Anhaltende Zeiten
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„Tausend Jahre sind ein Tag“ heißt es in einem Lied von Udo Jürgens, wo die Hintergrundstimme im beschwingten Rhythmus die Frage „Was ist Zeit?“ (bzw. den Hinweis Das ist Zeit) in das Mikrofon flüstert. Über ein Jahr lang wurden auch in Bozen diese oder ähnliche Zeitfragen gestellt, denn die Landeshauptstadt war und ist es noch bis einschließlich Montag: Welthauptstadt der Zeit. Dann gibt sie diese zeitlich begrenzte Ehre an Straßburg weiter.
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"Zeitpolitische Maßnahmen" entstanden weltweit in den späten 1980er Jahren und entwickelten sich rasch in ganz Europa. Die Stadt Bozen gehörte bereits vor 30 Jahren zu den ersten Städten, in der sich „innovative Projekte in diesem Bereich entwickelten.“ 1994 wurde sogar das Assessorat für Zeiten der Stadt mit einem eigenen Zeitbüro einrichtet, um das Funktionieren der Stadt unter dem Gesichtspunkt der Zeit-Planung, der Umgestaltung des städtischen Raums und der Zugänglichkeit der öffentlichen Dienste zu verbessern.
Wie wäre die Welt ohne Uhrzeit? Wie hat sich unser Umgang mit Zeit entwickelt? Nur noch wenige Tage findet in Bozen die TimeWeek mit reichlich Programm und Projekten statt. Das für den Tag nach Frühlingsbeginn angesetzte Projekt 5 nach 12 wurde von Konzeptkünstler Richard Schwarz erdacht und begleitet. Er absolvierte nicht nur einige Workshops mit Schülerinnen und Schülern zum Thema, sondern war auch dafür verantwortlich, dass einige der wichtigsten Uhr-Werke der Stadt Bozen zum heutigen 21.3. ab Fünf nach Zwölf (Mitternacht) bis soeben, also Fünf nach Zwölf (Mittag), angehalten wurden. An der Pfarrkirche blieb auch der gewohnte Glockenschlag aus.„Es geht im Grunde um die Uhrzeit, die man mit der Uhr anzeigen kann und die erst möglich macht, wie Gesellschaft sich organisiert“, erzählt Schwarz und springt über ein Zeitfenster ins Tirol vor über 120 Jahren, als es noch keine einheitliche Zeit gab.
Der Künstler erinnert an früher, etwa an den 9. Jänner 1904, als am Stadtmuseum in Bozen die große Uhr angebracht wurde (auch sie war 2024 Teil des Fünf nach Zwölf-Projektes gewesen), sowie an die Zeiten, als es auch in Bozen so richtig international wurde, nachdem Ende Oktober 1907 die Uhr an der Bozner Pfarrkirche erstmals offiziell die mitteleuropäische Zeit anzeigte.Richard Schwarz war heute schon früh am Waltherplatz, beobachtete die stillstehende Uhr an der Pfarrkirche, aber auch die ersten Menschen die auf ihre Art und Weise mit der Zeit (und über den Platz) gingen. „Es ist schön zu beobachten, wie alles getaktet ist. Das sagt viel über eine Gesellschaft aus“, erzählt er und merkt an: „Es ist ja auch immer mit einem Zweifel verbunden, ob man wirklich mit der Zeit gut umgeht, denn dieses gut umgehen ist lange Zeit so definiert worden, dass man die Zeit effizient nutzt, Dinge schneller macht, um quasi Zeit zu gewinnen“. Die Freude über vermeintlichen Zeitgewinn hat natürlich Schattenseiten, denn es könne auch „das andere Extrem erreicht werden“, bei dem sich dann alles zu Stress und in Hektik verwandle und Zeit sich anfühle „wie ein Fluch“.
Was ist Zeitlosigkeit? Ist das überhaupt etwas Erstrebenswertes? „Auf der einen Seite ist Zeit eine gute Orientierung, ein guter Halt, wo ein gutes Netzwerk geschaffen wird“, antwortet Schwarz in Ruhe, „auf der anderen Seite ist natürlich Zeitlosigkeit ein tolles Gefühl.“ Damit hat er natürlich vollkommen Recht.More articles on this topic
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