Society | Leichtigkeit für schwere Themen

Visueller Journalismus?!

Klimawandel, Finanzkrise, Pandemien: Drängende Fragen von heute sind grenzenlos, komplex und mit den Mitteln des Alltagsverstandes kaum zu durchblicken.

Einfache Antworten sind ohnehin nicht zu erwarten. Wer hat da schon die Zeit, sich in die Themen einzuarbeiten, sei es, um als mündige Bürgerin mitreden zu können, sei es, um die Dinge auch nur halbwegs einordnen zu können? Der Visuelle Journalismus hat zum Ziel, vielschichtige Themen verständlich, attraktiv und prägnant darzustellen. Parallel mit der rasanten Entwicklung des Internets in den letzten Jahren hat der Visuelle Journalismus neue Formate und Prinzipien zur Präsentation und Gestaltung von Informationen entwickelt. Mittels Infografik, Datenvisualisierung, Illustration und Animation können vielschichtige Sachverhalte, Zusammenhänge und Argumente zugänglich gemacht werden. salto.bz setzt auf diese „Sprache“, denn sie ermöglicht es auf den ersten Blick, Überblick und Einstieg zu erleichtern, die Neugier der Leserinnen und Leser zu wecken für den zweiten und dritten Blick…

Beispiele für Visuellen Journalismus sind

... einfache Visualisierungen, wie das „Billion Dollar Gram“ von David McCandless, das das Verhältnis von sehr großen Zahlen, für die wir im Alltag keinerlei Gefühl entwickelt haben, was sie bedeuten, grafisch übersetzt. Unterschiedlich große Rechtecke stehen für abstrakte Zahlen, deren Verhältnis zueinander wir so sofort erfassen. Die ganz großen Budgets, von denen wir ständig in den Nachrichten hören, werden miteinander vergleichbar, erhalten Bedeutung, und es zeigt sich, worauf wie viel Wert gelegt wird in dieser Welt (die deutsche Variante trägt den Titel „Seid verschlungen, Milliarden!“ und wurde von der ZEIT publiziert).

Billion Dollar Gram

... „Mappings“: Visualisierungen von komplexen Netzwerken und Beziehungsgeflechten von Institutionen und Personen, wie dasjenige von Marcello Del’Utri, Wegbegleiter und rechte Hand von Silvio Berlusconi. Der Endbericht des ersten Prozesses gegen ihn umfasst 800 Seiten voller Details. Einen Überblick ermöglicht erst die grafische Darstellung von der zahlreichen „Verstrickungen“ (unibz | F. Bosio, M. Michalka, F. Xhango).

.… „docu clips“ wie „Unsere Kleine Welt“, die mit schnellen Schnitten, amüsanten Animationen und flotten Kommentaren arbeiten, um lehrreiche Informationen kompakt und zeitgemäß zu präsentieren.

Über Videoportale im Internet sind docu clips weltweit verbreitet und mit einem Klick zugänglich. Etwas langsamer und profunder als „Unsere Kleine Welt“ ist der „Klassiker“ des kritisch-unterhaltsamen Visuellen Journalismus, „The Story of Stuff“, der die vielfältigen Zusammenhänge zwischen Konsum und Produktion, der Ausbeutung von Menschen und der Umwelt hergestellt. ... interaktive Datenvisualisierungen, wie die Arbeit PeopleMov.in, die den Nutzern ermöglicht, die weltweiten Migrationsströme zu erkunden.

Migration flows

Der Visuelle Journalismus entwickelt sich ebenso rasant wie die technischen Formate, deren er sich bedient, mit enormer Kreativität und vielfältigen Ausdruckformen – erzählerisch, erklärend, interaktiv, animiert und: animierend, weiterzuklicken, weiterzuschauen, weiterzuleiten und tiefer einzusteigen. Anschauliche Darstellungsformen erfreuen sich zunehmender Beliebtheit, auch bei den etablierten Nachrichtenmedien. The Guardian setzt mit seinem Datablog seit geraumer Zeit auf den sogenannten Datenjournalismus, um aus der Flut an Daten Informationen zu fabrizieren. Aktuell wird der zweite Global Datajournalism Award ausgeschrieben. Laut Journalist Online wird diese Form der Journalismus auch für lokale Themen immer relevanter. Die NY Times investiert schon seit langem massiv in die Produktion interaktiver Grafiken. Die ZEIT vermittelt „Wissen in Bildern“. Und vieles mehr. Dabei ist die Idee, alle Bürgerinnen und Bürger über wichtige Belange der Gesellschaft mittels Informationsdesign zu informieren, keineswegs neu. Otto Neurath und seine Mitstreiter, insbesondere sein kongenialer Grafiker Gerd Arntz,  haben bereits zwischen den beiden Weltkriegen die „Wiener Methode der Bildstatistik“ und die infografische Bildsprache „ISOTYPE“ entwickelt.

The Effect of War

Ihre Grundidee leuchtet bis heute ein: Eine funktionierende Demokratie, die nicht nur dem Namen nach oder auf dem Papier existiert, braucht die Beteiligung aller, und kompetent mitmachen kann nur, wer gut informiert ist. Andernfalls bestimmen die geschicktesten Rhetoriker oder bloße Stimmungsmache die öffentliche Meinungsbildung. Demokratie bedeutet zugleich, dass die Argumente aller Beteiligten die Chance haben, gehört zu werden. Beteiligung und Information bedingen sich gegenseitig. In einer Demokratie müssen Informationen zugänglich sein, was nicht nur bedeutet, dass Daten veröffentlicht werden. Sie müssen auch verständlich und attraktiv dargestellt werden – eine herausfordernde wie spannende Aufgabe, gerade in Hinblick auf die Möglichkeiten eines multimedialen Internets. Visueller Journalismus ist ein multiprofessionelles Projekt, das der vereinten Kompetenzen von Journalistinnen, Designern, von Fachexpertinnen, teils auch von Statistikern, Informatikern, Filmerinnen, Musikern, Sprecherinnen etc. bedarf. An der Fakultät für Design und Künste der Universität Bozen arbeitet eine Gruppe von Studierenden und Lehrenden zu diesem Thema, unterstützt von Journalisten aus dem Netzwerk von salto.bz/Demos2.0 und anderen Expertinnen und Experten. Die ersten Ergebnisse dieser kreativen Zusammenarbeit werden demnächst auf salto.bz zu sehen sein.