Culture | Salto Afternoon
Tag des noch nicht Buches
Foto: Privat
Tag des Buches ist der 23. März, Georgstag, auf eine Katalanische Tradition Bezug nehmend, nach welcher an diesem Tag Bücher und Blumen verschenkt werden. Die Gärtnereien der Stadt sind zwar noch nicht in die Brixner Tage des Buches (plural, man feiert noch bis Sonntag) mit eingebunden, aber dennoch sprießen an vielen Stellen die Begegnungsmöglichkeiten mit Literatur aus dem Boden. Am Domplatz etwa, wo sich die Kurzzitate Südtiroler Autor:innen und Poet:innen der Posteraktion der SAAV zum Welttag der Poesie im ZeLT-Zelt gebündelt finden. Dort findet heute, für alle Kurzentschlossenen aus Brixen und Umgebung, um 16 Uhr die dritte und letzte „Pop up Happening im Poesiæzelt“, in welchem die Clownin Karamela auf die 19 Plakate reagiert, nachdem dies zuerst die Tänzerinnen Sabrina Fraternali, Carla Petzolt und Miriam Taschler, sowie gestern ein konzertierender Jörg Zemmler getan hat.
Einen Besuch ist die Buchhandlung A. Weger wert, wo es derzeit neben Dauergast „Klarissa“ sieben Schaukästen mit exemplarischen Stücken der Verlagsgeschichte bis ins 18 Jahrhundert, sowie Tafeln welche, neben Familiengeschichte auch die Geschichte erzählen, wie die Druckerpresse Klarissa vom Gardasee nach Brixen und schließlich auch bei einer Restauration 1993 zu ihrem Namen kam.
Besonders lohnend war gestern Abend im alten Schlachthof jedoch das, was noch nicht in Druck ging: „Manöver Sehnsucht“ sah Greta Maria Pichler aus ihrem prämierten Zyklus „Salzwasser“ lesen, während Matthias Vieider in sein, ebenfalls unveröffentlichtes Romanmanuskript „Die guten Tage von Pistazien“ blicken ließ. Vor-, Nach- und Zwischenspiele zupfte, schrubbte und klopfte Marco Stagni am Kontrabass.
Den Anfang der Lesungen machte Pichler mit ihren nach der Beaufort-Skala - zur Messung von Windstärke - klassifizierten Prosagedichten, die sich - im fluiden Medium mit Übergängen beschäftigend, mit der Skala von 0 bis 12 ohne Zwischenstufen kontrastiert. Gerade die Beobachtungen zu in der Hafenbucht lebenden Junghaien, die jeden Tag ein Stück weiter aufs Meer ziehen. Sie las eindrücklich und schaffte sich selbst ein aufmerksames Feld von Zuhörenden, welches den Barbetrieb zum Schweigen brachte. Der letzte Text im ersten Leseblock leitete unmittelbar zu Vieiders Texten über, aus das „Warten auf den Abflug der Vögel“ taten sich allerlei glückliche Schnittmengen zwischen den beiden Lesebeiträgen auf.
„Die guten Tage von Pistazien“ ist, wie man das von Vieiders Auftritten schon kennt, ein Werk des Absurden und Humorigen. Dieser Humor hat viel mit Timing zu tun und dieses mit seiner Kapitelstruktur. Da sich diese besser zeigen als erklären lässt, haben wir vom Autor exklusiv das Recht erhalten, ein ganzes Kapitel hier abzudrucken. Hier folgt es:
Kapitel 19: Beim Gehen
Beim Gehen konnte ich meist gut denken.
Auch jetzt hatte ich Gedanken.
Ich dachte an mein bisheriges Leben.
Summa summarum, dachte ich, kann ich ganz zufrieden sein.
Auch jetzt hatte ich Gedanken.
Ich dachte an mein bisheriges Leben.
Summa summarum, dachte ich, kann ich ganz zufrieden sein.
Viele der Dinge, die ich erleben wollte, habe ich schon erlebt.
Zum Beispiel den Geysir im Norden.
Die Blitzlichter von La Spezia.
Die große Liebe und die Karawanen.
Die große Liebe und die Karawanen.
Rhabarber.
Wie Sie sehen können, ein recht kurzes Kapitel, jedoch bei weitem nicht das kürzeste. Vieider spielt mit Redundanzen, inhaltsgleicher Gedankenstimme, Dialogen und Erzählstimme. In der Schnittmenge beider Lesenden finden sich in besonderer Weise Winde, der Aufbruch einer rigiden Struktur und Pistazien sind wohl auch salzig. Ist bei Pichler jedoch die Sprache karg um aufs Wesentliche reduziert zu sein, so ist sie bei Vieider knapp um das Absurde, wie einen Himmel voller Möwen oder Oboen hervor zu streichen.
Ist es bei Pichler eine Gegenwart des Windes die bestimmend ist, so ist es bei Vieider der Gedanke und die Träume von Winden: „Ich hatte schon länger keinen Wind mehr gesehen.“ Dabei gibt gerade der Wind dem Text eine antagonistische Kraft, einen Gegenspieler der sich nicht sehen oder greifen lässt. Es ist die Vermutung zulässig, dass selbst Vieider, dessen Werk mit seinen kurzen Kapiteln so wirkt, als wäre es ein ständig unterbrochener Bewusstseinsstrom, noch nicht weiß, was diese Winde sind.
Was die Werke grundlegend von einander unterscheidet, ist die Dimension der Zeit: Greta Marias Texte sind in gewisser Weise zeitlos, während Matthias Vieiders Texte in ihrer eigenen Zeit voranticken wie ein Uhrwerk. Im zweiten Teil wurde Vieiders Erzählung strukturierter, fand zu einer greifbareren Form - wenngleich die Unmöglichkeit einer Inhaltsangabe den Autor selbst nicht wundern dürfte - und unter Pichlers Texte mischte sich einer mit "Beaufort egal", sowie eine Liste. Gegen Ende schien sich sogar ein Gedicht auf das Editieren von Gedichten zu beziehen, so dass unsere Wette darauf ginge, dass man sich Greta Maria Pichlers Buch vor Matthias Vieiders ins Regal stellen können wird. Was hier eher zufällig zusammenkam, passte bestens zusammen, auch durch die einfühlsamen, Eingriffe Stagnis. Der Abend sollte Wiederholung finden.
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