehen, die jeden Einsatz lohnen.

    Nie war der Dachverband so wertvoll wie heute, nie aber auch so gefordert, mitunter überfordert. Du hast, lieber Josef Oberhofer, gestern auf RAI-Südtirol eine Bilanz gezogen, die ernüchternd war, bitter und erbittert. Dazu gibt es Grund genug, keine Frage, aber Dein Abgang ist auch Anlass, auf das zu blicken und das zu würdigen, was Du mit dem Dachverband bewirkt hast. Und das ist wahrlich nicht wenig. Eure Sach- und Gesetzeskompetenz sind weiterhin sprunghaft gewachsen, das Team um Hanspeter Staffler ist gestärkt, die Mitgliederzahl erweitert. Mit Elisabeth Ladinser steht eine neue Obfrau bereit, seit langem ausgewiesen durch Sachkenntnis, Einsatz und die Gabe der Mediation. Ihr seid bestmöglich gerüstet für die Aufgaben, die dem Verband, mehr noch, die Südtirol bevorstehen. Es sind immense, historisch singuläre Herausforderungen, da far tremare le vene e i polsi. Mit einer Klimaveränderung auf allen Ebenen, die bisherige Gewissheiten auflöst, sogar zertrümmert. Mit umfassenden Themenfeldern, die es zu analysieren, die es anzugehen gilt, ohne Aussicht auf durchschlagenden Erfolg. Umso wichtiger die Rolle der Politik, nicht nur als verständnisvolle, aber tatenarme Gesprächspartnerin, sondern als handlungsstarke Akteurin. 

    Sie, Herr Landeshauptmann, sollten in Ihrer absehbar letzten Amtszeit Mut beweisen, da weder Popularität noch Wiederwahl auf dem Spiel stehen. Mut zu unbequemen Entscheidungen, etwa zu einem Klimagesetz, das der Selbstverpflichtung entspricht, die Sie sich, die dieses Land sich mit dem Klimaplan gegeben hat.

    Ich schließe mit dem Auftritt eines bewährten, wiewohl umstrittenen Kronzeugen, mit Josef Rampold, der vor über 50 Jahren, am 13. November 1973, in einer „Tagblatt“-Randbemerkung unter dem Titel „Stunde der Entscheidung“ bemerkt hat: „Es kann und wird darüber zu befinden sein, dass die äußere und innere Zerstörung unseres Landes nur vom Geist her aufzuhalten ist, nicht durch den heute alles beherrschenden Materialismus, dem dieses Land Schritt für Schritt geopfert wird.“ Gewiss auch vom Geist her, werter Josl Rampold, aber vor allem durch umsichtiges wie entschiedenes Handeln. Dafür steht der Dachverband – ihm gilt unser Dank, auch unsere Zuversicht.

    Impuls zur Delegiertenversammlung des Dachverbands für Natur- und Umweltschutz, Bozen, Sparkasse Academy, 21. 2. 2025.

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Salto User
nobody Fri, 02/21/2025 - 19:29

Geld regiert die Welt. Gegen diese Windmühlen zu arbeiten, das ist Gebot der Stunde. Die Politik sollte den Rahmen setzen, um Schritt für Schritt einen Green Deal zu schaffen, der aber Bevölkerung und Wirtschaft mitnimmt. Europa ist eine Wirtschaftsmacht und könnte mutiger sein. Selbst Chine geht in Richtung Ökologiesierung der Wirtschaft. Dass Russland und USA wegdriften, macht die Sache nicht einfacher. Nicht zuletzt kann (muss) jeder im kleinen Schritte gegen die Klimawandel

Fri, 02/21/2025 - 19:29 Permalink
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Salto User
nobody Fri, 02/21/2025 - 19:34

... kann (muss) jeder Schritte gegen den Klimawandel setzen (falsch getippt). Es gibt solche Initiativen (z.B. Bauernmarkt mit Bioprodukten). Diese Wege sind noch auszubauen. Es muss einen Weg geben, sich gegen die Big Player zu wehren. Dieser Weg führt nur gemeinsam zum Erfolg. Nicht Zuletzt noch ein Dankeschön an H. Heiss für seinen überaus lesenswerten Artikel.

Fri, 02/21/2025 - 19:34 Permalink
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Josef Fulterer Sat, 02/22/2025 - 06:25

"Ob es der Kompatscher verstanden hat, dass er dringend die Marionetten-Fäden kappen muss, mit denen er von der so genannten Wirtschaft gesteuert," gerade das zu tun + zu lassen hat, "was für dieses G... gerade nützlich ist."

Sat, 02/22/2025 - 06:25 Permalink