Selmas Luba
Nach ihrer letzten Veröffentlichung bei Edition Raetia, Auf der Lebkuchenstraße, Gedichte und Skizzen zur Weihnachtszeit und Erzählungen bei Edition Laurin hat Selma Mahlknecht, eine von Südtirols literarischen Shooting Stars und umtriebige Theaterfrau, nun wieder einen Roman vorgelegt. Nach dem Familiendrama Es ist nichts geschehen (Raetia 2009) und dem vielbeachteten historischen Roman Helena (Raetia 2010) ist es diesmal ein Entwicklungsroman geworden, eine, könnte man sagen, selbstauferlegte Éducation sentimentale in Form eines Tagesprotokolls.
Verfasserin dieser über 14 Tage lang geführten und 382 Buchseiten umfassenden Aufzeichnungen von Körperbefindlichkeiten, philosophischen Betrachtungen über „die Hinfälligkeit alles Seienden“ und mehr oder weniger humorvollen Dialogen und Schlagabtäuschen mit sich selbst und anderen ist die Radiomoderatorin Luba, die eines Tages, es ist ein 13. Juni, entdeckt, dass sie schwanger ist und darüber zunehmend ihre routinierte Contenance verliert.
Luba ist mit ihren dreißig Jahren eine typische Zeitgeist-Exponentin: schlagfertig, launisch, rundum gebildet, weltgewandt, urteilssicher, spitzfindig und überheblich. Man hat sich eingerichtet in der Kulturszene seiner Kleinstadt, kennt die Spielregeln, hat weder materielle noch andere ernsthafte Sorgen und glaubt, durch seine permanenten Rundumschläge gegen die vermeintliche Engstirnigkeit und Biederkeit aller anderen – im Visier hat sie vor allem Eltern, Lehrer, ehemalige Schul- und aktuelle Branchenkolleginnen oder ganz allgemein das große graue Einerlei der Menschheit– selbst davon verschont zu bleiben.
Dass es mit dem Selbstbewusstsein und der Arroganz dieser Luba nicht ganz so kompakt bestellt ist und dass auch diese festgefügte Oberfläche irgendwann, und sei es durch das Erwarten eines Kindes!, Risse bekommt, ist zwar anzunehmen und entspräche durchaus dem gewohnten Verlauf einer Éducation sentimentale – schließlich gibt es auch im Leben dieser überdrehten jungen Frau einen, der ihren eigentlichen guten Kern erkennt und darauf wartet, von ihr erhört zu werden –, wird aber von der Autorin lange nicht eingelöst. Geradezu sadistisch lässt diese ihre Figur in immer wieder unternommenen Anläufen, das „Dilemma des Ewig-Vorläufigen“ ihres Daseins durchleben, scheint sie eine diebische Freude daran zu haben, sie in immer wieder neu kalauernden Redekaskaden den Moment verpassen zu lassen, ihrem Lebensgefährten Horst endlich die frohe Botschaft mitteilen zu dürfen, weigert sich also konsequent, ihrer Protagonistin genügend Schützenhilfe zu bieten, um sie auch nur einen Deut sympathischer zu machen.
Vielleicht aber ist genau das die Stärke und das kunstfertig angelegte Kalkül dieses Buches, dass es seine Hauptfigur wie auch seine Leser lange zappeln und sich selbst nicht in die Karten schauen lässt. Um dann zum Schluss einen Liebes-Showdown vorzulegen, von dessen augenzwinkernden und herzerwärmenden Kraft wir gerührt sind und uns wohlig in unserer Erwartung bestätigt fühlen: „Es ist nicht wichtig, wer wir in der Welt sind. Sondern dass wir in der Welt sind.“ Auch Luba hat ihre Lektion gelernt und darf an der Brust ihres Kindsvaters sich endlich über ihr Glück freuen.