Culture | Alte Gletscher

Eisige Gratwanderungen

Der Historiker Hansjörg Stecher hat in seinem Verlag ein Buch über die umstrittene Figur Karl Felderer gemacht. Zum Tag der Gletscher wird es erneut vorgestellt.
Alexander Alber FF Media
Foto: Quelle: Alexander Alber FF Media
  • SALTO: Welche Eis- und Gletscherwelt hat der Bergfex Karl Felderer bei seinen Touren noch vorfinden können?

    Hansjörg Stecher: Wenn Karl Felderer heute als hochbetagter Mann noch einmal den Gipfel des Ortlers, der Weißkugel oder der Marmolata besteigen könnte, ich denke, er würde diese Berge kaum mehr wiedererkennen. Die Berge sind zwar immer noch dieselben, aber durch den klimabedingten Gletscherschwund hat sich ihre einstige Charakteristik, ihr weißes Antlitz, nachhaltig verändert. Vergleicht man beispielsweise die Fotos, die Felderer bei seinen Bergtouren Anfang bis Mitte der 1920er Jahre im Stilfserjochgebiet oder in den Ötztaler Alpen gemacht hat, mit heutigen Aufnahmen, so reibt man sich verwundert die Augen. Während Felderer und seine Bergfreunde sich noch über ausgedehnte Gletscherzungen dem Berg nähern konnten, müssen sich die Bergsteiger:innen heute durch felsige Stein- und Geröllhalden vorkämpfen, immer mit dem Blick nach oben, wegen der Gefahr des Steinschlags und möglicher Séracs. Insofern ist das Bergsteigen heute nicht nur anstrengender, sondern auch gefährlicher als zu Felderers Zeiten. 
     

    Doch obwohl Felderer vom Aufschwung des Tourismus profitierte, erkannte er schon früh dessen Schattenseiten, sodass er sich ab Mitte der 1970er Jahre immer lauter für eine sofortige Begrenzung einsetzte. 

  • Blick nach Süden: Vom Spiegelkogel. Aus dem Bestand: Alpenverein Südtirol (AVS NL 1.19.104) Foto: Karl Felderer

    Das Buch legt seine Nähe zum Natur- und Umweltschutz nahe. Ab wann wird diese Seite bei Felderer spürbar?

    Karl Felderer war sein ganzes Leben lang ein naturverbundener Mensch: in seinen frühen Jahren als begeisterter Bergsteiger und ambitionierter Landschaftsfotograf, später, in seiner zweiten Lebenshälfte, als überzeugter Natur- und Umweltschützer. Nach der Rückkehr aus Innsbruck infolge der Option baute er sich Anfang der 1950er Jahre als Gastwirt in Gröden ein neues Leben auf. Doch obwohl Felderer vom Aufschwung des Tourismus profitierte, erkannte er schon früh dessen Schattenseiten, sodass er sich ab Mitte der 1970er Jahre immer lauter für eine sofortige Begrenzung einsetzte. Felderer sah durch den Tourismus nicht nur die kulturelle Identität seiner Landsleute bedroht, sondern vor allem auch seine Heimat Südtirol. So schrieb er fortan mit spitzer Feder gegen den in seinen Augen überhandnehmenden Bau von neuen Hotel- und Liftanlagen an und setzte sich an der Seite von Luis Trenker für den Natur- und Umweltschutz ein.

    Ein Fürsprecher der Grünen – Anfang der 1980er Jahre – war er trotzdem nicht ...

    Die Grünen sind seinerzeit vor allem aus der Friedens- und Anti-Atomkraft-Bewegung heraus entstanden, der Umweltgedanke war zu Felderers Lebzeiten aber – nicht nur – in Südtirol noch ein zartes Pflänzchen. Nichtsdestotrotz: Liest man sich heute seine tourismuskritischen Texte, in denen er einen nachhaltigen Tourismus und einen respektvollen Umgang mit der Natur und Umwelt fordert, durch, so erscheinen diese von erstaunlicher Aktualität. Karl Felderer war als konservativer Natur- und Umweltschützer sicherlich ein grüner Pionier, allerdings war er vor allem darauf bedacht, das Rad der Zeit möglichst anzuhalten bzw. zurückzudrehen; einem progressiven, pluralistischen, interethnischen Südtirol, so wie es Alexander Langer damals propagierte, konnte er nicht viel abgewinnen.
     

    Felderer war davon überzeugt, dass die Option für Deutschland und die Auswanderung ins Reich die einzige Möglichkeit gewesen seien, die „volkliche Identität“ der Südtiroler:innen zu retten. 

  • Hinteres Eis: Karl Felderer im Oetztal Foto: Karl Felderer
  • Seine Begeisterung für den Nationalsozialismus ist unbestritten, wie hat er selbst sein Zutun auf- oder abgearbeitet?

    Karl Felderer hat sich zeitlebens gegen den Vorwurf verwahrt, ein Nazi gewesen zu sein. Das hängt natürlich ganz von der Definition des Begriffs „Nazi“ ab. Für meine Begriffe war Felderer jedenfalls kein ideologischer Rassist oder ein überzeugter Antisemit, schaut man sich jedoch seine Texte wie beispielsweise das Gedicht „März 1938“ an, in dem er den „Anschluss“ Österreichs an das Dritte Reich verklärt, oder sein Optantengedicht, mit dem er die „Treue zu Deutschland“ beschwört, so sprechen diese eine eindeutige Sprache. Felderer war davon überzeugt, dass die Option für Deutschland und die Auswanderung ins Reich die einzige Möglichkeit gewesen seien, die „volkliche Identität“ der Südtiroler:innen zu retten. Diese eindimensionale Sicht auf die Vergangenheit stellte nach 1945 das hegemoniale Geschichtsbild dar; im „Kampf gegen Rom“ galt es, die Reihen zu schließen und „lei net rogeln“, so Silvius Magnago. Als Claus Gatterer und später Leopold Steurer sich anschickten, eine Bresche in die einförmige Erinnerungslandschaft zu schlagen, indem sie die kollektive Opferthese hinterfragten und die Mitverantwortung vieler Südtiroler:innen im Rahmen der Option und NS-Zeit offen kritisierten, fühlten sich Felderer und viele seiner Gesinnungsgenossen zu Unrecht an den Pranger gestellt. So forderte Karl Felderer Anfang der 1980er Jahre in einem Leserbrief, man solle am Brenner das Gatter schließen, damit der Gatterer nicht mehr hineinkomme; und auch Leopold Steurer ließ er über die „Dolomiten“ ausrichten, dass er zu seinen Worten im Optionsgedicht auch heute noch stehe und er seine deutschnationale Gesinnung nie verleugnen werde. Selbst wenn Felderer 1985 in einem Interview über Kanonikus Gamper, seinem ärgsten Widersacher zur Zeit der Option, einmal meinte, man solle damit aufhören, in diesem Dreckhaufen zu wühlen, nahm er sich, seinem Naturell entsprechend, in der hitzigen Kontroverse über die Vergangenheit dennoch kein Blatt vor den Mund und bezog offen für seine Position Stellung.
     

    Das Lied hat sich zwar im Laufe der Zeit zu einem der bekanntesten deutschen Volkslieder entwickelt, soweit mir bekannt ist, wurde es allerdings in keine weitere Sprache übersetzt. 

  • Karl Felderer. Eine Gratwanderung: Alex Lamprecht, Manuel Maringgele u. Ivan Stecher, hrsg. v. Alpenverein Südtirol / Der Verlag "Menschen Bilder" wurde vom Vinschger Historiker und Filmemacher Hansjörg Stecher gegründet. Der Schwerpunkt des Verlages liegt auf regionaler Zeitgeschichte mit einem biografischen Zuschnitt. Der Name des Verlages ist also Programm. Es geht um Menschen, deren bewegte Geschichte(n) in bunten Bildern und Formen erzählt werden sollen. Die Biografie über Karl Felderer ist die erste Publikation des Verlages. Das Buch ist im lokalen Buchhandel und online unter www.menschenbilder.at erhältlich. Eine Präsentation gibt es am heutigen 21. März ab 18 Uhr im historischen Saal des Alten Rathauses (Lauben Nr. 30, Bozen) Foto: Menschenbilder media

    Im Geleitschreiben zu einem Buch von Willy Acherer hat man den Eindruck, es gibt noch alte Rechnungen, die offen sind...

    Nachdem die beiden Dableiber Walther Amonn (1982) und Friedl Volgger (1984) mit ihren populären Memoiren ihre Geschichte Südtirols niedergeschrieben hatten, begrüßte Karl Felderer das „Jugendbekenntnis“ (1986) seines langjährigen Freundes Acherer mit entsprechender Genugtuung. Felderer verlieh dem Buch dabei nicht nur den Titel „… Mit seinem schweren Leid“, sondern erteilte ihm mit seinem Vorwort gewissermaßen auch seine Approbation. Im Geleitwort lobt Felderer Acherer dafür, dass er „dem seit 45 Jahren im ganzen Land herumspukenden Gespenst ‚Option‘ furchtlos und offen“ entgegentrete. „Bahn frei diesem Buch, der Wahrheit eine Gasse“, schreibt Felderer weiter. Mit der Autobiografie sollte wohl ein letzter, radikaler Versuch gestartet werden, die Deutungshoheit über die Optionsgeschichte nicht kampflos aufzugeben. Acherer hatte aber die Zeichen der Zeit völlig verkannt. Während Karl Felderer nach 1945 zumindest ansatzweise versuchte, sich von Hitler und dem NS-Regime zu distanzieren, blieb Willy Acherer bis zu seinem Tod ein Verblendeter. So verwundert es nicht, dass einem auch beim Aufschlagen von Felderers „Vermächtnis“ (1990), das Acherer eineinhalb Jahre nach dem Ableben des Heimatdichters seinem Freund widmete, dieser braune Moder entgegenschlägt. 

    Und heute? Wäre Felderer ein Unterstützer von "Fridays for Future"? Wie würde er die Bewegung "Omas gegen Rechts" beurteilen?

    Ich kann mir nur schwer vorstellen, dass sich Felderer aus Protest gegen den Klimawandel auf den Asphalt geklebt hätte. Klimakleber wäre Karl Felderer also wohl keiner gewesen, aber als überzeugter Natur- und Umweltschützer der ersten Stunde ist es gut möglich, dass er die Ziele und Ideale der Klimaaktivist:innen von Fridays for Future unterstützt und mitgetragen hätte. Im Gegensatz dazu dürfte Felderer wohl kein allzu großer Freund der Omas gegen Rechts gewesen sein: Nicht nur, dass er in einem patriarchalen Weltbild verhaftet war, vor allem aber hätte der Grundsatz der Toleranz und der Kampf gegen den Rechtsextremismus, denen sich die Bürgerinitiative verschrieben hat, Felderers deutschnationalem Denken und Sein widersprochen.

  • Die Marmolata: Wie sieht sie heute aus? Foto: Karl Felderer
  • Wann ist Karl Felderer der Text zu seinem Südtiroler Hit, dem Bozner Bergsteigerlied "Wohl ist die Welt so groß und weit.."  zugefallen? Gibt es Übersetzungen des Liedes in andere Landesprachen? Oder ist und bleibt es ein rein deutsches Lied?

    Wie aus zahlreichen Interviews über das Südtiroler Heimatlied hervorgeht, wusste Karl Felderer im Nachhinein selbst nicht mehr genau, in welchem Jahr er den Hit geschrieben hat. Erst mit der Enthüllung der Felderer-Gedenktafel am Ritten wurde das Entstehungsjahr endgültig auf 1926 datiert und damit in bronzene Lettern gegossen. Interessanterweise erwähnt Felderer in keinem der Interviews den Faschismus als möglichen Impuls für die Entstehung des Liedes, diese ideologische Klammer wurde dem Lied erst später aufoktroyiert; vielmehr betont er die Schönheit des Moments, in welchem ihm die ersten Worte des Heimatliedes nach einer Wanderung am Ritten zugeflogen seien. Das Lied hat sich zwar im Laufe der Zeit zu einem der bekanntesten deutschen Volkslieder entwickelt, soweit mir bekannt ist, wurde es allerdings in keine weitere Sprache übersetzt. Eine von Felderer überlieferte Anekdote zeigt jedoch, wie sehr das Bozner Bergsteigerlied als „deutsches“ Lied wundersame Verbreitung fand: Als nämlich ein deutscher Bundespräsident im Rahmen einer Auslandsreise auf einem Flughafen in Afrika landete, wurde er von einem afrikanischen Chor mit dem Südtiroler Heimatlied empfangen, im Glauben, dies sei die deutsche Nationalhymne. Da dürfte selbst der gute alte Felderer nicht schlecht gestaunt haben, als ihm dies zu Ohren kam.

  • Hansjörg Stecher, Jahrgang 1980, wuchs im oberen Vinschgau auf. Er studierte Geschichte in Wien mit Schwerpunkt Zeitgeschichte. Nach dem Studium arbeitete er auf projektbezogener Basis im Archiv- und Filmbereich. 2018 feierte sein Dokumentarfilm „Das versunkene Dorf“ (gemeinsam mit Georg Lembergh) über Graun Premiere. Der Geschäftsführer des 2017 im Bereich Dokumentarfilm gegründeten und im Sommer 2020 zum Buchverlag erweiterten Medienunternehmens Menschenbilder media lebt seit 2008 in Innsbruck. Im Zentrum seines Interesses stehen erlebte und erzählte Lebensgeschichten, die das Große im Kleinen spiegeln. Diese Geschichte(n) in Texten und (bewegten) Bildern festzuhalten und sie weiterzuerzählen, damit sie nicht vergessen werden, ist ihm Auftrag und Inspiration.