Draghi Rücktritt
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Politics | Rücktritt

Draghis fataler Rücktritt

Die Vertrauensdebatte im Senat war von peinlichen Auftritten und der Forderung nach Neuwahlen geprägt.

Was sich am gestrigen Mittwoch im römischen Senat abspielte, war italienisches Polittheater in Reinkultur, das der Corriere della Sera treffend so schildert: "Urla, tradimenti e accuse. La corrida folle dell´aula." Der Regierungschef legte in seiner Rede detailliert die zentralen Probleme und die Misstände der italienischen Politik offen und hielt den Politikern der Halbinsel schonungslos den Spiegel vor: Stimmenfang, Intrigen und politische Propaganda seien allemal wichtiger als seriöse Arbeit.

Draghis Abgang bedeutet für Italien einen grossen Verlust im ungünstigsten Moment.

Draghis Abgang bedeutet für Italien einen grossen Verlust im ungünstigsten Moment. Denn mit ihm hatte das politisch notorisch instabile Land zweifellos an internationalem Ansehen gewonnen. Die Diskussion im Senat war vom üblichen Polit-Theater geprägt. So stellte etwa die Lega den Premier als Geisel des Partito Democratico und der Fünf-Sterne-Bewegung dar. Das bereits gewohnte Parteiengezänk mit den üblichen Schuldzuweisungen stand einmal mehr im Vordergrund. Lega und Forza Italia erkärten zunächst, an einer weiteren Regierungsbeteiligung interessiert zu sein, stellten aber gleichzeitig Bedingungen, die eine Einigung de facto unmöglich machen. Italiens Zeitungen gingen am Donnerstag mit dem Rechtsbündnis hart ins Gericht. Das Tagblatt La Stampa rückte in Riesenlettern das Wort VERGOGNA auf die Titelseite. Italiens EU-Kommissar Paolo Gentiloni sprach von einer tempesta perfetta. 

 

 

An hysterischen Auftritten fehlte es in der Vertrauensdebatte nicht. Der (Noch)-Vorsitzende der bröckenden Fünf-Sterne-Bewegung, Giuseppe Conte, stellte Draghi als "Premier sprezzante" dar. Die Lega, die bei den jüngsten Gemeindewahlen eine deutliche Niederlage erlitten hat, profilierte sich mit der Forderung nach sofortigen Neuwahlen - eine Lösung, die zwei von drei Italienern ablehnen. Als mögliche Wahltermine gelten der 25. September oder der 2. Oktober. Auch im Rechtsbündnis hinterliess die Diskussion und die Forderung nach Draghis Rücktritt deutliche Spuren. So kündigte Regionenministerin Mariastella Gelmini ihren Austritt aus Forza Italia an: "Non riconosco più il partito. Si è disciolto nel populismo." Die Berlusconi-Getreue Licia Ronzulli: "Vai a piangere altrove e prenditi uno Xamax." Wenig später kehrte auch der Minister für öffentliche Verwaltung, Renato Brunetta, Forza Italia den Rücken: "Si sono appiattiti sul peggior populismo sovranista, il partito ha rinnegato la Sau storia." Treffender Titel des Stampa-Leitartikels: "I partiti giocano, il paese affonda."

 

 

Die internationale Presse widmet dem Rücktritt des Regierungschefs heute breiten Raum. Die Süddeutsche Zeitung: "Der parteilose Premier Draghi steht vor dem Aus - es wäre ein kolossaler Verlust für Italien. Das Land droht in der Ungewissheit zu versinken." Kommentar der Frankfurter Allgemeinen Zeitung: "Es ist eine hausgemachte Krise in einer Zeit der Krisen auf einem Kontinent der Krisen. Draghi sollte Italien nach der Pandemie eigentlich in ruhigeres Fahrwasser steuern und die wirtschaftlichen Reformen vornehmen, die das Land so dringend braucht, um dauerhaft aus dem Teufelskreis von geringem Wachstum und hoher Staatsverschuldung auszubrechen". Heute beginnt Staatspräsident Mattarella mit den Beratungen zur Beilegung der Regierungskrise. Die wichtigste Frage, die nach Draghis Rücktritt offen bleibt:  wer wird sich mit demselben Nachdruck um die Verwirklichung des von ihm initiierten, milliardenschweren piano di rilancio e resilienza PRR kümmern, von dem bisher weniger als 20 Prozent verwirklicht wurden ?