Godard auf LSD
Man braucht sich nichts vormachen. Jean-Luc Godard ist der Gott des französischen Kinos. Seit seinem bahnbrechenden, rebellischen Debüt „Außer Atem“ (1960) revolutionierte er die Art und Weise, wie Filme rund um den Erdball gemacht werden. Er brach Regeln und Konventionen und stellte seine eigene, künstlerische Vision in den Vordergrund. Die Auteur-Theorie war geboren. Natürlich war Godard damit nicht alleine. Zeitgenoss*innen wie François Truffaut, Jaques Rivette oder Agnés Varda halfen kräftig mit, die „Nouvelle Vague“ auf den Kurs zu bringen, der sie weltberühmt machte. Der Einfluss der Franzosen in den 60er Jahren ist nicht zu unterschätzen. Das klassische Hollywood mit seinem Studiosystem war auf dem absteigenden Ast und erst durch den Erfolg der oft amateurhaft wirkenden Filme aus Frankreich wurden Bewegungen wie das New Hollywood, ausgehend von Dennis Hoppers und Peter Fondas „Easy Rider“ (1969), in den USA möglich.
Für „Le livre d´image“ braucht der geneigte Zuschauer etwas mehr Sitzfleisch als für gewöhnliche Filme.
Kurz gesagt: Wir haben Jean-Luc Godard und seinen Zeitgenossen viel zu verdanken. Sein eigener, persönlicher Erfolg nahm nach jener Dekade zwar ab, sein Ruf und der Legendenstatus, den er vor allem in Frankreich innehat, ist jedoch bis heute ungebrochen. Deutlich wurde das abermals bei den letztjährigen Filmfestspielen von Cannes, als Godard seinen Experimentalfilm „Le livre d´image“ (2018) präsentierte und dafür einen eigens für ihn kreierten Spezialpreis erhielt. Ob tatsächlich für den Film oder einfach als Anerkennung für seine Leistungen im Kino? Es wissen nur die Verantwortlichen des Festivals. Fest steht: Das Spätwerk Godards kann nicht an seine Anfänge anknüpfen, liefert aber regelmäßig interessante essayistische Einblicke in die Historie und die damit verbundene Macht des Kinos. Die konventionelle Erzählung hat Godard dafür schon lange aus dem Fenster geworfen. Wer bei „Le livre d´image“ eine Geschichte erwartet, wird bitter enttäuscht. Vermutlich sollte man sich irgendwelche Pillen einschmeißen, um das Spektakel voll und ganz genießen zu können. Denn Godard collagiert hier in erster Linie. Er verbindet Bild und Ton, zeigt Szenen aus der gesamten Filmgeschichte und stellt sie aktuellen Schnipseln aus dem Fernsehen, den Nachrichten, der aktuellen Welt gegenüber. Von den Filmen der Gebrüder Lumiére bis hin zu Exekution-Videos des Islamischen Staates ist alles dabei. Dazu hört man immer wieder, in großen Abständen jedoch, Godards raunende, vom Alter (88!) gezeichnete Stimme. Er springt wild hin und her, gibt Statements ab und schert sich zu keiner Sekunde um Kontinuität. So gleichen die knapp 90 Minuten einem Trip. Das wird dadurch verstärkt, dass Godard es nicht beim bloßen Zusammenschneiden verschiedener Szenen belässt, sondern das Material künstlich verändert. Farben werden übersättigt und strahlen in harten, bunten Kontrasten, Bilder werden entfernt und so stockende Bewegungen erzeugt, der Ton ist oft verzerrt oder verfälscht. Waren all die Filme, die wir so oft gesehen haben, eine Lüge? Können wir unserer eigenen Wahrnehmung vertrauen?
Man kann ruhig zugeben: Für „Le livre d´image“ braucht der geneigte Zuschauer etwas mehr Sitzfleisch als für gewöhnliche Filme. Wer sich darauf einlässt, wird mit einem Rausch belohnt. Ob der Film die richtige Wahl für das Transart-Publikum ist, darf angezweifelt werden. Interessant wäre zu erfahren, was Godard davon halten würde. Er entzieht sich schließlich seit jeher der Einvernehmung jeglicher Gruppen. Soviel dazu.
Abschließend, knapp und auf das Wesentliche reduziert, also ganz im Sinne von Godard:
GODARD.FILM.LELIVRED´IMAGE.BILD.TON.?KAMERA?.SCHNITT.
KINO.REVOLUTION.GODARD.