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Frühling und Poesie!

Was für ein schöner Zufall! Heute, am 21. März, ist nicht nur Frühlingsbeginn, sondern auch der Welttag der Poesie.
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Was für ein schöner Zufall! Heute, am 21. März, ist nicht nur Frühlingsbeginn, sondern auch der Welttag der Poesie. Es hört sich vielleicht etwas altmodisch an, aber heute mehr denn je sollten wir Gedichte lesen, Poesie leben, poetisch denken. Denn die Poesie ist eine Stimme, die nicht ausgelöscht werden, die nicht verstummen darf. Sie ist wie ein Lichtstrahl, der Aspekte unseres Daseins beleuchtet, die wichtig sind, aber sonst oft verborgen bleiben. Sie ist eine zarte Stimme, die uns direkt mit anderen Welten, anderen Zeiten, anderen Dimensionen verbindet – man muss ihr nur lauschen. Ein Homerscher Gesang, und schon sind wir tief im Süden, getragen von den Wogen des Mittelmeers, von einem unsterblichen Odem bewegt. Oder drei Strophen von Paul Celan, und schon bekommt der Tag eine ganz neue Perspektive:

Der Tod ist eine Blume, die blüht ein einzig Mal./ Doch so er blüht, blüht nichts als er./ Er blüht, sobald er will, er blüht nicht in der Zeit.

Heute scheint die Poesie auf einem parallelen Pfad zu unserer Zeitgemäßheit unterwegs zu sein; wir können sie durch unsere kleinen Digitalfenstern tanzen sehen und verlieren sie langsam aus den Augen. Dabei müssten wir versuchen, sie festzuhalten, uns unauflöslich mit ihr zu verbinden; wir müssen sie zu unserer besten Freundin werden lassen. Was wäre eine Welt ohne die Sonette von Shakespeare? Ohne die Melancholie von Pessoa, die grenzenlose Klarheit von Leopardi, den halluzinatorischen Wahnsinn von Ginsberg? Eine Welt ohne Poesie wäre wie der Pflaumenbaum von Bert Brecht:

Im Hofe steht ein Pflaumenbaum/
Der ist so klein, man glaubt es kaum./
Er hat ein Gitter drum/
So tritt ihn keiner um./
Der Kleine kann nicht größer wer'n,/
Ja - größer wer'n, das möcht' er gern!/
's ist keine Red davon:/
Er hat zu wenig Sonn'./

Dem Pflaumenbaum, man glaubt ihm kaum,/
Weil er nie eine Pflaume hat./
Doch er ist ein Pflaumenbaum:/
Man kennt es an dem Blatt.

Unser Leben ohne Poesie ist ein Leben ohne Sonne. Deshalb leben wir in finsteren Zeiten. Vielleicht ist es ja auch immer so gewesen, doch die Poesie hält die Welt im Gleichgewicht, weil sie die Abscheulichkeiten verbirgt, die ihr innewohnen. Oder weil sie diese derart verstärkt, dass das Hässliche schließlich Erlösung finden kann. Poesie ist Leid, ist Vitalität, ist Schönheit. Und so ist es wieder einmal an der Schönheit, die Welt zu retten. Daher müssen wir nach Poesie suchen, und zwar überall. Müssen sie bewahren, sie uns zu Herzen zu nehmen. Und sie teilen.

Ein Blatt und noch eines. Noch eines/ andersfarbig/ und in verblühten Händen/ hältst du sie, die ohne Ausdruck/ nur ihrer Schönheit verpflichtet sind./ Du lächelst mir zu und um dich herum/ bist du die Zeitlosigkeit/ ein Grashalm, der seine Wiese nicht kennt./ Zauberhaft ist deine Gabe.

Auch in den ladinischen Tälern gibt es Poesie. Wie dieses Gedicht von Roberta Dapunt. Oder die Verse von Elisabeth Oberbacher, die gerade ihre Gedichtsammlung „Ares de pavël“ (Schmetterlingsflügel) veröffentlicht hat. Nicht zu vergessen auch Rut Bernardi aus Gröden, bereits berühmt und der Beweis dafür, dass die Dolomitentäler nicht nur eine wirtschaftstouristische Realität sind, sondern auch Worte hervorbringen, die in die ganze Welt hinausfliegen.  Denn die Poesie ist eine Reise durch die Zeit und durch die Welt, die für Frieden und Heilung sorgen kann. „Mit ihr können die Verletzungen kuriert werden, die uns das Leben ständig zufügt“, sagt der Mönch Sabino Chialà in seinem Buch ‚Parole in cammino’. „Auch die des vergangenen Tages. Poesie kann sogar als Antiagressionstherapie funktionieren. Manchmal kann so eine Reise die Last auf unseren Schultern reduzieren und uns von Gewicht befreien. Sie kann Hindernisse auflösen und auf das Wesentliche reduzieren. Sie kann Zauberei ablenken und trösten.“  Retten wir also die Poesie, befreien wir sie von den Bremsklötzen, die sie behindern, und retten wir damit uns selbst. Reisen wir auf ihren Flügeln und geben wir dabei nicht auf, denn wie schon Pessoa schrieb:

Die Erde ist aus Himmel geschaffen./ Die Lüge hat kein Geheg./ Niemand ging jemals verloren./ Alles ist Wahrheit und Weg.

Michil Costa