Society | Mountain Summit 2013

„Wenn ich fliege, träume ich..."

Er hat Höhenangst und gleitet mit 250 km/h durch die Lüfte. Er stürzt sich aus Flugzeugen, von Bergen und macht Yoga um seine Atmung zu fokussieren. „Es braucht viel Training, viel Disziplin“, sagt Alexander Polli, der Italo-Norweger. Leidenschaft und Liebe sowieso. Polli ist 27 Jahre alt, und hat sich einen Traum erfüllt. Den Traum vom Fliegen.
  • Gerade gesprungen?

(lacht) Ich komm gerade aus Arco am Gardasee zurück, wo ich mit einem Vater und seinem Sohn einen Sprung gemacht habe. Es war sensationell.

Ein Leben lang hab ich mich auf diesen Sprung vorbereitet, das ist höchste Präzisionsarbeit. Drei, bis vier Sprünge täglich gehören zu meinem Trainingsprogramm. Das hab ich über zwei Jahre lang gemacht. Ich hab den Berg studiert, ihn visualisiert, es ist Nichts dem Zufall überlassen.

  • Ein Ausnahmeflug also?

Absolut. Das Tauchen kam mir hier sehr zugute. Ich hab über 2.000 Tauchgänge gemacht bislang in meinem Leben. Wenn ich nach links schwimmen will, muss ich meinen Arm so bewegen, dass ich nach links schwimme. Es geht um subtile Bewegungen. Diese Sicherheit ist mir zuinnerst, in der Luft hab ich mich sofort zu Hause gefühlt. Beim Springen kommt alles zusammen: Geist, Seele, Körper.

  • Tauchen allein reicht wohl nicht, um solche Sprünge zu machen?

Mit 21 Jahren hab ich meinen ersten Sprung gemacht. 1.500 Sprünge aus dem Flugzeug - zunächst. Konstant, in zwei Jahren. Ich war sehr konzentriert. Das ist die Basis, du musst mit Fallschirmspringen aus dem Flugzeug anfangen. Dann erst kommen die Sprünge vom Berg. Es geht um absolute Sicherheit. Dieser Sport hat keine "via di mezzo". Du musst alles geben.

  • Die Sprünge schauen wahnsinnig gefährlich aus. Sie fliegen mit 250 km/h durch die Luft, nach zwei Minuten ist alles geschehen. Und das ist sicher, was Sie da machen?

Ich liebe mein Leben und ich würde nie irgendwo runter springen, wenn ich nicht wüsste, dass es absolut sicher ist. Viele wollen heute nach 200 Sprüngen aus dem Flugzeug mit Basejump anfangen. Ich kann nur sagen, das funktioniert nicht. Du brauchst Erfahrung. Wenn Du nicht Radfahren kannst, dann nimmst du auch nicht ein Kawasaki und rast über die Autobahn. Das funktioniert nicht, und so ist es auch bei den Sprüngen.

  • Beim Sprung durch die Höhle gab es keinerlei Bedenken, dass Sie scheitern könnten?

Ich war 100 prozentig sicher, dass ich es schaffe. Keine Zweifel, sonst hätte ich es nie gemacht. Noch mal das Beispiel vom Radfahren. Wenn ich auf einer Linie entlangfahren muss, dann muss ich das üben. Das tu ich und dann weiß ich auch, dass ich es kann. Es gibt Momente, da würd ich niemals springen. Wir waren in diesem Jahr zehn Tage in den Dolomiten, und ich hab keinen einzigen Sprung gemacht. Alle meine Kumpels sind gesprungen, aber mein Gefühl hat gesagt "Nein, jetzt nicht." Man muss auf sich hören, sehr.

Wenn Du nicht Radfahren kannst, dann nimmst du auch nicht ein Kawasaki 1.200 und rast über die Autobahn. Das funktioniert nicht, und so ist es auch bei den Sprüngen.

  • Welche Variablen gibt es, die Sie von Ihrer Linie abhalten könnten?

Ein Vogel. Und nur das. Sonst kann nichts passieren. Wie beim Bergsteiger, die Lawine, der Steinschlag die unsicheren Variablen sind. So ist es bei mir der Vogel.

  • Sie sagen bergsteigen, klettern sei gefährlicher als das, was Sie tun?

Für mich ja, das sind total Verrückte. Da ist ja wirklich gar nichts unter Kontrolle, beim Klettern. Das läuft beim Jump alles sehr kontrolliert ab.

  • Das Jumpen und auch das Wingsuiten wird noch von sehr wenigen Menschen praktiziert. Extremsportarten, die kritisiert werden.

Natürlich, vor allem das "Wingsuit" ist eine sehr junge Sportart.  Vor zehn Jahren etwa wurden diese Sprünge erstmals gemacht, mit guten Fluganzügen. Die Menschen kennen die Sportart noch kaum, das Bergsteigen hingegen hat Tradition, die Menschen haben sich an die Bilder gewöhnt vom Klettern. Wenn die Leute unsere Flüge beobachten sind sie erstmal einfach fasziniert, ungläubig – und ja es kommt natürlich auch Kritik. Aber ich mach das ja nicht für jemanden, ich flieg nicht, um zu beeindrucken.

Wir waren in diesem Jahr zehn Tage in den Dolomiten, und ich hab keinen einzigen Sprung gemacht. Alle meine Kumpels sind gesprungen, aber mein Gefühl hat gesagt "Nein, jetzt nicht." Man muss auf sich hören, sehr.

  • Etwas, was man fast nicht glauben kann. Sie haben Höhenangst?

Ja, leider. Und ich krieg sie selbst mit dem Fliegen nicht in den Griff. Wenn ich von einem Gebäude runter schau, dann kommt die Angst. Auch beim Klettern....Dann muss ich mich erinnern zu atmen. Da hilft mir mein Yoga sehr, das ich jeden Tag praktiziere.

  • Alexander Polli ist also kein Held?

Ich bin ein ganz normaler Mann, ich hatte sehr großes Glück in meinem Leben. Mein Vater, der Taucher ist, hat mir mit sechs Jahren schon eine riesige Tauchpistole in die Hand gedrückt und gesagt: "Erschieß den Fisch da drüben." Der Fisch war größer als ich. Und die Pistole auch. Ich hatte sehr große Angst, aber ich hab sie überwunden. Ich hab mir gedacht, ich schaffe es, ich schaffe  es. Und ja....ich hab immer noch Angst. Zum Beispiel, hab ich Angst, ein hübsches Mädchen anzusprechen. Ich bin ganz normal, ja und ich hab auch Angst. Aber meine Eltern waren wunderbar, sie haben mich immer unterstützt.

Mein Vater, der Taucher ist, hat mir mit sechs Jahren schon eine riesige Tauchpistole in die Hand gedrückt und gesagt: Erschieß den Fisch da drüben. Der Fisch war größer als ich. Und die Pistole auch. Ich hatte sehr große Angst, aber ich hab sie überwunden.

  • Es geht darum, die Angst zu überwinden?

Natürlich, und darauf bin ich sehr stolz. Und wenn Menschen sich durch mein Fliegen berühren lassen, dann denk ich mir: „Wow, ich hab wirklich etwas bewirkt." Es ist eine Passion für mich, eine Leidenschaft. Das Fliegen. Es ist ein Traum, mit offenen Augen.

  • Wie fühlt sich Ihr Körper an, beim Sprung?

Es ist Spannung da, aber keine totale Anspannung. Ich muss trotz allem mental locker bleiben, flexibel. Meine Arme gehen etwas nach hinten, und dann atmen, das ist ganz wichtig. Wenn ich fliegen, dann denke ich, ich kann atmen.

  • Und dann die Landung?

Ich denke, jeder Mensch hat sich schon mal gedacht „wenn ich nur fliegen könnte.“ Und dieser Traum ist für mich Wirklichkeit geworden. Für mich muss fliegen sauber sein, ich will saubere Linien machen. Wie beim Schifahren, das gefällt mir. Wenn ich unten stehe, am Boden, dann ist das einfach nur unglaublich. Ich schau zurück und (lacht)... kann es fast nicht glauben.

  • Was ist fliegen für Dich?

Fliegen ist Kunst für mich, ich würde niemals einen Stunt machen. Ich bin auf der Suche nach Sponsoren, um weiter meinen Traum zu leben. Ich mach das Fliegen nicht für jemanden oder um jemanden zu beeindrucken, es ist tief in mir. Fliegen ist eine Art zu Leben, es ist Philosophie für mich.