Politics | Alpinismus

Alpinjournalismus am Ende ?

Worüber schreiben Journalisten, seit Eiger-Nordwand und Nanga Parbat kein Thema mehr sind? Diese Frage beschäftigte prominente Bergsteiger und Journalisten in Bozen.

Über Jahrzehnte lieferte der spannende Wettlauf um die höchsten Gipfel und schwierigsten Wände den Journalisten üppigen Erzählstoff.  Was nun, wo alle Achttausender längst erstiegen und Extrembergsteigern attraktive Ziele fehlen? Wo Climber ihre Künste in Hallen oder künstlichen Routen messen? Ist der Alpinjournalismus nun am Ende? Wieviel Öffentlichkeit braucht oder verträgt das Bergsteigen überhaupt noch? Ist die Veröffentlichung alpinistischer Taten eine Befreiung vom Provinziellen oder oberflächlicher Starkult? Welche Zwänge bewegen Alpinisten dazu, ihre Unternehmen zu publizieren? Und welche Rolle spielen Sponsoren und Geldgeber?

Diesen Fragen ging im Rahmen des International Mountain Summit eine Runde prominenter Bergsteiger aus aller Welt nach. Gesprächspartner waren im Alpinmuseum in Sigmundskron auch zwei Dutzend Journalisten. Gastgeber Reinhold Messner sorgte wie gewohnt für Zündstoff. Es gebe keine qualifizierten Journalisten mehr, die in der Lage seien, über Alpinismus zu berichten. Beweis dafür sei die "skandalöse" Spiegel-Reportage über die jüngste Doppelexpedition auf Cho Oyu und Shisma Pangma, bei der neben dem Deutschen Sebastian Haag auch der in Bozen lebende Andrea Zambaldi unter einer Lawine begraben wurden. Der Spiegel hatte diese "Double 8"-Expedition als Weltrekordversuch verkauft und mit live-Reportagen begleitet.       

Zum Thema Sponsoren, Selbstdarstellung und Öffentlichkeit gerieten sich Alpinisten und Journalisten auch untereinander in die Haare - freilich ohne große Vehemenz. Dass sich der französische Fassadenkletterer Alain Robert und Reinhold Messner von unterschiedlichen Visionen leiten lassen, war ohnedies kein Geheimnis.

 


Hanspeter Eisendle war tags zuvor auf dem International Mountain Summit der Paul Preuss-Preis verliehen worden - eine Auszeichnung, an Bergsteiger, die im Laufe ihrer Entwicklung die Preuss´sche Grundregel "das Können ist des Dürfens Maß" erkannt, befolgt, auf technische Hilfsmittel weitgehend verzichtet und sich damit dem freien Klettern im Sinne von Paul Preuss verschrieben haben. Der Sterzinger Extremkletterer versuchte, die Diskussion durch ein Impulsreferat zu stimulieren, das die Geschichte des alpinen Journalismus nachzeichnete - von den 30er Jahren bis heute:
 

Alpinismus als nationale Propaganda 

Die Grundidee des International Mountain Summit stammt aus einer quasi vormedialen Zeit. In den 1930er Jahren trafen sich die Bergsteiger im Spätherbst in den Dolomiten zum Abklettern. In geselliger Runde berichtete man über neue Routen, bildete neue Seilschaften und diskutierte über effizientere Sicherungsmethoden, alles ohne Öffentlichkeit. Die Vorteile liegen auf der Hand: Die Informationen waren erstklassig, der Austausch fachmännisch und Prahlereien wurden mit  freundschaftlichem Lächeln sofort entpuppt. Nachteil war, dass der Kreis eng war und somit provinziell blieb. Die Akteure waren entweder arbeitslos oder schwer arbeitende Amateure mit wenig Aussicht auf Veränderung.

 

" Mein Taschentuch ist meine Fahne"

Seit dieser Zeit hat sich vieles verändert. Das zunächst elitäre Spiel leidenschaftlicher Spinner wurde spätestens 1938 am Eiger medial zur deutschen Sache, während der Walkerpfeiler an den Grandes Jorasses deutlich weniger propagandistisch italienisch wurde. Die Franzosen mussten auf der internationalen Medienbühne bis zur Annapurna warten. Und spätestens als Hermann Buhl mit seinem Gipfel-Alleingang am Nanga Parbat den nationalen Erfolg zum individuellen machte und dabei Ovomaltine im Basislager trank, traten neben Staatsapparat und Medien auch Sponsoren für starke Charakterköpfe auf den Plan. Als Reinhold Messner in den 1960er Jahren allein durch die Droite stieg, war er in der Szene und medial weniger Italiener oder Österreicher, nicht einmal Südtiroler, sondern einfach Reinhold Messner. Denn seine Fahne war sein Taschentuch!

Reinholf Messner als Zugpferd

In den darauf folgenden Jahren wurde er international das absolut stärkste mediale Zugpferd. Er schuf nicht nur für sich, sondern für seine und für nachfolgende Bergsteigergenerationen ein breites Interesse und Auftrittsmöglichkeiten mit würdigen Gagen. Das menschenfremd heroische, moralisierend verlogene Bergsteigen hatte vorerst ausgedient und wurde durch eine private und menschliche Dimension ersetzt. Das ist es nämlich, was Menschen wirklich interessiert. Starke Geschichten und Bilder bewegen uns auch, wenn wir von der Sache selbst nichts oder wenig verstehen. Öffentlichkeit, die sich für solch starke Geschichten und Bilder interessiert, braucht das Bergsteigen. Dadurch vervielfachen sich nämlich die Möglichkeiten von uns Bergführern, von Bergfotografen, von Bergbuchautoren, von Profibergsteigern und von ganzen Tourismus- und Industriezweigen. Das ist ein Wert!

Die Gefahr der Trivialisierung

Parallel dazu haben sich auch die Möglichkeiten Geschichten und Bilder zu kommunizieren, vereinfacht und vervielfacht. Auch das ist zweifelsohne ein Wert, hat aber offensichtlich zu einer enormen Verflachung nicht nur der Berichterstattung, sondern selbst bei den Aktionen am Berg geführt. Produktpräsentationen finden neuerdings am Berg statt und werden zu Abenteuerreisen stilisiert. Speed, Schwierigkeitsgrad und Höhenmeter lassen sich schneller posten, als Ausgesetztheit, Gefahr und Zweifel.  Und wer selbst motivations- oder wetterbedingt in einem Tief sitzt, (t)wittert Ungereimtheiten bei Speed, Schwierigkeitsgraden und Höhenmetern von Kollegen und „Mitbewerbern“. Journalisten und Ghostwriter helfen dabei kräftig mit und drücken ein Auge zu.

Denn auch ihr Job ist dem Speed unterworfen. Da ist es weniger mühsam, der Pressemitteilung eines Herstellers über seinen „Athleten“ zu folgen, als nach starken Typen und Stories im alpinistischen „Underground“ zu suchen oder zumindest zwischen Bergsteigern, die in der Entwicklung und in der Geschichte eine Rolle spielen und den Jägern des medialen Augenblickes zu unterscheiden.

Es steht außer Zweifel, dass öffentliches Interesse am Bergsteigen den Bergsteigern selbst und der Wirtschaft drum herum gut tut. Gleichzeitig ist aber zu befürchten, dass die Wucht und die sinkende Qualität an Informationen, die durch die unendlichen Weiten des Netzes rauschen, auch zur Trivialisierung,  nachlassendem Interesse und zum Verlust der Glaubwürdigkeit führen.  

Ich selbst bin überzeugt davon, dass in allen Sparten des Bergsteigens nur unbequeme und gefährliche Wege jene Erfahrungen zulassen, aus denen die Geschichten entstehen, die auch im urbanen Leben von Interesse sind. Vor allem aber zählen die Anerkennung oder zumindest der Respekt in der Szene selbst. Das erscheint mir am wichtigsten! Diese kann man sich auf keiner Bühne der Welt besser erarbeiten, als in „der Arena der Einsamkeit“, am Berg selbst also, ganz gleich wie viel die Öffentlichkeit davon mitbekommt oder nicht.