Culture | Salto Afternoon
Die Bühne als Denkmalsockel
Foto: Tommaso Le Pera
Der Abend, etwas weniger als 70 Minuten in Länge, beginnt im Prolog eindrucksvoll: Technisch wunderschön umgesetzt (Visual Designer: Luca Attilii) mit der Bearbeitung von Bachs Musikalischem Opfer Marckewitschs, die dem musikalischen Schwermut des Abends vorweg greift, drastischem Licht (Alessandro Verazzi), das die Orchestermusiker unter der Leitung von Marco Angius aus dem Dunkel holt. Darüber, in der Bildebene, auf einem halbtransparenten Schirm hinter dem spartanischen Bühnenraum eine Projektion aus Wolken (die Klammer des Abends) und dem Konterfei Pasolinis und dazu, vor dem Schirm, ein solitärer Alex Cendron mit einigen der wenigen lyrischen Worten: „Io sono una forza del Passato“, die anderen gehören zu „La mia solitudine“, wieder mit Bach, wieder ein Abbild der gequälten Seele.
Man präsentiert monumentale Worte und eine ebensolche Inszenierung für den (in alphabetischer Reihenfolge, um nicht zu werten) Dichter, Dramatiker, Drehbuchautor, Intellektuellen, Regisseur, Schauspieler, Schriftsteller. Cendron erzeugt, als einziger Schauspieler des Abends mit Sonnenbrille auf der Bühne, die Assoziation zu einem Blinden.
Ein Auszug aus Pasolinis „Accattone“ folgt, dann Orchester, Ives’ „The unanswered Question“ und ein Versuch der Einordnung des Sottoproletariato (zu deutsch wohl Lumpenproletariat, wenn man mit Marx übersetzt) und dessen Beziehungen zur Bourgeoisie, welche den didaktischen Teil des Abends einleiten. Der Textfundus aus welchem die zu einem Chor zusammengetroffenen Schauspieler (weiters auf der Bühne: Marco Brinzi, Milutin Dapevic, Gianluca Pantosti und, als einzige Frau Maria Pilar Perez Aspa) ist hauptsächlich der des Intellektuellen Pasolini, wodurch die Produktion Schlagseite erhält, um beim Korsaren-Jargon zu bleiben. Die bebrillten Schauspieler spielen meist nicht, sie rezitieren und selten kommt Pathos außerhalb der Musik auf, der Ton ist nüchtern bis tragisch.
Einige Passagen, wie die auf die Filmreflexion folgende Viertelstunde zur „Mutazione Antropologica“ ziehen sich, ohne Filmisches (Einspieler einer Schreibmaschine für Zwischentitel ausgenommen) oder Musik in die Länge. Dem Vortrag kann man dies nicht ankreiden, mehr der dramaturgischen Aufteilung (Regisseur Leo Muscato, sowie Laura Perini) von „PPP“. Als Stück lässt sich der Abend fast nicht bezeichnen, da im Vortrag der Texte nicht wirklich ein Charakter entsteht, mit wenigen Ausnahmen: Der Pathos schafft, wo etwa zwischen den Zeilen eines an Italo Calvino adressierten, offenen Brief durchsickert, dass die „Figur“ Pasolini von Cedron (der seine Sache mehr als gut macht) zum Leben erweckt wird. Aus der Betrachtung Pasolinis von außen, durch seine Schriften wird kurz ein Blick, der auf den Mensch Pier Paolo schielt. Diesen sehen wir besonders an der Strandpromenade von Ostia noch einmal durchblitzen, bei einer Zeitungslektüre und Reflexion, erst in Personam (hier glänzt Dapcevic), dann als Chor. Die Grenze ist fließend. Klarerweise ist die Unterteilung in Pasolini und Chor eine gewollte, macht den Abend in ihrer ungleichen Verteilung jedoch akademischer als nötig.
Als „Profeta Corsaro“ lässt sich Pasolini, so viel ist klar, am besten durch seine auf vor rund fünfzig Jahren geschriebenen essayistischen Textformen abbilden, die janusköpfig zurück und voraus schauen: Vieles klingt überraschend heutig, weniges datiert sich allerdings auch ohne Schreibmaschine auf das vergangene Jahrhundert. Auch in den Medienbildern, hauptsächlich Auszüge wie am Bühnenrahmen projizierten Schlagzeilen sehen wir ein Zerrbild, die Positionen von außen bleiben, an welche sich Berichterstattung über den Mord anschließt. Gianluca Pantosti darf Rolle wechseln bringt Jugend und eine weitere Dimension, die Menschen zu denen sich Pasolini mehr als zu intellektuellen Kreisen hingezogen fühlt, sicher auf die Bühne. Ein Nachruf, der besonders den Verlust eines Poeten unterstreicht, ruft die kleine Dimension dieses Aspekts noch einmal vor Augen.
Schade bleibt, wie statisch Vortrag und Bühnenraum, dem eher unter- als überverwendeten Orchester vorgeschoben, bleiben. Man hat Pasolini ein Denkmal errichtet und, wie immer wenn ein Abbild auf einen Sockel gestellt wird, werden dadurch gewisse Blickwinkel vorgegeben. Wer den Intellektuellen und Filmemacher Pasolini schätzt, kommt auf seine Kosten, wen am streitbaren „Propheten“ andere Facetten faszinieren, weniger. Unbestreitbar schön bleibt das Ende des Stücks, als die Bühne noch kurz zur Kinoleinwand wird: Ein Filmausschnitt der hier nicht benannt werden soll voll verzweifelter Schönheit und das Wort „Fine“.
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